Stimme des Volks

[52] [Zweite Fassung]


Du seiest Gottes Stimme, so glaubt ich sonst

In heilger Jugend; ja, und ich sag es noch!

Um unsre Weisheit unbekümmert

Rauschen die Ströme doch auch, und dennoch,


Wer liebt sie nicht? und immer bewegen sie

Das Herz mir, hör ich ferne die Schwindenden,

Die Ahnungsvollen meine Bahn nicht,

Aber gewisser ins Meer hin eilen.


Denn selbstvergessen, allzubereit, den Wunsch

Der Götter zu erfüllen, ergreift zu gern,

Was sterblich ist, wenn offnen Augs auf

Eigenen Pfaden es einmal wandelt,


Ins All zurück die kürzeste Bahn; so stürzt

Der Strom hinab, er suchet die Ruh, es reißt,

Es ziehet wider Willen ihn, von

Klippe zu Klippe, den Steuerlosen,


Das wunderbare Sehnen dem Abgrund zu;

Das Ungebundne reizet und Völker auch

Ergreift die Todeslust und kühne

Städte, nachdem sie versucht das Beste,
[53]

Von Jahr zu Jahr forttreibend das Werk, sie hat

Ein heilig Ende troffen; die Erde grünt

Und stille vor den Sternen liegt, den

Betenden gleich, in den Sand geworfen,


Freiwillig überwunden die lange Kunst

Vor jenen Unnachahmbaren da; er selbst,

Der Mensch, mit eigner Hand zerbrach, die

Hohen zu ehren, sein Werk, der Künstler.


Doch minder nicht sind jene den Menschen hold,

Sie lieben wieder, so wie geliebt sie sind,

Und hemmen öfters, daß er lang im

Lichte sich freue, die Bahn des Menschen.


Und, nicht des Adlers Jungen allein, sie wirft

Der Vater aus dem Neste, damit sie nicht

Zu lang ihm bleiben, uns auch treibt mit

Richtigem Stachel hinaus der Herrscher.


Wohl jenen, die zur Ruhe gegangen sind,

Und vor der Zeit gefallen, auch die, auch die

Geopfert, gleich den Erstlingen der

Ernte, sie haben ein Teil gefunden.


Am Xanthos lag, in griechischer Zeit, die Stadt,

Jetzt aber, gleich den größeren, die dort ruhn,

Ist durch ein Schicksal sie dem heilgen

Lichte des Tages hinweggekommen.


Sie kamen aber, nicht in der offnen Schlacht,

Durch eigne Hand um. Fürchterlich ist davon,[54]

Was dort geschehn, die wunderbare

Sage von Osten zu uns gelanget.


Es reizte sie die Güte von Brutus. Denn

Als Feuer ausgegangen, so bot er sich,

Zu helfen ihnen, ob er gleich, als Feldherr,

Stand in Belagerung vor den Toren.


Doch von den Mauern warfen die Diener sie,

Die er gesandt. Lebendiger ward darauf

Das Feuer und sie freuten sich und ihnen

Strecket' entgegen die Hände Brutus


Und alle waren außer sich selbst. Geschrei

Entstand und Jauchzen. Drauf in die Flamme warf

Sich Mann und Weib, von Knaben stürzt' auch

Der von dem Dach, in der Väter Schwert der.


Nicht rätlich ist es, Helden zu trotzen. Längst

Wars aber vorbereitet. Die Väter auch,

Da sie ergriffen waren, einst, und

Heftig die persischen Feinde drängten,


Entzündeten, ergreifend des Stromes Rohr,

Daß sie das Freie fänden, die Stadt. Und Haus

Und Tempel nahm, zum heilgen Aether

Fliegend, und Menschen hinweg die Flamme.


So hatten es die Kinder gehört, und wohl

Sind gut die Sagen, denn ein Gedächtnis sind

Dem Höchsten sie, doch auch bedarf es

Eines, die heiligen auszulegen.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Stuttgart 1953, S. 52-55.
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