Brautmorgen

[54] Des Erwachens Knospe schwillt,

Hochrosig tönt sich der regere Schlummer.

Zögernd, selig bang,

Lange, lange.

Weit offen die lauschende Seele.

War es, war es nicht?

Das schreckende Märchen,

So hold und so wild!

Ein leiser Blick stiehlt sich um.

Ja, es ist da

Und sieht doch gar nicht gefährlich aus –

Und wie ruhig es atmen kann!

Als sei nichts,

Aber auch gar nichts passiert.

War das da denn so furchtbar,

So unverschämt – und scheußlich,

So zu sich zwingend –

Und kehrte sich an nichts.

Möglich, daß nur's Dunkel so drauf wirkt.

Dieses gute schlummernde Kind,

Dieser schlummernde Friede

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und wieder sieht sie starr und steif nach oben,

Wie die Toten ihre Heimat sehen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –[54]

Nun wird es sich regen das Kind,

Das Kind mit dem seidenen Schnurrbart.

Etwas müde, selige Sterne

Sind still noch im verwunderten Glück.

Ja, das, das ist die Liebe,

Die lebensinnige, seelenvolle Liebe,

So still, so traulich still,

So mit der vollen Seele angesprengt!

Ja, das andere – früher –

Wie für die Knaben –

Wie mochte man nur?

Nun kann man haben

Die liebe lange Nacht

In inniger Macht

Bezaubernde Gaben,

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die sich nur bieten dem Mann,

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Und nach des Dunkels

Stürmender Wildheit –

Leisheit scheu und zart,

Unter der ein Schelm liegt verwahrt.

Ein bedeutsam lautlos sich Stehlen von dannen,

Daß man getrennt

Tummeln sich kann,

Und auf das Reich

Der nächtlichen Wildheit

Gebender Friede sich senke.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Getränkt das erste gierige Dürsten,

Der zueinander Gedrängten

Lebenbeherrschenden Kräfte.

Zerrissen

Der alles gewährenden Nacht

Magnetisches Netz.

Der zweiten Keuschheit[55]

Köstliche Müdigkeit ruht

In dem wieder

Niedergeschwiegenen Blut,

Bis des Lebens innige Anmut

Wieder heiter steigende Kräfte gewinnt.

Und weiter sich spielt

Nach des Lebens lieblicher Weise.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Nun ruhig etwas Stille,

Etwas wie eine leise Feindschaft,

Bis freundlich suchend sich neigt

Liebender Überfluß hin,

Wie sich des Auges labendes Rund

Wendet zu frommen, dürstendem Mund.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

So schwellt geruhig hinan

Ihr lange anwogenden

Wellen des Lebens

Fremden schon anheimgegeben

Treiben weiter die Säfte gemeinsamer Kraft

Innig verbunden

Einem neuen Menschen zu,

Dem Kinde gemeinsamer Liebe.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Jauchzt mit den jungen,

Den seelelebendigen,

Liebenden Leibern,

Jauchzet euch Kinder,

Gespielen zu haben,

Gespielen zu sein

Fröhlich übertollenden Lebens,

Ehe die rottende Horde der Übel

Drückend sich sammelt in alten Körpern.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

So nun sammelt euch wieder

An des blumenblau gemusterten Gartentisches[56]

Morgenzartem Imbißbehagen.

Knusprige Brötchen

Sind gar leicht zu mahlen.

Der braune starke Seim der Schokolade

Gibt wieder steigend heißen Mut

Nicht mehr weichenden Augen,

Ruhende Röte erwärmt euer Leben

Schon wieder an,

Das zärtlich dankende Leben,

Das in der Vergangenheit Liebreiz

Wonnen der Zukunft erschaut.

So köstlich erneuert sich Jugend.

Herrscht gewichtig

In wiederverschwiegener Güte,

Kredenzende Hausfrau,

Mit des silberklirrenden Löffels

Blinkendem Zepter!


Quelle:
Peter Hille: Gesammelte Werke. Berlin 1916, S. 54-57.
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