Abendphantasie

[297] Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt

Der Pflüger, dem Genügsamen raucht sein Herd.

Gastfreundlich tönt dem Wanderer im

Friedlichen Dorfe die Abendglocke.


Wohl kehren itzt die Schiffer zum Hafen auch,

In fernen Städten, fröhlich verrauscht des Markts

Geschäftger Lärm; in stiller Laube

Glänzt das gesellige Mahl den Freunden.


Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen

Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh und Ruh

Ist alles freudig; warum schläft denn

Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?


Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf;

Unzählig blühn die Rosen und ruhig scheint

Die goldne Welt; o dorthin nimmt mich,

Purpurne Wolken! und möge droben


In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb und Leid! –

Doch, wie verscheucht von töriger Bitte, flieht

Der Zauber; dunkel wirds und einsam

Unter dem Himmel, wie immer, bin ich –


Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt

Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja,

Du ruhelose, träumerische!

Friedlich und heiter ist dann das Alter.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Stuttgart 1946, S. 297-298.
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