5. Die Fee im Walde

[462] Traurig unter grünen Buchen,

Auf dem Stiel von einem Farnkraut

Saß der Held, Don Tulifäntchen.

Nachgedankenvoll daneben

Stand der Schimmel, der loyale,

Stand der treue Zuckladoro.

Über Tulifäntchens Gramhaupt

Hing sein ritterlich Gewaffen

An der Binse schwankem Ästlein,

Hing der starke Silberlingsschild,

Hing das blanke Federklingschwert,

Müßig, angegelbt vom Roste.


In den Sand schrieb Tulifäntchen

Mit dem Fuße Zeichen, trübe,

Und der Schimmel hing die Ohren.

Beiden schwoll der tapfre Busen

Von herzkränkender Empfindung.

Aber, was verdroß den Helden?

Was hat ihm den Mut verdüstert?

Weißt du es, so sag es, Muse.

Doch sie schüttelt eigensinnig

Ihr ambrosisch Haupt, so spricht sie:

»Wenn der Dichter sich verfahren,

Und der Wagen steckt im Moore,

Soll'n wir Götter Vorspann geben.

Nein, mein Freund, nun hilf dir selber,

Frag den Helden, was ihn schmerzet?

Schaff den Rat, du schufst die Sorge,

Mir gilt's gleich, wenn Tulifäntchen

Ewig sitzen bleibt im Walde,[462]

Und am schwanken Binsenaste

Schwertlein, Schildelein verrostet.«


Eigensinn'ge Göttin, böse!

Ja, ich helf', ich helf' mir selber. –

Alte, die du dort das Reisig

Suchst im Wald mit Mühe, keichend,

Alte, komm, sei du die Muse,

Führe du das Epos weiter!


Trippelnd trat die Alte, hüstelnd

Zu dem Helden, dem betrübten,

Setzte sich aufs Bündel Reisig,

Das sie las im Wald und sagte:

»Held, warum so hypochondrisch?

Ward dir deine Liebste untreu?

Sprang dein Schild? Zerbrach das Schwertlein?

Lahmt dein unvergleichlich Kampfroß?«


Sprach der Held, Don Tulifäntchen:

»Schimmel geht noch Schaukelpaßgang,

Schwert und Schild hängt heil am Aste,

Keine Liebste ward mir untreu,

Denn mir fehlt der Schatz bis jetzo,

Doch verstimmt und höchst verdrießlich

Ist der Sohn Don Tulifants.«


Ihm versetzte drauf die Alte

Hüstelnd auf dem Bündel Reisig:

»Jene drei erwähnten Dinge,

Waffenschaden, Damenuntreu,

Spat am Schlachtroß, sind die einz'gen,

Die mit Recht in Trübsal dürfen

Stürzen einen tapfern Degen.«


Schüttelnd drauf sein kleines Häuptlein,

Sprach der Held, Don Tulifäntchen –

(Schimmel, der ihm alles nachmacht,[463]

Hat gleichfalls den Kopf geschüttelt) –

»Noch ein viertes Ding wohl gibt es,

Schwerer als die drei, das schwerste

Für ein adliges Gemüte.

Kennst du überseh'ne Helden?

Ich bin so ein Überseh'ner!


Eine Welt in meinem Busen,

Eine Welt von kühnem Tatdrang,

Werd' ich ganz und gar verachtet!

Schon drei Tage lagr' ich stillwild

Vor dem Schlosse von Brambambra,

Schon drei Tage klopf' ich trutzvoll

An die eh'rne Flügelpforte,

Schon drei Tage fordr' ich schlachtheiß

Meinen Gegner Schlagadodro

Mir herab auf Schwerteskampfstreich;

Doch mein Lagern, doch mein Klopfen,

Doch mein wildes, zorn'ges Fordern

Ist vergebens, nicht bemerkt er's.

Seine Augen übersehn mich,

Seine großen Ohren hören

Nicht mein Dringen, Zürnen, Schelten.

Vor dem Baum, dem Bauer, Schäfer,

Vor der Luft und vor der Sonne

Werd' ich, wehe mir! zum Spotte.

Ungerächt bleibt Fis von Quinten,

Ungerettet Balsamine,

Wie besteh' ich vor der Kön'gin?

Meine Bahn ist aus. Der Stern fiel

Meines Glückes in den Abgrund!

Wär' ich ein'ge Ellen länger!

Ich verfluche meine Kleinheit.«

Sprach's, und in dem Auge glänzt' ihm

Schwer und heiß die helle Zähre.


Und die Alte nahm ihn sänftlich

Auf den Schoß, strich ihm die Wangen,[464]

Strich die weichen, blonden Haare.

Schimmel sank auf beide Kniee,

Wollte seinen Herren trösten,

Leckte mit der Zung', der breiten,

Über Kopf und Brust und Beine,

Hätt' ihn fast dabei verschlungen.


Und es sprach die Alte hüstelnd,

Sitzend auf dem Bündel Reisig:

»Sohn, beruh'ge dich! Beruh'ge

Dein geliebtes Herz, sei heiter!

Sieh, ich sage dir: Zur Stunde

Fällt von deiner Faust Brambambra,

Und dem Riesen und den funfzig

Mohren bringt der Sturz den Garaus.«


Sprach der Held, Don Tulifäntchen:

»Willst du meiner spotten, Mutter?

Kannst du machen lang die Kürze?«


Darauf sprach die Alte hüstelnd,

Sitzend auf dem Bündel Reisig:

»Nicht will deiner spotten, Sohn, ich,

Nicht verlängr' ich deine Kürze.

