1.

[373] Münzenschmeckerei – das Wort scheint verächtlich: wie aber, wenn ein Titel Geschichte des Geschmacks und der Kunst aus Münzen1 seiner Ausführung nach nicht besser, als so, könnte zusammen gezogen werden? – Ich will mich, so viel ich kann, nach Griechenland zurück setzen, und lesen, als ob ich einen Griechen – läse. Das Attische Publikum in Deutschland sei zwischen ihm und mir Zeuge.

Zwar Griechisch schön im Vortrage ist dies Schriftchen wohl eben nicht, daß nämlich einfältige Hoheit, nachdrückliche Kürze, und feine Schönheiten des Styls sich in ihm vereinigen sollten. Der Klotzische Styl mag immer die Schönheiten haben, die der Kupferstecher Allechement nennet; aber Richtigkeit der Zeichnung, und Kraft entgeht ihm völlig. Der Freund und Beurtheiler2 Hr. Klotzens, »bei dem seine zärtliche Liebe gegen den Verf. diesmal über seine großen Einsichten, und scharfe Beurtheilungskraft die Oberhand behalten,« mag davon sagen »was Hr. Klotz ihm nicht verbothen;3« ich kann nicht anders, als durchgängig einen langweiligen homiletischen Ton finden, der fast nie so recht Griechisch oder Deutsch heraus sagt, was er sagen wollte. Langweilig jedes[373] Punktum her geholet, gekettet und umwunden, nach einem zehn Seiten langen Eingange, der eine höfliche Empfehlung sein selbst und weiter nichts enthält, alsdenn erst ein prächtiges ebenfalls zehnseitiges Exordium vorausgeschickt, alsdenn ein halbblindes Thema Kanzelmäßig in zween Theile zerstückt, so mit beständigen Ausschweifungen, in lauter Geschmacksvollen Anmerkungen, mit öftern höflichen Freundschaftsbezeigungen zweihundert Seiten hin deklamirt, als wenn jede Periode aus dem Lateinischen übersetzt wäre, als wenn zu jedem Stäubchen zween Windmühlen und zur Schriftstellerhöflichkeit beständig fortscharrende Komplimente nöthig wären – zu einem solchen Vortrage würde ein Griechischer Longin frei heraus sagen: φλοιωδης γαρ ὁ ανηρ και φυσων, κατα τον Σοφοκλεα »ου σμικροις μεν αυλισκοισι .. φορβειας δ᾽ατερ« .. ουδεν δε φησι ξηροτερον υδρωπικου. Wer da will, verdeutsche das Urtheil.

Was ein Grieche mit dem Worte Geschichte verbände, ist hier nicht verbunden: ich mag das Titelwort Beitrag zur Geschichte so diminutivisch nehmen, als ich kann. Hier wird weder Zeitfolge sorgfältig bemerkt: noch die überhingeworfnen Anmerkungen wenigstens durch einzelne Beispiele der fortgehenden Zeitfolge scharf bewiesen: noch weniger von einer Nation nach der andern, insonderheit in den neuern Zeiten, Beispiele der successiven und coexsistenten Geschmacksveränderungen gesucht; noch weniger die Ursachen des veränderten Geschmacks aus dem Chaos der Geschichte heraufgeholt – ist das Beitrag zur Geschichte? Zu einigen allgemeinen und zu sehr bekannten Bemerkungen, die über Völker und Zeiten durchhingeworfen, und fast immer halbschielend wiederholt werden, zu diesen einige leidliche Exempel beizutragen, die aus bekannten Büchern, und im ganzen süßen Flußwasser des Buchs doch nur rari nantes in gurgite vasto sind – – aus diesen von der Ehre und Schande aller neuern Münzen so allgemein und entscheidend zu reden, als hätten sich alle zur Musterung dargestellt, und doch[374] nichts als die allgemeinen Geschmacks- und Barbareiperioden, jede mit Einem Beispiele vielleicht auszurüsten, und diese ausgerüstete Figur dann mit halbem Leibe uns hinzustellen – ist das die Ciceronianische Ankündigung »der Sache, die ich mir vorgesetzt habe? Meine Absicht ist, aus den Münzen gleichsam eine Geschichte des Geschmacks und der Künste zusammen zu setzen, und ihre Blüthe, oder ihren Verfall aus den selben zu beurtheilen. Ich werde daher die alten Münzen, welche besonders unsre Aufmerksamkeit auf sich ziehen, mit den neuern vergleichen: Ich werde die merkwürdigsten Perioden in der Geschichte der Kunst durchgehen, die Münzen, welche zu jeder derselben gehören, betrachten, und nach der größern Anzahl guter oder schlechter Stücke mein Urtheil fällen.«4 O Dea Moneta, wo ist dies alles in meinem lieben Büchlein?

