Schwermut

[48] Grau liegt die Luft, der Wind fliegt bang,

Der Regen rinnt, den Wald entlang

Zieht Seufzerzug, singt Grabgesang ...

Nun streut die Schwermut ihre Keime

In angstgefurchte Herzen ein,

In dunkel abgetönte Reime

Verhüllt der Dichter seine Pein.[48]

Ach, wer sein Weh zu Rhythmen flicht,

Der ist noch lang der Ärmste nicht;

Doch wer um Glück und Lust betrogen

Die Stirn an Fensterscheiben preßt,

Wer grauenschwer hinabgezogen

Sich tief und tiefer treiben läßt;

Wem Kraft und Wille treu selband

In Unkraft und Verzweiflung schwand;

Wer schon zu müd, den Feind zu fassen,

Der ihn erwürgt, zum Tod gelassen,

Verkohlend sich in Asche schiebt

Und nicht mehr leuchtet, nicht mehr liebt –

Kein Klang reißt die zerstampfte Seele

Aus ihrer dumpfen Kerkerhöhle ...

Die Luft liegt grau, der Wind fliegt bang,

Der Regen spinnt, den Wald entlang

Zieht Seufzerzug, singt Grabgesang ...

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 48-49.
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