Horche zu. Ein groß Geheimnis

Künd' ich dir; faß meine Worte.«


Tulifäntchen sah ins Aug' ihr,

Welches glüht' in Purpurfeuer,

Seltsam, geisterhaft, doch traulich.

Zucklador', der ganz getreue,

Hielt sein Ohr an ihre Lippen.

Achtsam lauschten Held und Schimmel.


Also drauf begann die Alte,

Sitzend auf dem Bündel Reisig:

»Dir bekannt ist, daß der Riese

Seine vielgeliebte Mauer[465]

Fert'gen ließ von einem Künstler,

Der aus England kam. Nun, dieser

Gentleman war seines Volkes,

Des maschinengrübeltiefen,

Tiefster Grübelmaschinist.

Mühlen, Spritz- Gieß- Wasserwerke,

Kettenbrücken, Eisenbahnen,

Tunnel, Säg- Dresch- Klopfgetriebe

Taten seinem Geist nicht G'nüge.

Höher, immer höher stieg er

An dem Himmel der Erfindung,

Und aus richtigem Erwägen,

Welch Unheil ein Weib oft stiftet,

So aus Fleisch und Bein gebaut ward,

Wieviel Ärger das Gesinde

Zeugt, das Mensch ist, gleich der Herrschaft,

Hatt' er einen Dampfbedienten

Sich gemacht, und eine Dampffrau,

Die ihm förmlich angetraut war.

Dampfbedienter, Dampfgemahlin

Taten ganz dieselben Dienste,

Wie zwei Menschen simpeln Schlages.

Sieh, so hoch stieg die Mechanik

In Alt-England! Nun hör weiter!


Jener Gentleman sprach denkend

Zu der dampfmaschinenschwangern

Hebel-räderträcht'gen Seele:

,Warum Nägel, warum Schrauben?

Warum Krampen, Kitt und Mörtel,

Baut man eine Mau'r von Eisen?

Mit so kümmerlichen Mitteln

Halfen sich die blinden Alten;

Das Jahrhundert will Ersparnis

Aller überflüss'gen Kräfte'.


Und er tat, wie er gesprochen,

Auf der Höhe von Brambambra.[466]

Setzte Platt' an Platte trocken

Ohne Kitt, bloß in die Falzen,

Mied die Nägel, mied die Schrauben,

Mied die kümmerlichen Mittel,

Womit sonst man Sachen festmacht.

Einen einz'gen dünnen Stift stieß

Ins Scharnier ein, in dem Schwerpunkt

Jener Gentleman. Der Stift hält,

Dieser einz'ge Stift, das merke,

Hält die ganze Riesenmauer.«


Auf vom Schoß der Alten glühend

Sprang der Held, Don Tulifäntchen,

Schimmel auch sprang auf ganz kühnlich,

Und schlug aus vor Freude, was er

Nicht getan seit langen Zeiten.

»Wo sitzt dieser Stift? Das sag mir«,

Rief der Held, Don Tulifäntchen.


Ihm versetzte drauf die Alte:

»In dem Löchlein links der Pforte,

Sitzet dieser Stift der Stifte.

Ganz umsonst hätt' einem Manne

Von gewöhnlicher Statur ich

Solche Heimlichkeit verraten.

Denn das Loch ist just so groß nur,

Daß ein Held von deiner Länge

Kriechen kann in seine Öffnung.

Dieses ist die Zeit der Kleinen,

Sag' ich, wie an deiner Wiege

Ich's gesaget deinen Eltern.«


Und vor den erstaunten Augen

Tulifäntchens, Zuckladoros

Wirkte sich ein Wunder, freud'ger,

Als die dürren von Alt-England.

In der Alten Angesichte

Glätteten sich alle Runzeln,[467]

Weiß und Rot und süße Fülle

Keimt' und reift' auf welken Wangen,

An den Schultern sproßten Flügel

Goldenschillernd, blaubepunktet,

Das Gewand fiel ab vom Leibe,

Samt dem Strick, der es gefestet,

Und in nackter Götterschönheit

Stand die zarte Fee Libelle,

Regenbogenglanzumwoben!


Nieder in den Staub der Held sank,

Doch die Fee sprach mild, wie Flöten:

»Fürchte nichts, o mein Erkorner!

Auf! In diesen Armen trag' ich

Durch die Luft dich nach Brambambra.«


Tulifäntchen griff betäubet

Nach dem Schild, dem guten Schwertlein;

In die Arme nahm, die seidnen,

Fee Libell' ihn, drückt' ihn zärtlich

An die Brust, die sammetweiche,

Gleich der Mutter, die das Kind herzt.

Stieß am Platz den zarten Fuß auf,

Wie der Rudrer stößt vom Land ab,

Hob sich in die Lüfte, spreitet'

Aus die Flügel, goldenschillernd,

Flog, den Helden lind im Arme,

Felsenauf durch Klipp' und Dickicht.

Aber, wo ihr Fuß getreten,

Sproßten duftreich Hyazinthen,

Und ein Streif von rotem Lichte

Zog sich, wo die Fee geflogen,

Nach der göttlichen Erscheinung.


Schimmel stand verdutzet, schnobernd,

Roch die Blumen an, der Zweifler.

Sprang dann, ein bekehrter Heide,

Felsenauf, dem roten Glanz nach,[468]

Nach dem Helden, der begünstigt

Schwebt' empor in Geisterarmen.


Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 1, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 462-469.
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