Germanien

[156] Nicht sie, die Seligen, die erschienen sind,

Die Götterbilder in dem alten Lande,

Sie darf ich ja nicht rufen mehr, wenn aber,

Ihr heimatlichen Wasser! jetzt mit euch

Des Herzens Liebe klagt, was will es anders,

Das Heiligtrauernde? Denn voll Erwartung liegt

Das Land und als in heißen Tagen

Herabgesenkt, umschattet heut,

Ihr Sehnenden! uns ahnungsvoll ein Himmel.

Voll ist er von Verheißungen und scheint

Mir drohend auch, doch will ich bei ihm bleiben,

Und rückwärts soll die Seele mir nicht fliehn

Zu euch, Vergangene! die zu lieb mir sind.

Denn euer schönes Angesicht zu sehn,

Als wärs, wie sonst, ich fürcht es, tödlich ists,

Und kaum erlaubt, Gestorbene zu wecken.


Entflohene Götter! auch ihr, ihr gegenwärtigen, damals

Wahrhaftiger, ihr hattet eure Zeiten!

Nichts leugnen will ich hier und nichts erbitten.

Denn wenn es aus ist, und der Tag erloschen,

Wohl triffts den Priester erst, doch liebend folgt

Der Tempel und das Bild ihm auch und seine Sitte

Zum dunkeln Land und keines mag noch scheinen.

Nur als von Grabesflammen, ziehet dann

Ein goldner Rauch, die Sage, drob hinüber,

Und dämmert jetzt uns Zweifelnden um das Haupt,[157]

Und keiner weiß, wie ihm geschieht. Er fühlt

Die Schatten derer, so gewesen sind,

Die Alten, so die Erde neubesuchen.

Denn die da kommen sollen, drängen uns,

Und länger säumt von Göttermenschen

Die heilige Schar nicht mehr im blauen Himmel.


Schon grünet ja, im Vorspiel rauherer Zeit

Für sie erzogen, das Feld, bereitet ist die Gabe

Zum Opfermahl und Tal und Ströme sind

Weitoffen um prophetische Berge,

Daß schauen mag bis in den Orient

Der Mann und ihn von dort der Wandlungen viele bewegen.

Vom Aether aber fällt

Das treue Bild und Göttersprüche regnen

Unzählbare von ihm, und es tönt im innersten Haine.

Und der Adler, der vom Indus kömmt,

Und über des Parnassos

Beschneite Gipfel fliegt, hoch über den Opferhügeln

Italias, und frohe Beute sucht

Dem Vater, nicht wie sonst, geübter im Fluge

Der Alte, jauchzend überschwingt er

Zuletzt die Alpen und sieht die vielgearteten Länder.


Die Priesterin, die stillste Tochter Gottes,

Sie, die zu gern in tiefer Einfalt schweigt,

Sie suchet er, die offnen Auges schaute,

Als wüßte sie es nicht, jüngst, da ein Sturm

Toddrohend über ihrem Haupt ertönte;

Es ahnete das Kind ein Besseres,

Und endlich ward ein Staunen weit im Himmel,

Weil Eines groß an Glauben, wie sie selbst,[158]

Die segnende, die Macht der Höhe sei;

Drum sandten sie den Boten, der, sie schnell erkennend,

Denkt lächelnd so: Dich, unzerbrechliche, muß

Ein ander Wort erprüfen und ruft es laut,

Der Jugendliche, nach Germania schauend:

»Du bist es, auserwählt,

Alliebend und ein schweres Glück

Bist du zu tragen stark geworden,


Seit damals, da im Walde versteckt und blühendem Mohn

Voll süßen Schlummers, trunkene, meiner du

Nicht achtetest, lang, ehe noch auch geringere fühlten

Der Jungfrau Stolz und staunten, wes du wärst und woher,

Doch du es selbst nicht wußtest. Ich mißkannte dich nicht,

Und heimlich, da du träumtest, ließ ich

Am Mittag scheidend dir ein Freundeszeichen,

Die Blume des Mundes zurück und du redetest einsam.

Doch Fülle der goldenen Worte sandtest du auch,

Glückselige! mit den Strömen und sie quillen unerschöpflich

In die Gegenden all. Denn fast, wie der heiligen,

Die Mutter ist von allem,

Die Verborgene sonst genannt von Menschen,

So ist von Lieben und Leiden

Und voll von Ahnungen dir

Und voll von Frieden der Busen.


O trinke Morgenlüfte,

Bis daß du offen bist,

Und nenne, was vor Augen dir ist,

Nicht länger darf Geheimnis mehr

Das Ungesprochene bleiben,

Nachdem es lange verhüllt ist;[159]

Denn Sterblichen geziemet die Scham,

Und so zu reden die meiste Zeit,

Ist weise auch, von Göttern.

Wo aber überflüssiger, denn lautere Quellen,

Das Gold und ernst geworden ist der Zorn an dem Himmel,

Muß zwischen Tag und Nacht

Einsmals ein Wahres erscheinen.

Dreifach umschreibe du es,

Doch ungesprochen auch, wie es da ist,

Unschuldige, muß es bleiben.


O nenne, Tochter du der heiligen Erd,

Einmal die Mutter. Es rauschen die Wasser am Fels

Und Wetter im Wald und bei dem Namen derselben

Tönt auf aus alter Zeit Vergangengöttliches wieder.

Wie anders ists! und rechthin glänzt und spricht

Zukünftiges auch erfreulich aus den Fernen.

Doch in der Mitte der Zeit

Lebt ruhig mit geweihter

Jungfräulicher Erde der Aether

Und gerne, zur Erinnerung, sind,

Die unbedürftigen, sie

Gastfreundlich bei den unbedürftgen,

Bei deinen Feiertagen,

Germania, wo du Priesterin bist

Und wehrlos Rat gibst rings

Den Königen und den Völkern.«[160]

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 3, Stuttgart 1958.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich

Deutsche Lieder aus der Schweiz

Deutsche Lieder aus der Schweiz

»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon