Deutsche Not

[334] O Deutschland, mein Deutschland,

Was hast du erlebt!

Dein Himmel brach nieder,

Dein Boden erbebt.


Auf tönernen Füßen

Zerschellte dein Thron,

Die Flammen des Aufruhrs,

Sie flackern, sie lohn.


Dein Volk ist zerfallen

In feindlichem Zwist,

Die Brüder sich morden

Voll Wut und voll List.
[334]

Feig schleicht die Verleumdung,

Frech züngelt Verrat,

Der Satan der Zwietracht

Sät giftige Saat.


Es meuchelt die Kugel

Aus rasender Hand,

Die Räuber und Plündrer

Sind Herren im Land.


Die heiligen Grüfte

Unsterblicher Zeit,

Sie werden geschändet

Und schamlos entweiht.


An goldenen Kränzen

Vergreift sich die Gier,

Im Schlamme will schwelgen

Das trunkene Tier.


Ergaunerte Güter

Schiebt strotzend die Flut,

Ein prassender Pöbel

Beschmutzt, was er tut.


Was mühsam erworben,

Entwertet der Kauf,

Das Brot des Gerechten,

Der Wucher frißt's auf.
[335]

Den schaffenden Geistern

Verscharrt ist der Hort,

Die Not und die Sorgen

Ersticken ihr Wort.


Rachsüchtiger Friede

Zerrüttet das Reich,

Es saugen die Sieger

Dem Schemen dich gleich ...


Und dennoch, o Deutschland,

Kein Elend verschlingt,

Kein Frevel ein Lichtvolk,

Das frei sich bezwingt.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 334-336.
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