Noch minder ist der Ton getroffen, in dem die Griechen etwas, was zur Geschichte gehörte, lesen wollten: der Ton des bescheidnen Anstandes, der weisen Mäßigkeit. Kein Herodot, ob er gleich mit seiner Historie als ein Wunder seiner Zeit auftrat, kein Thucydides, kein Xenophon, oder jeder andre Geschichtsartige Schriftsteller kündigte sein Thema so kostbar, so selbstwichtig an, als wenn man blos der Stirne nach von aller Welt schon mit zurückfahrender Bewunderung empfangen werde,5 »Augen voll Entzückungsvoller Aufmerksamkeit habe, die Niemand hat, die nur ein Nikomachus, Pietro di Cortona, Angelo, Addison, oder wie die Litanei der Geschmacksnamen nach der neuesten Mode weiter heiße, ohngefähr habe: als wenn man an Münzen hören, sehen, schmecken, und fühlen könne, was sonst niemand sah, als wenn man von allen Vorgängern in der Münzwissenschaft, (einen Addison ausgenommen) verschieden, als eine Seltenheit seiner Tage, als ein Rüstzeug des guten Geschmacks auftrete, eine Epoche machen, und der Welt Tag geben solle u.s.w.« so würde ein Grieche nicht[375] sprechen. Nicht bei Ankündigung seiner Schrift, nicht mitten in der Materie zur Zeit und Unzeit, nicht bei dem Schlußseegen, nirgends würde er sich als eine Mauer für den Geschmack eines ganzen Landes gegen die Ausländer vorziehen, allen Zeiten vor ihm die Spitze bieten, auf einen Zug von Nachfolgern hinter sich rechnen, überall im Tone des Rednerego sprechen – ein Grieche spräche so nirgends.

Am wenigsten wüßte ein Grieche von dem seligen Privattone, in dem unsre Zeit, die so sehr das Natürliche liebt, in manchen schönen und überschönen Schriften liebkoset. Jene redeten vor dem Publikum, als vor einem Kreise würdiger Kenner und Richter; nicht aber so freundschaftlich süße, amicus ad amicum, oder wie Cicero ad familiares. In ihren besten Zeiten kannten sie die Lalagen des Styls nicht, dulce ridentem, dulce loquentem; sie sprachen mit dem Publikum doch Etwas anders, als der Ehegatte in seiner Schlafkammer, oder der süße Schriftsteller im Cabinette seines lieben, seines herzlich lieben Freundes.

Ein Grieche dachte selbst – – doch wozu der fortgesetzte Name eines Griechen? Hr. Klotz ist kein Grieche; er läßt andre für sich denken und schreibt; eben dadurch aber wird, was andre gedacht haben, und er anzuführen beliebt, sein. Im Alterthume ist seine Kunstmuse von Winkelmann, Leßing, Du-bos, Caylus; und in Neuern von Addison, Hagedorn, Watelet, Du-bos und einigen andern Franzosen so ganz besessen, daß, wie gesagt, immer Herr Klotz spricht, und fast immer ein andrer durch ihn. Er weiset andre durch andre, Winkelmann durch Wacker, Leßing durch Wacker, Caylus durch Winkelmann, und Leßing durch Caylus zurecht; so zurecht, als wenn alle diese, als Unterbibliothekare seiner Bibliothek unter der Aufsicht des Herrn Geheimden Raths, sich wechselsweise verbessert und das entscheidende Urtheil darüber durch eine bündige Citation Ihm überlassen hätten. Ueberhaupt gehört hinter jede leidliche Anmerkung ein fremder Name, und wo er nicht steht, wollte ich ihn zuschreiben. Zu diesem Münzbüchlein wenigstens dörfte ich nicht eben lange nachsuchen: denn was Plato zum[376] Antimachus sagte: würde ich hier zu Addison sagen können: hic mihi instar omnium! und Abdison, welch ein guter Tröster!

