Dank dir, Erde!

[73] Willst du dich öffnen,

Mein übervolles Herz,

Um auszuschütten

Deines Segens Last?

In dieses goldnen

Herbsttags Fülle

Lohnt es zu schenken

Mit andern Früchten

Der Seele Frucht.


Gefunden hab' ich

Macht in mir selbst,

Fest hier auf Erden

Nun steht mein Fuß,

Und alle Strudel,

Drin ich gewirbelt,

Sind abgeglitten

Von meinem Haupt.


Nun mag mir reifen

Des Lebens Saat,

Die Blitz und Hagel

Doch nicht zerstört.

Ich darf erwarten[74]

Der Ernte Tag:

Bin vor der Zeit nicht verdorben.


Wer fühlt sich Blume,

Wer fühlt sich Fackel,

Duftet und glüht

In Garten und Welt?

O meine unverwelkte Seele,

Wes ist die Kraft,

Die dich hebt und hält?


Und sank auch manches

Glaubens Blendwerk

Vor deinem glanzbetrogenen Blick,

Dein tiefstes Fühlen

Lebt unverdunkelt,

Stern deiner Sterne

Ob allem Geschick.


Dich reizt zum Leben

Der Seele Wollust,

Sich aufzuschließen

Nach freier Wahl;

Du magst nicht schielen

Nach fremden Augen,

Dich lockt und leitet

Der eigne Strahl.
[75]

Aus wilden Feuern,

Die lodernd sengten,

Geglüht sind Ringe,

Die dich umziehn.

Du bist von kräftigen

Kreisen umhütet,

Davor die Schrecken

Des Daseins fliehn.


In blaue Tiefe nun tauche,

Mein Auge, sonnenverwandt!

Dankbar die Lippe hauche:

Erde, segnende Erde,

Dich lieb' ich, mütterlich Land.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 73-76.
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