27.

[133] Noch nicht gerastet in Erinnerungen!

Die Stunde kommt, du lebst Vergangenheit.

Ein leises Glöcklein ist in dir erklungen,

Von Wehmut zitternd aus der Jugendzeit.

Der Ton ist rein, das Glöcklein nicht zersprungen,

Von schrillem Mißklang, grellem Hohn befreit –

Ich habe selbst gewählt, nichts zu bereuen

Und schmachte nicht nach Treberkost mit Säuen.


Geh jeder seinen Weg – ich geh den meinen,

Den starken Stimmen der Natur getreu,

Was ich verfehlt, ich kann es nicht beweinen,

Die Ähre drischt man, und der Halm gibt Streu.

Erwandern muß man's mit den eignen Beinen,

Den Weizen säubern lernen von der Spreu –

Kehr jeder tapfer vor der eignen Tenne,

Wer als verirrtes Schaf sich fühlt, der flenne!


Ich bin daheim, wo Liebe mich verstanden,

Und wo ich schaffe, da ist Vaterland,

Ich bin zu Haus, wo Geister mich umwanden

Aus Flur und Wald, mit denen ich verwandt.

Wo frei mein Sinn von falscher Satzung Banden,

Und wo mein sehnend Fühlen Friede fand,

Wo mir der Fleck kraft meines Lebens teuer,

Da bin ich Bürger, brennt mein Herdesfeuer.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 133-134.
Lizenz:
Kategorien: