Hymne an die Schönheit

[156] (Zweite Fassung)


Die Natur in ihren schönen Formen spricht figürlich zu uns, und die Auslegungsgabe ihrer Chiffernschrift ist uns im moralischen Gefühl verliehen.

Kant


Hat vor aller Götter Ohren,

Zauberische Muse! dir

Treue bis zu Orkus Toren

Meine Seele nicht geschworen?

Lachte nicht dein Auge mir?

Ha! so wall ich ohne Beben,

Durch die Liebe froh und kühn,

Zu den ernsten Höhen hin,

Wo in ewig jungem Leben

Kränze für den Sänger blühn.


Waltend über Orionen,

Wo der Pole Klang verhallt,

Lacht, vollendeter Dämonen

Priesterlichen Dienst zu lohnen,

Schönheit in der Urgestalt;

Dort im Glanze mich zu sonnen,

Dort der Schöpferin zu nahn,

Flammet stolzer Wunsch mich an,

Denn mit hohen Siegeswonnen

Lohnet sie die kühne Bahn.
[157]

Reinere Begeisterungen

Trinkt die freie Seele schon;

Meines Lebens Peinigungen

Hat die neue Lust verschlungen,

Nacht und Wolke sind entflohn;

Wenn im schreckenden Gerichte

Schnell der Welten Achse bricht –

Hier erbleicht die Freude nicht,

Wo von ihrem Angesichte

Lieb und stille Größe spricht.


Stiegst du so zur Erde nieder,

Königin im Lichtgewand!

Ha! der Staub erwachte wieder,

Und des Kummers morsch Gefieder

Schwänge sich ins Jubelland;

Durch der Liebe Blick genesen

Freut' und küßte brüderlich

Groll und wilder Hader sich;

Jubelnd fühlten alle Wesen

Auf erhöhter Stufe dich.


Schon im grünen Erdenrunde

Schmeckt ich hohen Vorgenuß;

Bebend dir am Göttermunde,

Trank ich früh der Weihestunde

Süßen mütterlichen Kuß;

Fremde meinem Kindersinne

Folgte mir zu Wies und Wald

Die arkadische Gestalt –

Ha! und staunend ward ich inne

Ihres Zaubers Allgewalt.
[158]

In den Tiefen und den Höhen

Ihrer Tochter, der Natur,

Fand ich, Wonne zu erspähen

Von der Holdin ausersehen,

Rein und trunken ihre Spur;

Wo das Tal der Tannenhügel

Freundlich in die Arme schloß,

Wo die Quelle niederfloß

In dem blauen Wasserspiegel,

Fühlt ich selig mich und groß. –


Lächle, Grazie der Wange!

Götterauge, rein und mild!

Leihe, daß er leb und prange,

Deinen Adel dem Gesange,

Meiner Antiphile Bild. –

Mutter! dich erspäht der Söhne

Kühne Liebe fern und nah;

Schon im holden Schleier sah,

Schon in Antiphilens Schöne

Kannt ich dich, Urania!


Siehe! mild, wie du, erlaben

Sinn und Herz dem Endlichen,

Über Preis und Lohn erhaben,

Deiner Priester Wundergaben,

Deiner Söhne Schöpfungen;

Ha! mit tausend Huldigungen

Glühend, wie sich Jachus freut,

Kost ich eurer Göttlichkeit,

Söhne der Begeisterungen!

Kost und jauchze Trunkenheit.
[159]

Schar, zu kühnem Ziel erkoren!

Still und mächtig Priestertum!

Lieblinge! von euch beschworen,

Blüht im Kreise güldner Horen,

Wo ihr wallt, Elysium; –

O! so lindert, ihr Geweihten!

Der gedrückten Brüder Last!

Seid der Tyrannei verhaßt!

Kostet eurer Seligkeiten!

Darbet, wo der Schmeichler praßt!


Ha! die schönsten Keim entfalten

In der Priester Dienste sich; –

Freuden, welche nie veralten,

Lächeln, wo die Götter walten –

Diese Freuden ahndet ich!

Hier im Glanze mich zu sonnen,

Hier der Schöpferin zu nahn,

Flammte stolzer Wunsch mich an,

Und mit hohen Siegeswonnen

Lohnet sie die kühne Bahn.


Feiert, wie an Hochaltären

Dieser Geister lichte Schar,

Brüder! bringt der Liebe Zähren,

Bringt, die Göttliche zu ehren,

Mut und Tat zum Opfer dar!

Huldiget! von diesem Throne

Donnert ewig kein Gericht,

Ihres Reiches süße Pflicht

Kündet sie im Muttertone –

Hört! die Götterstimme spricht:
[160]

»Mahnt im seligen Genieße,

Mahnet nicht, am Innern sie

Nachzubilden, jede süße

Stelle meiner Paradiese,

Jede Weltenharmonie?

Mein ist, wem des Bildes Adel

Zauberisch das Herz verschönt,

Daß er niedre Gier verhöhnt,

Und im Leben ohne Tadel

Reine Götterlust ersehnt.


Was im eisernen Gebiete

Mühsam das Gesetz erzwingt,

Reift, wie Hesperidenblüte,

Schnell zu wandelloser Güte,

So mein Strahl ans Innre dringt;

Knechte, vom Gesetz gedungen,

Heischen ihrer Mühe Lohn;

Meiner Gottheit großen Sohn

Lohnt der treuen Huldigungen,

Lohnt der Liebe Wonne schon.


Rein, wie diese Sterne klingen,

Wie melodisch himmelwärts

Auf der kühnen Freude Schwingen

Süße Preisgesänge dringen,

Naht sich mir des Sohnes Herz:

Schöner blüht der Liebe Rose!

Ewig ist die Klage stumm!

Aus des Geistes Heiligtum,

Und, Natur! in deinem Schoße

Lächelt ihm Elysium.«

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Stuttgart 1946, S. 156-161.
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