Da nun Hr. Kl. als Critikus über den Geschmack gesammter Völker und Zeiten urtheilen; als Sammler Belesenheit zeigen: als ein Schriftsteller von sittlich feinem Geschmacke schön schreiben: als ein Ehrenmann Hofmäßig sprechen: als ein Gefühlvoller Freund, Dankbarkeit und Ergebenheit bezeugen: und bei allen als Magister der freien Künste zuweilen noch eine kleine lustige Schnurre anbringen will; so denke man sich in diesem Gemische den würdigen Ton eines Lehrers über die Geschichte der Kunst, den wir an Winkelmann so tief bewundern. Man vergleiche diesen artigen Beitrag mit des andern seiner Geschichte, und siehe da! Winkelmann in klein Octav! – Verzogne Anpreisungen des guten Geschmacks wechseln mit sittlichfeinen Artigkeiten, mit spaashaften Anekdoten, mit herzlichschönen Complimenten an seine Freunde und Gönner ab: bald spricht »ein Kunstrichter von richtigem Geschmacke, Du Bos, bald der unsterbliche Mengs, bald ein Mann, welcher die tiefen Einsichten, und alle Eigenschaften eines großen Genies durch sein Menschenfreundliches und tugendhaftes Herz veredelt, und von welchem man sagen kann, daß seine Schriften die Schilderung des liebenswürdigsten Mannes sind,« bald Hr. von Voltaire in seinem temple du goût: bald thut der Verf. »für Deutschland das Gebet, das Hr. Watelet an die himmlische Venus abschickt:« bald befielt er den Fürsten im Namen der Nachkommenschaft, wenn sie Münzen schlagen lassen, Longin zu lesen. Der Abt Böhmer und »jene geistreiche Engländerinn Montague:« Spanheim und ein Französischer Landjunker: Young in seinen Nachtgedanken und Lucian, und »ein witziger Mann, der Abt Trublet« – auf zwei Blätterchen6 kommt diese seltne Gesellschaft zusammen, und drückt sich so auf einander, daß der Verf. mit einmal »ermüdet von Scholiasten und gesättigt mit der Gelehrsamkeit stolzer Kunstrichter, in Leßings, Weißens, Duschens, Uzens und Hagedorns[377] Schriften Erquickung sucht, von furchtbaren Folianten in die lieblichen Umarmungen des freundschaftlichen Gleims flieht, oder bewundert in den Schriften des Patrioten Mosers erhabne Züge der deutschen Redlichkeit.«7 O wenn einst Griechen wieder aufleben – unpartheiische Nachwelt, die entfernt von unserm Familienton und süßen Zeitgeschmack unsre viros suavissimos wägen wird – oder du unser Deutsches Publikum, das von jeher entmannete Weichlichkeit, und verwelkte Rosen verachtet hat, dessen Gesinnung immer ernste Vernunft, Kraft, und das Nahrhafte des Geschmacks gewesen, wirst du dich mit einem schönen Blumengespinste, das man wie jenen alles übertreffenden8 Tryphonischen Schleier, dir überwirft, dich immer täuschen lassen? – Ich schreibe für Deutschland, und ich weiß, die stillen Kenner (und sie sind das wahre Deutsche Publikum) auf meiner Seite: der große helle Haufe lobt und wird gelobt, allein – – the charm's wound up!

Warum aber so lange bei dem Gerüste eines Buchs? Denkart eines Schriftstellers, Denkart, die sich in allen Schriften desselben äussert, Denkart, die sich, wie eine Lustseuche des guten Geschmacks, so gern weiter ausbreitet, ist mehr als Gerüst. Und wenn es auch nur dies wäre: ins Gebäude selbst wage ich mich kaum; es drohet über mich einzustürzen. Ich fürchte: ich fürchte, die ungeheure Anheischung: »aus Münzen eine Geschichte des Geschmacks und der Künste zusammenzusetzen, und ihre Blüthe, oder ihren Verfall aus denselben zu beurtheilen« sey, so wie sie Hr. Kl. nimmt, eine farbichte Luftblase, sie ist das prächtige Thema des Buchs.

Geschmack aus Münzen: wie weit lassen sich Münzen schmecken? was lassen sie für Geschmack auf der Zunge?

[378] Geschichte des Geschmacks aus Münzen: läßt sie sich geben? wie weit ist sie sicher? Geschichte des Geschmacks und der Künste aus Münzen nach Zeiten und Völkern? Kann die Göttin Moneta eine sichre Zeugin über so Etwas seyn?

Man sieht, ich muß anfangen, wo der Autor nicht anfing, von Grundaus; ich werde zeitig gnug ans Gebäude und endlich auch ans Gerüste zurückkommen.

1

Beitr. zur Gesch. des Geschm. und der Kunst aus Münzen vom Hrn. Geheimdenrath Klotz, Altenb. 1767.

2

Klotz. eigne Bibliothek St. I. Vorr.

3

Ebendas. Seite 71.

4

[S. 23.]

5

Eigne Worte Klotzens. S. 3. 4. 5. 6. – –

6

S. 98. 99. [100. 101 102]

7

[S. 103].

8

Die Allegorie der Griechen und Römer (das muß ich doch sagen, Hr. Klotz mags wollen, oder nicht, daß diese Stelle vortrefflich ist!) ist wie der leichte Schleier des Tryphon. s. Klotz. Bibl. [I]. S. 64.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 373-379.
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