[557] Frei in deines Busens Schranken
Suche Wahrheit ohne Scheu.
In dem Irrsal der Gedanken
Finde dich und sei dir treu!
(K.W.L. Heyse.)
»Was lehrt das Leben? Gib
Mir bündigen Bescheid. –
Hingeben, was dir lieb,
Hinnehmen, was dir leid.
Echtes ehren,
Schlechtem wehren,
Schweres üben,
Schönes lieben!
Trag muntern Herzens deine Last
Und übe fleißig dich im Lachen.
Wenn du an dir nicht Freude hast,
Die Welt wird dir nicht Freude machen.
Steck dir das Ziel nur nicht zu weit,
Such nichts gewaltsam zu erraffen.
Mit deiner verfluchten Schuldigkeit
Hast ohnehin genug zu schaffen.
[557] Die Welt zerstreut oder engt dich ein;
Mußt in dir selbst zu Hause sein.
Der wird von Unrast nicht verschont,
Der bei sich selbst zur Miete wohnt.
Kein Glück ist auf dem Erdenrund
Heilkräft'ger, süßer, reiner,
Als Kindermund an deinem Mund
Und Kinderhand in deiner.
Mußt stets an deiner Mutter Art,
Du Kind der Erde, dich erinnern:
Wie sehr die Schale dir erstarrt,
Bewahr den flüssigen Kern im Innern.
Lebe nur! Dem Widerspruch
Wird Lebend'ges nicht entgehen.
Totgebornes trifft der Fluch,
Niemand je im Weg zu stehen.
Durchschweife frei das Weltgebiet,
Willst du die Heimat recht verstehn.
Wer niemals außer sich geriet,
Wird niemals gründlich in sich gehn.
Das ist's, warum sich's leben läßt
Trotz alledem auf dieser Erden:
Die ganze Welt ist nur ein Nest,
Doch jedes Nest kann eine Welt dir werden.
[558] Wer nicht alt wird bei jungen Jahren,
Wird ewige Jugend nicht bewahren.
(Nach Rahel)
Die menschlichste der Schwächen
Ist, über das, was uns das Herz gebrochen,
Noch obendrein den Kopf uns zu zerbrechen.
Das Blut beherrscht uns insgesamt,
Was man auch mag von Bildung munkeln,
Und wer von einer Katze stammt,
Der fängt die Mäuse im Dunkeln.
In deinem Innern mancher Schacht
Ist voll von unbekannten Erzen,
Doch schürfst du tiefer in deinem Herzen,
Nimm dich vor schlagenden Wettern in acht!
Auf Schritt und Tritt sich aufzupassen,
Was soll es frommen?
Wer nicht wagen darf, sich gehn zu lassen,
Wird nicht weit kommen.
Gegen Herzlose kannst du dich schützen,
Gib ihnen nur dein Herz nicht preis.
Geistlose mögen dir auch wohl nützen,
Da mancher manches kann und weiß.
Wenn aber Taktlose dich umringen,
Das wird dich zur Verzweiflung bringen.
[559] Der eignen Nase nachzugehn,
Möcht' jedermann erlaben;
Nur darin wird die Kunst bestehn,
Eine eigne Nase zu haben.
Du wirst der Leute Lieb' und Gunst,
Zumal der Biedern, bald verlieren,
Verstehst du nicht die edle Kunst,
Mit Anstand dich zu ennuyieren.
Sie pflegen höchlich zu empfehlen,
Daß man Zufriedenheit gewinnt.
Leicht haben's die bescheidnen Seelen,
Die mit sich selbst so höchst zufrieden sind.
Verstand wie 'n Pudel die Ohren spitzt,
Wenn 's Herz an festlicher Tafel sitzt.
Gib ihm nur ein Knöchlein zu benagen,
So wird er höflich sich betragen.
Doch willst du auch das Knöchlein sparen,
Wird er dir in die Waden fahren.
Gott wird die mehr mit Freuden segnen,
Die ihren Freuden freundlich begegnen.
Wer sich an andre hält,
Dem wankt die Welt.
Wer auf sich selber ruht,
Steht gut.
[560] Bedenklich ist zu große Klarheit,
Die Welt will ja betrogen sein.
Das Beste, was du hast, ist Wahrheit;
Den besten nur schenk reinen Wein!
Sich selbst beherrschen ist gar fein,
Doch schlimm, sein eigner Tyrann zu sein.
Wer stets den Tod vor Augen hat,
Dem wird die bunte Welt erblassen.
Ein trister Ehbund in der Tat,
Wo man beständig denkt ans Scheidenlassen.
