Höhenblick

[205] Hin über schwindelnde Schroffen

Hat dich dein Morgen geführt:

Stürmisches Steigen und Hoffen! ...

Wen die Lawine getroffen,

Nimmer die strahlenden Lüfte

Stählender Höhen er spürt.


Unter dir Krachen und Grollen,

Hinter dir Absturz und Tod!

Wahn und verwegenes Wollen

Glühender Gefährten verschollen ...

Steinkreuz am gähnenden Schlunde,

Hat es nicht dir auch gedroht?


Tränkt mich, ihr köstlichen Quellen,

Trage mich, tannkühler Pfad!

Sonnigen Mut zum Gesellen,

Schreiten und Schauen im Hellen:

Sieh, in die himmlische Bläue

Schwingt sich der schneeweiße Grat.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 205-206.
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