Sechster Auftritt

[100] Vorige ohne den Pastor. Bald darauf Oberförsterin.


OBERFÖRSTER. Rudolph – he! Rudolph. Nun, mein guter Schulz – Er sieht ja wohl, wo das hinausgeht. – Bete Er für mich, daß sie mich bald aus dem Hause tragen.

OBERFÖRSTERIN mit langsamem Gange, bleichem Gesicht; mit einem Wesen, das gewaltsam versteckten Schmerz bezeichnet. Nun, wo bleibst du denn? Ich habe dir ja schon zweimal sagen lassen, du möchtest herunterkommen. – Hier steht auch noch alles – –

OBERFÖRSTER. Laß stehen – Wie geht dir's? Wie ist dir?

OBERFÖRSTERIN. Gott gibt mir viel Stärke!

OBERFÖRSTER. Geh gleich – schicke Kleider für Antonen aufs Amt, einen Überrock, eine andere Weste.

OBERFÖRSTERIN. Warum denn?

OBERFÖRSTER. Er wird hieherkommen.

OBERFÖRSTERIN. Hieherkommen? Fast ohnmächtig – sie hält sich an einem Tisch oder Stuhl. Ach Gott!

OBERFÖRSTER. Besinne dich nicht lange, mach fort!

OBERFÖRSTERIN. Kind! – Das sollte nicht sein – er sollte nicht herkommen.

OBERFÖRSTER. Um Gottes willen! Mach fort!

SCHULZ. Frau – es ist die höchste Zeit.

OBERFÖRSTERIN mit inniger Rührung. Ihr lieben Leute! Scheltet mich nicht – ich bin krank – recht krank! Es ist mein Sohn – ich habe ihn geboren – ich muß ihn ja auch vom Herzen reißen. Ich habe mich ausgeweint, daß ich nicht mehr kann – Aber nun ist mein Anton bei Gott![100] Habe ich ihn verloren, so will ich ihn auch nicht mehr sehen. Du kannst ohne mich nicht fort – es kennt dich niemand so wie ich; dir will ich beistehen bis an mein Ende – und das ist bald! Dann sehe ich ja meinen Anton wieder. Dann nimmt ihn niemand mehr von mir. – Ich will die Kleider hinschicken. Ab.

OBERFÖRSTER. Armes Weib! – Das Herz bricht mir.

SCHULZ. Eben ist auch Matthes hereingebracht worden.

OBERFÖRSTER. Lebt er noch?

SCHULZ. Ja. Ich habe ihn gesehen. Es ist ein Bote nach dem Doktor von Hochfalden geschickt – aber – lieber Gott! Ich glaube nicht, daß er den Abend erlebt.

OBERFÖRSTER. Das war noch meine letzte Hoffnung! Nun – es soll sein!

OBERFÖRSTERIN kömmt wieder. Wie geht dir's? – Ich wollte, du könntest eines von den niederschlagenden Pulvern einnehmen.

SCHULZ. Ja – das wäre wohl recht gut.

OBERFÖRSTERIN. Nimm es, lieber Mann.

OBERFÖRSTER sie sanft zurückweisend. Ach – laß mich.

OBERFÖRSTERIN. Es tat dir doch sonst immer recht wohl.

OBERFÖRSTER. Wozu brauche ich nun noch Leben und Gesundheit auf der Welt?

OBERFÖRSTERIN. Für mich – so wie ich für dich. Wir müssen einander tragen helfen.


Quelle:
August Wilhelm Iffland: Die Jäger. Stuttgart 1976, S. 100-101.
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