Verläßt dich Geistesgegenwart,
Ist's freilich hart;
Doch mehr noch ist's verhängnisvoll,
Erkennt dein Herz nicht, was es will und soll.
»Seltsam, daß er's nicht weiter bringt
Und weder stark wird, weder groß,
Da alles doch sein Ich verschlingt!« –
Sein Ich ist eben bodenlos.
Das Leben ist eine freie Kunst.
Wer sie nach Regeln will betreiben,
Wird meist ein trauriger Stümper bleiben
Und nie gewinnen Meistergunst.
[561] Nil admirari? Gälte das,
So wär' das Leben ein schlechter Spaß.
Wenn wir nichts mehr zu bewundern haben,
Wär's Zeit, wir ließen uns begraben.
Grüne Jugend, was prahlst du so?
Ein jeder Halm wird endlich Stroh.
Solang du schimpfst und tobst und bellst,
Bleibst du dem Volk erfreulich.
Doch wenn du einfach Recht behältst,
Finden sie's unverzeihlich.
Das Leben ist ein genauer Wirt,
Läßt pünktlich zahlen Lust mit Leide.
Kommt einer mit vieren ankutschiert,
Den bedient es mit doppelter Kreide.
Wer glaubt, daß er frei ausgehn wird,
Der macht die Rechnung ohne den Wirt.
Ihr seht euch für gutmütig an?
Ja, fällt ein Kind, helft ihr behende;
Doch kommt zu Fall ein großer Mann,
Reibt ihr euch schadenfroh die Hände.
So viel Verdienste du erwirbst,
So viel dir Gut und Mut beschieden –
Wenn du es mit den Philistern verdirbst,
Dann wehe deinem Frieden!
[562] Du fürchtest, dich unwürd'ger Armen
Mit deinem Scherflein zu erbarmen?
Fragt denn das Glück nach deinem Wert,
Wenn's einen Treffer dir beschert?
Das sind die Edelsten auf Erden,
Die nie durch Schaden klüger werden.
Wer leben will und sich wohl befinden,
Kümmre sich nicht um des Nachbars Sünden.
Lerne den frohen Augenblick
Schon jetzt erinnernd nachgenießen,
Laß gegenwärtiges Mißgeschick
Schon als vergangen dich verdrießen:
Die Freude wird dich tiefer rühren,
Das Leid den schärfsten Dorn verlieren.
Manch armer Wicht wär froh genug,
Einen neuen Menschen anzuziehn;
Doch jeden Morgen erwarten ihn
Die Lumpen, die er gestern trug.
Du magst, wenn du die Welt nicht kannst entbehren,
Nach Ehre geizen, nicht nach Ehren.
Wer ist von beiden der ärmere Mann:
Der nicht im Schmerze weinen kann,
Oder der nie ein Glück genossen,
Davon die Augen ihm überflossen?
[563]
Und streust du noch so hochgesinnt
Wohltaten achtlos in den Wind,
Danklosigkeit kannst du ertragen,
Undank wird dir am Herzen nagen.
Hast du's nicht im Blut,
So hab's im Mut.
Aufrichtigkeit wird löblich sein,
Grobheit soll von uns weichen.
Wer läßt sich gern den reinen Wein
In schmutzigem Glase reichen?
»Freund in der Not« will nicht viel heißen;
Hilfreich möchte sich Mancher erweisen.
Aber die neidlos ein Glück dir gönnen,
Die darfst du wahrlich »Freunde« nennen.
Mußt dich nur vom Neide reinigen,
Dann verzehnfachst du dein Glück,
Machst in jedem Augenblick
Fremde Freuden zu den deinigen.
Dem Freund vergeben, der mich verletzt,
Ist leicht; vergessen, schwer genug.
In seinem Bilde seh' ich jetzt
Die Wunde stets, die er mir schlug.
Mag sie vernarben mit der Zeit –
Um ihn noch immer ist mir's leid.
[564] Sei mit dem Glück nur nicht bescheiden
Und mach die Fordrung nicht zu knapp.
Es ist das Zähere von euch beiden
Und handelt noch genug dir ab.
Fordere kein lautes Anerkennen!
Könne was, und man wird dich kennen.
Klagst du nicht zu mancher Zeit,
Wenn das Leben Tag' und Nächte
Farblos aneinander reiht,
Daß es keine Frucht dir brächte?
Reinem Wasser gleicht es dann,
Das der Farbe muß entbehren,
Doch die schlichte Welle kann
Dich erquicken, stärken, klären.
