7. Die Toten

[474] Erst gelangten sie zum Platze,

Wo der Riese lag, der Biedre,

Sechs Feldlängen Wegs bedeckt' er,

Ihm zerbrochen war das Kreuzbein,

Und er jappte noch ein kleines.

Tuend auf den Mund, den großen,

Sprach der Riese Schlagadodro:

»Fremdlinge! Wofern ihr Scheu tragt

Vor der Sterbenden Geboten,

Setzt mir einen Stein, und schreibet

Drauf: 'Hier ruhet aus ein Riese,[474]

Dem die Tugend ward Verhängnis.

Hätt' er nicht auf seiner Mauer

Voll Enthaltsamkeit gesessen,

Nein, dafür mit seiner Liebsten

Ein französisch Buch gelesen,

Brach er nimmer sich das Kreuzbein.

Dieses lehrt: Auch in der Tugend

Halte Maß! Beweine, Wandrer,

Unsern jungfräulichen Riesen!

Ungeschlacht hieß sein Herr Vater,

Tramplagonde die Frau Mutter,

Doch er selbst hieß Schlagadodro.'«


Sprach der Held, Don Tulifäntchen:

»Was du bittest, scheint mir billig.

Rüsten werd' ich dir das Grabmal

Nach den Worten deines Mundes.«

Und der Riese starb beruhigt,

Sicher seines Keuschheitsnachruhms.


Weiter gingen Held und Fee

Über Trümmer durch das Schlachtfeld.


Rings um zwei gegrabne Gräber

Lagen funfzig schwarze Mohren,

Alle tot und schon erkaltet.


Sprach der Held, Don Tulifäntchen:

»Göttliche, sieh dieses Wunder!

Alle funfzig schwarze Mohren

Brachen gleichfalls ab das Kreuzbein,

Also zählen wir bis jetzo

Einundfünzig Brüch' am Kreuzbein,

Gleiche Wunden, gleicher Bruch wie

Bei dem Herrn, so bei den Sklaven!«


Ihm versetzte Fee Libelle,

Flügelschwingend, rosiglächelnd:[475]

»Auf dem Schlosse von Brambambra

Galt ein unbedingt Gehorchen,

Was der Herr sich abgebrochen

Brachen aus Respekt die Sklaven

Gleichfalls ab, im Tod noch Knechte.«


Frug der Held, Don Tulifäntchen:

»Göttliche, wo blieb der letzte

Einundfünfzigste der Mohren?«


Ihm versetzte Fee Libelle:

»Dieser war kein echter Schwarzer,

Hatte sich nur angeschwärzet,

Um in Dienst bei diesem Riesen

Zu gelangen. Seines Zeichens

War er ein Professor Deutschlands,

Welcher liest die Nibelungen

Auf dem neugeschnitzten Lehrstuhl.

Zu des Lieds Verständnis braucht' er

Blick und Einsicht in die Tiefen

Einer ungeschlachten Wirtschaft,

Darum ward er hier Bedienter.

Heute morgen leis' entschlüpft' er,

Denn sein Studium war vollendet.«


Weiter schritten Held und Fee

Über Trümmer durch das Schlachtfeld.


Unter zwei geborstnen Balken,

Fanden sie, beströmt von Blute,

Einen Mann in grünem Biber,

Lang und hager, das Gesicht glich,

Länglich, dem Gedankenstriche.

Neben ihm stand ein betrübter

Diener in Livree, ein Frau'nbild,

Beide jammernd nach dem Takte.[476]

»Wes die Leiche? Wer die beiden?«

Frug der Held, Don Tulifäntchen.


»Dieser ist der Mann aus England«,

Sagte Fee Libelle lächelnd,

»Der maschinengrübeltiefe,

Der Erbauer dieses Werkes.

Er kam her auf seinen Reisen,

Wollte nachsehn an der Mauer,

Ob noch alles wohl im Stand sei?

Da erschlug ihn seine Mauer.

Was wohl nicht geschehen, hätt' er

Mehr als einen Stift verwendet,

Kitt gebraucht und Nägel, Schrauben,

Nach der dunklen Alten Weise.

