Der Jüngling

an die klugen Ratgeber

[231] Ich sollte ruhn? Ich soll die Liebe zwingen,

Die feurigfroh nach hoher Schöne strebt?

Ich soll mein Schwanenlied am Grabe singen,

Wo ihr so gern lebendig uns begräbt?

O schonet mein! Allmächtig fortgezogen,

Muß immerhin des Lebens frische Flut

Mit Ungeduld im engen Bette wogen,

Bis sie im heimatlichen Meere ruht.


Des Weins Gewächs verschmäht die kühlen Tale,

Hesperiens beglückter Garten bringt

Die goldnen Früchte nur im heißen Strahle,

Der, wie ein Pfeil, ins Herz der Erde dringt.

Was sänftiget ihr dann, wenn in den Ketten

Der ehrnen Zeit die Seele mir entbrennt,

Was nimmt ihr mir, den nur die Kämpfe retten,

Ihr Weichlinge! mein glühend Element?


Das Leben ist zum Tode nicht erkoren,

Zum Schlafe nicht der Gott, der uns entflammt,

Zum Joch ist nicht der Herrliche geboren,

Der Genius, der aus dem Aether stammt;

Er kommt herab; er taucht sich, wie zum Bade,

In des Jahrhunderts Strom und glücklich raubt

Auf eine Zeit den Schwimmer die Najade,

Doch hebt er heitrer bald sein leuchtend Haupt.
[232]

Drum laßt die Lust, das Große zu verderben,

Und geht und sprecht von eurem Glücke nicht!

Pflanzt keinen Zedernbaum in eure Scherben!

Nimmt keinen Geist in eure Söldnerspflicht!

Versucht es nicht, das Sonnenroß zu lähmen!

Laßt immerhin den Sternen ihre Bahn!

Und mir, mir ratet nicht, mich zu bequemen,

Und macht mich nicht den Knechten untertan.


Und könnt ihr ja das Schöne nicht ertragen,

So führt den Krieg mit offner Kraft und Tat!

Sonst ward der Schwärmer doch ans Kreuz geschlagen,

Jetzt mordet ihn der sanfte kluge Rat;

Wie manchen habt ihr herrlich zubereitet

Fürs Reich der Not! wie oft auf euern Sand

Den hoffnungsfrohen Steuermann verleitet

Auf kühner Fahrt ins warme Morgenland!


Umsonst! mich hält die dürre Zeit vergebens,

Und mein Jahrhundert ist mir Züchtigung;

Ich sehne mich ins grüne Feld des Lebens

Und in den Himmel der Begeisterung;

Begrabt sie nur, ihr Toten, eure Toten,

Und preist das Menschenwerk und scheltet nur!

Doch reift in mir, so wie mein Herz geboten,

Die schöne, die lebendige Natur.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Stuttgart 1946, S. 231-233.
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