Have anima candida!

[480] Armer Freund!

Nicht hinter jedem Tempelvorhang verbirgt sich eine nackte Venus: dein Herz war mehr als gross, dein Herz war rein!

O, dass jetzt der Todtenwurm um dein leuchtendes Lockenhaupt sein widriges Netz spinnt!

Du starbst!

Doch du starbst im Frühling und über dein frisch geschaufeltes Grab hin klagte die Nachtigall der Rose ihre ewige Sehnsucht ....

Nein, der Frühling ist kein Kind!

Die frommen Maler, die ihm zärtliche Schmetterlingsflügel an die Schultern logen, haben ihn nie auf seinem feuerschnaubenden Sturmross Nachts durch die Lüfte taumeln gesehn! Hat er nicht oft schon, droben im Bergwald, trotzige Wettertannen entwurzelt? Und schleudert der Thau, der vom Mantel ihm tropft, nicht Felsblöcke zu Thal? Felsblöcke, so gross wie Kirchthürme?[481]

Nein, der Frühling ist kein Kind!

Ein Gigant ist der Frühling und seine Thaten sind Legion!

Aber seine grösste war's doch, dass er dir das Herz brach! Denn ich weiss, du bist sein Liebling gewesen.

Doch ich klage nicht!

Was solltest du auch hier auf dieser närrischen Kugel?

Das goldene Elend deiner Mitwürmer machte dich melancholisch und wenn ein Hammer auf seinen Ambos sauste, fuhr's dir durchs Herz wie ein Stich, denn die Zeit des dritten Testaments ist noch fern.

Armer Freund!

Wäre deine Seele, deine unsterbliche Seele, nicht von Krystall gewesen, sie wäre nicht zersprungen. Sie wäre nicht zersprungen und du selbst wärst jetzt glücklich. Glücklich, wie wir brutalen Kieselsteinseelen es eben sein können.

Doch ich will nicht glücklich sein! Ich will nicht wie ein Thier sein und das Schwein zum Schwager haben! Ich pfeife auf ihre spiessbürgerliche Verdauungsmoral!

Mein stilles Leben wird fortab ein Kampf sein. Und mein Lied ein Racheschrei. Ein wilder, blutrünstiger Aufschrei um dich und deine todten Hoffnungen, die hingemordeten Kinder deines Herzens!

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .[482]

O, wie dunkel es ist!

Lang, lang ist dem Schlaflosen die Nacht und Träume umgaukeln nur Kinder und Thoren!

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wann, o ihr Brüder, wird uns das Frühroth, das ewige Frühroth, Erlösung ins Herz blitzen? Liegen wir knirschend und staubbesät nicht schmählich am Boden? Knirschend und staubbesät, wie gefesselte Titanen?

Doch verzagen lasst uns nicht inmitten dieser blöden Bestien und falschen Schlangen! Wenn der Gebetriemen reisst, thut der Fluch seine Pflicht. Löwen weinen nicht, Löwen brüllen! Und der Weg zur Wahrheit führt durch den Kerker!

Drum schaart euch zusammen, ihr Söhne des Ormuzd, lasst eure Banner sich mit Herzblut bespritzen und taucht sie golden ins Licht der Zukunft!

Tod der Lüge!

Mich aber lasst euern Winkelried sein, denn der Tod ist mein Freund und ich habe mehr zu rechten und zu richten als ihr!

Seht ihr sie dort heranschleichen, die Enkel der Ahriman, die Priester des Moloch – vipernzüngig und katzenäugig? Wacht auf, ihr Götter in goldner Hochburg, denn euer Mord ist ihre Parole und ihr Feldgeschrei der Verrath! Ihre Waffen sind nicht assyrische Sichelwagen und indische Elephanten. Ihre Waffen sind[483] vergiftete Pfeile und nur Wenige beseelt der Muth des Nahkampfs.

Erst, wenn ihr Speerwald die Brust mir durchbohrt, wird mir wohl sein!

Und so brech ich denn los: Tod der Lüge!

Den Stahl in der Faust und im Herzen – eine Thräne.

Armer Freund![484]

Quelle:
Arno Holz: Buch der Zeit. Berlin 21892, S. 480-485.
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