Caput XXV

[421] Dreiunddreißig alte Weiber,

Auf dem Haupt die scharlachrote

Altbaskesische Kapuze,

Standen an des Dorfes Eingang.


Eine drunter, wie Debora,

Schlug das Tamburin und tanzte.

Und sie sang dabei ein Loblied

Auf Laskaro Bärentöter.


Vier gewalt'ge Männer trugen

Im Triumph den toten Bären;

Aufrecht saß er in dem Sessel,

Wie ein kranker Badegast.


Hinterdrein, wie Anverwandte

Des Verstorbnen, ging Laskaro

Mit Uraka; diese grüßte

Rechts und links, doch sehr verlegen.


Der Adjunkt des Maires hielt

Eine Rede vor dem Rathaus,

Als der Zug dorthin gelangte,

Und er sprach von vielen Dingen –


Wie zum Beispiel von dem Aufschwung

Der Marine, von der Presse,

Von der Runkelrübenfrage,

Von der Hyder der Parteisucht.
[421]

Die Verdienste Ludwig Philipps

Reichlich auseinandersetzend,

Ging er über zu dem Bären

Und der Großtat des Laskaro.


»Du, Laskaro!« – rief der Redner,

Und er wischte sich den Schweiß ab

Mit der trikoloren Schärpe –

»Du, Laskaro! du, Laskaro!


Der du Frankreich und Hispanien

Von dem Atta Troll befreit hast,

Du bist beider Länder Held,

Pyrenäen-Lafayette!«


Als Laskaro solchermaßen

Offiziell sich rühmen hörte,

Lachte er vergnügt im Barte

Und errötete vor Freude,


Und in abgebrochnen Lauten,

Die sich seltsam überstürzten,

Hat er seinen Dank gestottert

Für die große, große Ehre!


Mit Verwundrung blickte jeder

Auf das unerhörte Schauspiel,

Und geheimnisvoll und ängstlich

Murmelten die alten Weiber:


»Der Laskaro hat gelacht!

Der Laskaro hat errötet!

Der Laskaro hat gesprochen!

Er, der tote Sohn der Hexe!« –
[422]

Selb'gen Tags ward ausgebälgt

Atta Troll und ward versteigert

Seine Haut. Für hundert Franken

Hat ein Kürschner sie erstanden.


Wunderschön staffierte dieser

Und verbrämte sie mit Scharlach,

Und verhandelte sie weiter

Für das Doppelte des Preises.


Erst aus dritter Hand bekam sie

Juliette, und in ihrem

Schlafgemache zu Paris

Liegt sie vor dem Bett als Fußdeck'.


Oh, wie oft, mit bloßen Füßen,

Stand ich nachts auf dieser irdisch

Braunen Hülle meines Helden,

Auf der Haut des Atta Troll!


Und von Wehmut tief ergriffen,

Dacht ich dann an Schillers Worte:

Was im Lied soll ewig leben,

Muß im Leben untergehn!


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 421-423.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Atta Troll
Gedichte Von Heinrich Heine, Vierter Band. Deutschland. Atta Troll
Atta Troll. Ein Sommernachtstraum
Atta Troll - Ein Sommernachtstraum Deutschland - Ein Wintermärchen
Sämtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Düsseldorfer Ausgabe / Atta Troll Ein Sommernachtstraum. Deutschland Ein Wintermärchen
Neue Gedichte: Deutschland. Ein Wintermärchen. Atta Troll (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon