Tastende Tage

[67] Die Äste in Flammen, die Wipfel entlaubt

Am Kreuze das friedenumsprühete Haupt.
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Ein Sehnen und Dehnen, wie Mädchen es haben,

Renettenrot in die Lüfte gegraben.


Ein streckendes Zittern, ein schwellendes Glühen,

Des scheinenden Baumes Adern erblühen.


In gereiztem Scheine Feier-Weh,

Flammt Ziegelglut auf Erdenschnee.


Die versteinerte Glut, ein Liebesgedicht,

Fällt rosig warm auf der Kälte Gesicht.


Einsamkeit der Einsamkeiten,

Welt und ich: wir beide schreiten.


Haltende Hände leise schweben

Zu der Sonne goldenem Geben.


Im schmelzenden Schnee was heimlich geht,

Ob schon der Frühling im Felde steht?


Apostelhäupter im Abendscheine:

Der Kartenspieler trübe Gemeinde.


Die Äste entflammen, die Wipfel entlaubt

Am Kreuze das friedenumsprühete Haupt.


Quelle:
Peter Hille: Gesammelte Werke. Berlin 1916, S. 67-68.
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