Da werfen sie ohne sich zu schämen
Die Flinte gleich ins Korn hinein.
Wo die Leute nur den Mut hernehmen,
So ungeheuer feige zu sein!
Wenn Kopf und Herz sich widersprach,
Tät doch das Herz zuletzt entscheiden.
Der arme Kopf gibt immer nach,
Weil er der Klügere ist von beiden.
Geselligkeit will uns nicht glücken,
Uns fehlen dazu der Anmut Gaben.
Nie harmlos sich in andre schicken,
Das heißt in Deutschland: Charakter haben.
[565]
Ein seltsam Ding um solchen Rout,
Wo jeder des Nachbarn Nase beschaut
Und selten mehr von ihm erfährt,
Als daß er »mit dazu gehört«.
Lange leben ist keine Kunst,
Wird uns nur Zeit dazu gegeben,
Doch wer im Schaffen, Wirken, Streben
Es nie erlebt, sich selbst zu überleben,
Der preise seiner Sterne Gunst!
Willst ein ruhiges Herz erwerben,
Mußt nach dieser Weisheit streben:
Leb, als solltest du morgen sterben,
Stirb, als solltest du ewig leben.
Was hilft's, nach dem Applaus der Welt
Mit vorgebundner Maske schielen,
Da der allein nie aus der Rolle fällt,
Der immer wagt, sich selbst zu spielen.
Leichtsinn mit Melancholie gepaart
Hab' an den Besten ich oft gewahrt:
Leichtsinn in allem zeitlichen Trachten,
Schwermut, wenn sie ans Ewige dachten.
Soll das kurze Menschenleben
Immer reise Frucht dir geben,
Mußt du jung dich zu den Alten,
Alternd dich zur Jugend halten.
[566]
Mit Traurigen zu trauern, kann
An deiner Seele nie dir schaden.
Doch wirst du zu einer Lust geladen,
So sieh dir erst die Lust'gen an.
Nur eins beglückt zu jeder Frist:
Schaffen, wofür man geschaffen ist.
Wer stets sich Allen weiht,
Hat bald sich ausgegeben.
Nur in der Einsamkeit
Kannst du für Alle leben.
Mußt das Üble dem Geschick
Nur nicht übelnehmen,
Unbequemem Augenblick
Still dich anbequemen.
Ärger, der am Herzen frißt,
Wird's nur ärger machen.
Was nicht wegzuschelten ist,
Such es wegzulachen.
Das ist des Menschen bester Gewinn:
Ernste Seele und heitrer Sinn.
Nur wo die beiden sich treu vermählen,
Kann's nie an Frieden und Freude fehlen.
Ob dein Fuß im Jahreslauf
Hell' und dunkle Bahn durchwandre,
Rechne du nur eins ins andre,
Und du hörst zu klagen auf.
[567]
Von brutalen Gewalten
Laß nie deine Seele knechten.
Kannst du nicht Recht behalten,
Halte doch fest am Rechten.
Wer da bauet an der Straßen,
Muß sich von jedermann meistern lassen.
Doch stellt ein Kluger sich nicht ans Tor
Und leiht dem Klüglergeschwätz sein Ohr.
Das Alter bringt uns manche Pein,
Wird doch von jedermann begehrt.
Die Jugend ist ein Gut; allein
Wer's hat, erkennt nicht seinen Wert.
Bevor du weißt, ob's Brot ist oder Stein,
Beiß nicht hinein!
Weise Mahnung und ernster Rat
Sind fruchtbar nicht für jeden.
Wenn einer kein Gewissen hat,
Was hilft's, ihm ins Gewissen reden?
Er fühlt, es beißt ihn irgendwo,
Und juckt sich nur, als wär's ein Floh.
Der Teppich, den die Parze webt,
Wird mit den Jahren bunt und bunter,
Verschlungne Muster, reichbelebt,
Sinnsprüche laufen deutungsvoll mit unter –
Aber die Fäden von goldnem Schein
Webt sie immer seltner hinein.
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
|
Buchempfehlung
Als »Komischer Anhang« 1801 seinem Roman »Titan« beigegeben, beschreibt Jean Paul die vierzehn Fahrten seines Luftschiffers Giannozzos, die er mit folgenden Worten einleitet: »Trefft ihr einen Schwarzkopf in grünem Mantel einmal auf der Erde, und zwar so, daß er den Hals gebrochen: so tragt ihn in eure Kirchenbücher unter dem Namen Giannozzo ein; und gebt dieses Luft-Schiffs-Journal von ihm unter dem Titel ›Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten‹ heraus.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro