Der Frieden

[5] Wie wenn die alten Wasser, die in andern Zorn,

In schröcklichern verwandelt wieder

Kämen, zu reinigen, da es not war,


So gählt' und wuchs und wogte von Jahr zu Jahr

Rastlos und überschwemmte das bange Land

Die unerhörte Schlacht, daß weit hüllt

Dunkel und Blässe das Haupt der Menschen.


Die Heldenkräfte flogen, wie Wellen, auf

Und schwanden weg, du kürztest, o Rächerin!

Den Dienern oft die Arbeit schnell und

Brachtest in Ruhe sie heim, die Streiter.


O du, die unerbittlich und unbesiegt

Den Feigern und den Übergewaltgen trifft,

Daß bis ins letzte Glied hinab vom

Schlage sein armes Geschlecht erzittert,


Die du geheim den Stachel und Zügel hältst,

Zu hemmen und zu fördern, o Nemesis,

Strafst du die Toten noch, es schliefen

Unter Italiens Lorbeergärten


Sonst ungestört die alten Eroberer.

Und schonst du auch des müßigen Hirten nicht,[6]

Und haben endlich wohl genug den

Üppigen Schlummer gebüßt die Völker?


Wer hub es an? wer brachte den Fluch? von heut

Ists nicht und nicht von gestern, und die zuerst

Das Maß verloren, unsre Väter

Wußten es nicht, und es trieb ihr Geist sie.


Zu lang, zu lang schon treten die Sterblichen

Sich gern aufs Haupt, und zanken um Herrschaft sich,

Den Nachbar fürchtend, und es hat auf

Eigenem Boden der Mann nicht Segen.


Und unstät wehn und irren, dem Chaos gleich,

Dem gärenden Geschlechte die Wünsche noch

Umher und wild ist und verzagt und kalt von

Sorgen das Leben der Armen immer.


Du aber wandelst ruhig die sichre Bahn,

O Mutter Erd, im Lichte. Dein Frühling blüht,

Melodischwechselnd gehn dir hin die

Wachsenden Zeiten, du Lebensreiche!


Komm du nun, du der heiligen Musen all,

Und der Gestirne Liebling, verjüngender

Ersehnter Friede, komm und gib ein

Bleiben im Leben, ein Herz uns wieder.


Unschuldiger! sind klüger die Kinder doch

Beinahe, denn wir Alten; es irrt der Zwist

Den Guten nicht den Sinn, und klar und

Freudig ist ihnen ihr Auge blieben.
[7]

Und wie mit andern Schauenden lächelnd ernst

Der Richter auf der Jünglinge Rennbahn sieht,

Wo glühender die Kämpfenden die

Wagen in stäubende Wolken treiben,


So steht und lächelt Helios über uns

Und einsam ist der Göttliche, Frohe nie,

Denn ewig wohnen sie, des Aethers

Blühende Sterne, die Heiligfreien.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Stuttgart 1953, S. 5-8.
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