Portia

[489] (Julius Cäsar)


Portia

Der Hauptgrund von Cäsars Popularität war die Großmut, womit er das Volk behandelte, und seine Freigebigkeit. Das Volk ahnete in ihm den Begründer jener bessern Tage, die es unter seinen Nachkommen, den Kaisern, erleben sollte; denn diese gewährten dem Volke sein erstes Recht: sie gaben ihm sein tägliches Brot. Gern verzeihen wir den Kaisern die blutigste Willkür, womit sie einige hundert patrizische Familien behandelten und die Privilegien derselben verspotteten; wir erkennen in ihnen, und mit Dank, die Zerstörer jener Adelsherrschaft, welche dem Volk für die härtesten Dienste nur kärglichen[489] Lohn bewilligte; wir preisen sie als weltliche Heilande, die, erniedrigend die Hohen und erhöhend die Niedrigen, eine bürgerliche Gleichheit einführten. Mag immerhin der Advokat der Vergangenheit, der Patrizier Tacitus, die Privatlaster und Tollheiten der Cäsaren mit dem poetischsten Gifte beschreiben, wir wissen doch von ihnen das Bessere: sie fütterten das Volk.

Cäsar ist es, welcher die römische Aristokratie ihrem Untergang zuführt und den Sieg der Demokratie vorbereitet. Indessen manche alte Patrizier hegen im Herzen noch den Geist des Republikanismus; sie können die Oberherrschaft eines einzigen noch nicht vertragen; sie können nicht leben, wo ein einziger das Haupt über das ihre erhebt, und sei es auch das herrliche Haupt eines Julius Cäsar; und sie wetzen ihre Dolche und töten ihn.

Demokratie und Königtum stehen sich nicht feindlich gegenüber, wie man fälschlich in unsern Tagen behauptet hat. Die beste Demokratie wird immer diejenige sein, wo ein einziger als Inkarnation des Volkswillens an der Spitze des Staates steht, wie Gott an der Spitze der Weltregierung; unter jenem, dem inkarnierten Volkswillen, wie unter der Majestät Gottes, blüht die sicherste Menschengleichheit, die echteste Demokratie. Aristokratismus und Republikanismus stehen einander ebenfalls nicht feindlich gegenüber, und das sehen wir am klarsten im vorliegenden Drama, wo sich eben in den hochmütigsten Aristokraten der Geist des Republikanismus mit seinen schärfsten Charakterzügen ausspricht. Bei Cassius noch weit mehr als bei Brutus treten uns diese Charakterzüge entgegen. Wir haben nämlich schon längst die Bemerkung gemacht, daß der Geist des Republikanismus in einer gewissen engbrüstigen Eifersucht besteht, die nichts über sich dulden will; in einem gewissen Zwergneid, der allem Emporragenden abhold ist, der nicht einmal die Tugend durch einen Menschen repräsentiert sehen möchte, fürchtend, daß solcher Tugendrepräsentant seine höhere Persönlichkeit geltend machen könne. Die Republikaner sind daher heutzutage bescheidenheitsüchtige Deisten und sähen gern in den Menschen nur kümmerliche[490] Lehmfiguren, die, gleichgeknetet aus den Händen eines Schöpfers hervorgegangen, sich aller hochmütigen Auszeichnungslust und ehrgeizigen Prunksucht enthalten sollten. Die englischen Republikaner huldigten einst einem ähnlichen Prinzipe, dem Puritanismus, und dasselbe gilt von den altrömischen Republikanern: sie waren nämlich Stoiker. Wenn man dieses bedenkt, muß man erstaunen, mit welchem Scharfsinn Shakespeare den Cassius geschildert hat, namentlich in seinem Gespräche mit Brutus, wenn er hört, wie das Volk den Cäsar, den es zum König erheben möchte, mit Jubelgeschrei begrüßt:


Ich weiß es nicht, wie Ihr und andre Menschen

Von diesem Leben denkt; mir, für mich selbst,

Wär es so lieb, nicht da sein, als zu leben

In Furcht vor einem Wesen wie ich selbst.

Ich kam wie Cäsar frei zur Welt, so Ihr;

Wir nährten uns so gut, wir können beide

So gut wie er des Winters Frost ertragen.

Denn einst, an einem rauhen, stürm'schen Tage,

Als wild die Tiber an ihr Ufer tobte,

Sprach Cäsar zu mir: »Wagst du, Cassius, nun

Mit mir zu springen in die zorn'ge Flut

Und bis dorthin zu schwimmen?« – Auf dies Wort,

Bekleidet, wie ich war, stürzt ich hinein

Und hieß ihn folgen; wirklich tat er's auch.

Der Strom brüllt' auf uns ein, wir schlugen ihn

Mit wackern Sehnen, warfen ihn beiseit',

Und hemmten ihn mit einer Brust des Trotzes;

Doch eh' wir das erwählte Ziel erreicht,

Rief Cäsar: »Hilf mir, Cassius! Ich sinke.«

Ich, wie Äneas, unser großer Ahn,

Aus Trojas Flammen einst auf seinen Schultern

Den alten Vater trug, so aus den Wellen

Zog ich den müden Cäsar. – Und der Mann

Ist nun zum Gott erhöht, und Cassius ist

Ein arm Geschöpf, und muß den Rücken beugen,[491]

Nickt Cäsar nur nachlässig gegen ihn.

Als er in Spanien war, hatt er ein Fieber,

Und wenn der Schau'r ihn ankam, merkt ich wohl

Sein Beben: ja, er bebte, dieser Gott!

Das feige Blut der Lippen nahm die Flucht,

Sein Auge, dessen Blick die Welt bedräut,

Verlor den Glanz, und ächzen hört ich ihn.

Ja, dieser Mund, der horchen hieß die Römer

Und in ihr Buch einzeichnen seine Reden,

Ach, rief: »Titinius! gib mir zu trinken!«

Wie 'n krankes Mädchen. Götter! ich erstaune,

Wie nur ein Mann so schwächlicher Natur

Der stolzen Welt den Vorsprung abgewann

Und nahm die Palm' allein.


Cäsar selber kennt seinen Mann sehr gut, und in einem Gespräche mit Antonius entfallen ihm die tiefsinnigen Worte:


Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein,

Mit glatten Köpfen, und die nachts gut schlafen:

Der Cassius dort hat einen hohlen Blick;

Er denkt zuviel: die Leute sind gefährlich.


...


Wär er nur fetter! – Zwar ich fürcht ihn nicht;

Doch wäre Furcht nicht meinem Namen fremd,

Ich kenne niemand, den ich eher miede

Als diesen hagern Cassius. Er liest viel;

Er ist ein großer Prüfer und durchschaut

Das Tun der Menschen ganz; er liebt kein Spiel,

Wie du, Antonius; hört nicht Musik;

Er lächelt selten, und auf solche Weise,

Als spott' er sein, verachte seinen Geist,

Den irgend was zum Lächeln bringen konnte.

Und solche Männer haben nimmer Ruh',

Solang' sie jemand größer sehn als sich;

Das ist es, was sie so gefährlich macht.[492]


Cassius ist Republikaner, und wie wir es oft bei solchen Menschen finden, er hat mehr Sinn für edle Männerfreundschaft als für zarte Frauenliebe. Brutus hingegen opfert sich für die Republik, nicht weil er seiner Natur nach Republikaner, sondern weil er ein Tugendheld ist und in jener Aufopferung eine höchste Aufgabe der Pflicht sieht. Er ist empfänglich für alle sanften Gefühle, und mit weicher Seele hängt er an seiner Gattin Portia.

Portia, eine Tochter des Cato, ganz Römerin, ist dennoch liebenswürdig, und selbst in den höchsten Aufflügen ihres Heroismus offenbart sie den weiblichsten Sinn und die sinnigste Weiblichkeit. Mit ängstlichen Liebesaugen lauert sie auf jeden Schatten, der über die Stirne ihres Gemahls dahinzieht und seine bekümmerten Gedanken verrät. Sie will wissen, was ihn quält, sie will die Last des Geheimnisses, das seine Seele drückt, mit ihm teilen... Und als sie es endlich weiß, ist sie dennoch ein Weib, unterliegt fast den furchtbaren Besorgnissen, kann sie nicht verbergen und gesteht selber:


Ich habe Mannessinn, doch Weiberohnmacht.

Wie fällt doch ein Geheimnis Weibern schwer!

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 5, Berlin und Weimar 21972, S. 489-493.
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