Liebe zwischen Eginhard und Fräulein Emma, Keyser Carlns des Grossen Geheimschreibern und Tochtern

Keyser Carl der Grosse hatte unter vielen Kindern auch ein Fräulein Emma genennet, nicht minder an Leibes als Gemüths Gaben von höchster Vollkommenheit. Nebenst andern Bedienten enthielt sich auch in seinem Hofe Eginhard, Geheimschreiber des Keysers, dem er wegen sonderbahrer Geschickligkeit mehr als mittelmäßig geneiget war. Ich weiß nicht wie dieser gute Mann in etwas übersichtig ward, und der alleine die Briefe seines Herren durchsehen sollte, auch auf die Schönheit der Tochter ein freyeres Auge warff. Die Frucht dieses Fürwitzes war die Liebe, und die Frucht der Liebe, die Gefahr, so in Warheit, wenn er einen strengern Herrn, als Keyser Carln, angetroffen, Ihn in Spott und Todt unfehlbahr würde gestürtzet haben. Die Ungedult seiner Flammen zwang ihn bey der Fräulein, mit der er sonst niemahl ausführlich reden konte, die Genade zu bitten, einmahl alleine bey ihr eingelassen zu werden, die dann auch mit nicht minderer Liebe gegen Ihm entzündet, sein Fürnehmen billigte, und ihm die Abendtzeit darzu bestimmete. Was sie in solcher Zusammenkunfft mit einander abgeredet, und wie sie ihre Stunden wohl angewendet werden haben, laß ich einen der iemals recht verliebt gewesen, und in dergleichen Gelegenheit, wie Eginhard und Emma sich befunden, urtheilen, ich weiß nichts davon. Diß ist gewiß, daß sie beyde unvermercket fast der angehende Morgen überfallen wollen, und das Fräulein, als sie ihren lieben Nacht Gefehrten, weil dazumal ein unverhoffter Schnee kommen, auf dem Rücken aus ihrem Zimmer biß zu einem Scheidewege getragen, in Meinung, nachmals die männlichen Fußstapffen, so wegen der damals üblichen spitzigen Schuh sehr kentbahr waren, mit den ihrigen zuverscharren, von ihrem Herrn Vater, der, ich weiß nicht durch was vor einem[5] Zufall, sich um solche ungewöhnliche Zeit in ein Fenster geleget, unter ihrer süssen Bürde erblicket worden ist. Der gute Alte konte kaum seinen eigenen Augen trauen, musts aber doch endlich nothwendig vor war halten, was er so klar und deutlich gesehen. Er schlug sich etliche Stunden mit dem verwirrtesten Gedancken, so in eines Menschen Sinn kommen könten. Betrübnüß, Verwunderung, Zorn, Rache und Erbarmnüß hatten bey ihm einen unruhigen Sammel Platz, und er wuste bey dieser Bestürtzung nicht eigentlich, zu was er sich entschlüssen sollte. Nach weniger Zeit ließ er seine Räthe erfordern, und begehrete ein Gutachten, was ein Diener wohl verschuldet, der seines grossen Herren Tochter fleischlich zuverführen, und bey ihr eine gantze Nacht ohne alle andere Gesellschafft zuzubringen sich unterstanden hette. Die Meinungen waren ungleich, dieser rieth zum Tode, jener zu immerwährender Gefängnüß, ein ander zu was anderm. Als nun der Keyser sie sämtlich mit grosser Gedult angehöret, befahl er unversehens Eginhard und Emma hereinzuführen, sagende: Hier seind die Verurtheilten, ich weiß nicht, zu was ich mich wohl wenden soll. Auf der einen Seiten stehet die Missethat, die mich als Richter haben will, auf der andern die Erbarmnüß so mir als einem Vater wehmüthig zurufft. Diß ist am Tage, daß ihr beyde gröblich gesündiget und wider Eyd und Blut gehandelt habt. Doch muß ich auch wiederumb gedencken, daß Emma vormahls meine gehorsame Tochter und Eginhard mein treuer Diener gewesen, und dieses verbrechen unter diejenigen gehöret, welchen die hitzige Jugend, wie höchlich zuwünschen, nicht allemahl aus den Augen zu treten vermag. Ein anderer würde die Flecken mit Blut ausleschen wollen, ich aber will meine Väterliche Hand darüber legen. Und hat Emma und Eginharden mit folgenden Worten kürtzlich zusammen gegeben: Eginhard hat allhier seine trägerin, meine Tochter, zur Gemahlin, des tragens halben werdet ihr euch hinfort anderwege mit einander vergleichen.


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band36, Stuttgart [o.J.], S. 5-6.
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