Dieses lehrt: Auch in Mechanik

Halte Maß, wie in der Tugend!

Träger aber sind des Leides

Dampfbedienter, Dampfgemahlin.«


Wundernd schaute die Gebilde

An der Held, Don Tulifäntchen.

Menschen schienen sie vollständig

Von gewohntem Fleisch und Beine,

Nur am Hinterkopf bemerkt' er

Eine Röhre, klein von Eisen,

Aus der Röhre stieg ein Rauch auf,

Zeichen ihrer innern Gluten,

Angefacht von Kohlenfeuer.


Schalkhaft drehte Fee Libelle

Einen Hahn, den beide trugen

An dem linken kleinen Finger.

Zischend, gischend schoß ein Dunst vor,

Wurde schwächer, beide schnappten

Plötzlich ab in einem »Ach!«

Nicht vollendend ihre Klage;

Blieben stehen, fühllos, starr,[477]

Wurden kalt wie Eis, so schloß sich

Dieser Dampfmaschinen Gram.


Weiter schritten Held und Fee

Über Trümmer durch das Schlachtfeld.


Ach, da lag am stillen Platze,

Unter Tränenweiden, falben,

Ach, da lag ein teurer Toter,

Ach, da lag mit blut'gem Haupte

Zucklador', der treue Schimmel!

Jammernd sah ihn Tulifäntchen,

Warf sich auf des Gaules Leichnam,

Und so tönt' er aus sein Wehe:


»Ach, mein Roß, mein liebes Rößlein!

Ach, mein vielgetreuer Schimmel!

Ach, du Herz von meinem Herzen!

Ach, du Seele meines Lebens!

O wie ist mein Sieg verarmet!

Ach, nun hab' ich keinen Freund mehr

Auf der Erde! Ach, mein Rößlein,

Ach, mein Schimmel, lieb und brav!«


Und gerührt sprach Fee Libelle:

»Hätt' ich doch auch diesen schirmen

Können mit den Götterflügeln!

Doch wer denkt, wer denkt an alles?«


Tulifäntchen lag und klagte,

Fee Libelle sagte tröstend:

»Nun erheb dich, Held! Das Schicksal

Fordert Zoll selbst von den Göttern.

Aphroditen ward Adonis

Von des Ebers Zahn zerfleischet,

Große Taten kauft nur Blut,

Und der Liebsten blasse Leiche.

Mauerstürzer, Riesensieger,[478]

Auf! Erheb dich! Pflanz dein Schwertlein

In den Schloßhof deines Erbes,

Denn die Burg war deiner Väter.

Führ zur Mutter die Prinzessin,

Welche liegt, vom Knall betäubet,

In den Schlingen tiefer Ohnmacht!«


Ernst erhob vom toten Rosse

Sich der Paladin, und sagte:

»Folgen wir denn unsrem Stern!

Die Ruinen, jener Tote

Sagen uns: wie auch der Lorbeer

Festlich unsre junge Schläfe

Heut umgrünet, gleich dem Pfande

Eines ewiglichen Glückes,

Daß wir gleichfalls können werden

Die Ruine von uns selber,

Und daß wir durch keinen Sieg

Sieger werden des gemeinen

Loses aller Staubgebornen.«


Sprach's. Durch Trümmer in den Schloßhof

Ging die goldbeschwingte Fee,

Ging der Held, Don Tulifäntchen.
[479]

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 1, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 474-481.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tulifäntchen
Tulifäntchen
Tulifäntchen: Ein Heldengedicht in Drei Gesängen (German Edition)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Noch in der Berufungsphase zum Schulrat veröffentlicht Stifter 1853 seine Sammlung von sechs Erzählungen »Bunte Steine«. In der berühmten Vorrede bekennt er, Dichtung sei für ihn nach der Religion das Höchste auf Erden. Das sanfte Gesetz des natürlichen Lebens schwebt über der idyllischen Welt seiner Erzählungen, in denen überraschende Gefahren und ausweglose Situationen lauern, denen nur durch das sittlich Notwendige zu entkommen ist.

230 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon