Dritte Szene


[294] Zimmer im Kreml.

Alexis. Euphrosyne.


EUPHROSYNE.

Was wollte nur der Fürst?

ALEXIS.

Weiß nicht, mein Mädchen.

EUPHROSYNE.

Ich hab' ihn niemals so gesehn, sein Antlitz

War häßlicher, als je. Er zerrt' Euch wild

Am Saum des Kleids, und nach der Türe deutend,

Rief er: »Folgt mir nach Petersburg!« Ihr rißt,

Empört von so unwürdigem Begegnen,

Euch los, und standet stolz, den Rücken wendend

Dem schlechten Mann.

ALEXIS.

Du hast nicht recht gesehn.

EUPHROSYNE.

Nicht recht gesehn?

ALEXIS.

Das tat Alexis nicht.

EUPHROSYNE.

Nun freilich tatet Ihr's. Ihr blicktet kühn;

Die Hand am Säbel, Aug' gen Himmel, fest

Auf Euren Füßen ... ach, recht wie ein König!

Ich hätt' die Hand Euch küssen mögen.

ALEXIS.

Kind,

Das war Alexis nicht.[295]

EUPHROSYNE.

Wer war's denn sonst?

ALEXIS.

Ich kann dir das nicht sagen. Doch Alexis

War jener stolze Trotz'ge nicht.

EUPHROSYNE.

Ihr scherzt.

ALEXIS in Tränen.

Es ist ja auch in Rußland lust'ge Zeit.

EUPHROSYNE.

Ihr habt die Laune heut.

ALEXIS.

Bleibst du dabei?

Der Menzikof ist ein verruchter Schalk,

Ein Bube und ein Wolfsherz! Ward vom Zar

Gesetzt zum Hüter seines blöden Sohns.

Ein ungetreuer Knecht! Er goß dem Sohn

Gift in jedweder Stunde Trank, erniedernd

Höchst frevelhaft den Samen Romanows!

Riß Vaters Herz von Sohnes Herzen, tückisch

Begrub er seines Herren Kind in Schmach.

Ein Bau'r empörte sich ob solchen Drangs;

Was tut's dem Zarewitsch? Alexis, wisse,

Vernahm in seinem Geiste nie das Wort

Der Ehre. »Nur der Edle fühlt den Schimpf,

Und Schmerz hört auf, wo niedrer Sinn beginnt.«

Weißt noch? So steht's geschrieben in dem Buch,

Das du mir jüngst des Abends vorgelesen.

Alexis' Brust ist ein zerstörtes Schloß,

Worin ein Frevler hauste. Wüst Getier

Durchkriecht die Trümmer. Ja, der hätt' den Mut

Gehabt, dem mächt'gen Menzikof zu trotzen![296]

EUPHROSYNE.

Weh, warum schmäht Ihr Euch?

ALEXIS.

Muß ich's denn nicht?

Es sagt's der Zar, ich sag's dem Zaren nach,

Der Zar hat immer recht.

EUPHROSYNE

Ihr seid nicht so.

Ich war ein armes Mädchen, näht' und spann,

Den Schwächling hätt' ich nicht geliebt! Ja, wär' ich

An deinem Platz geboren, sollte mir

Die nächste Sonn' in meiner Feinde Blut

Rot untergehn! Hut in die Stirn gedrückt,

Schwert in der Hand ...

ALEXIS.

Du bist auch tapfer, Mädchen.

Mit mir ist's anders, armes Kind. Alexis

Ist feig!

EUPHROSYNE stampft mit dem Fuße.

Du sollst nicht lügen!

ALEXIS.

Kleine Bosheit!

Es sagt's der Zar, ich sag's dem Zaren nach,

Der Zar hat immer recht.

EUPHROSYNE.

Der Zar! Dein Feind!

ALEXIS.

Der Vater, der den Sohn doch kennen muß.

Ich will dir's auch beweisen. Sieh, den Zaren

Ergreift Gelüst, dem Türken was aufs Haupt

Zu geben, der in Stambul nickt und träumt,[297]

Und gern in Ruhe wär'! Flugs wird getrommelt

Nach Osten zu. Fünfhundert Feuerschlünde

Sie donnern Schreck ins Herz dem Padischach.

Ist's dort vorbei, geht's an den Schweden, der

Uns auch wohl ließe, ließen wir ihn nur

Sein Haferbrot verzehren. Schuß um Schuß!

Der Schwede flieht, man nimmt ihm ein Stück Land.

So gibt es Schlacht auf Schlacht, und Sieg und Ruhm,

Und Orden für die Tapfern. Mich, mein Mädchen,

Sah nie der Batterien gekrauster Dampf.

Ich hab' mich krank gemacht, um wegzubleiben.

Lorbeern von ihm! O pfui! Bei St. Georg!

Riss' auch der Zar die große Gottessonne

Vom Himmel, sprach': »Die Sonne geb' ich dir

Als Ordensstern für deinen ersten Sieg!«

Mich reizt' es nicht. So bin ich nun. Gott helf mir!

Da frag' ich dich, ob das nicht Feigheit ist?


Ein Schuß fallt durch das Fenster. Euphrosyne fliegt mit einem Schrei an Alexis Brust.


Bist du verletzt?

EUPHROSYNE.

O Gott!

ALEXIS.

Doch nicht verletzt?

EUPHROSYNE.

Ach was war das?

ALEXIS.

Ein Schuß, der mir vermutlich

Beschieden war von einem Dienstbeflissnen,

Den Zar der fernem Sorge zu entheben.

Du bist doch wirklich nicht verletzt?

EUPHROSYNE.

Nein! Nein!

Ach, meine Glieder zittern![298]

ALEXIS lächelnd.

Zarte Heldin!

EUPHROSYNE sich in Alexis Arme aufrichtend.

Und du? Wie ist's mit dir?

ALEXIS.

Was meinst du?

EUPHROSYNE.

Gib

Mir deine Hand.


Alexis reicht ihr die Hand.


Ei, die ist warm. So warm,

Als wie vorher.

ALEXIS.

Nun, warum soll sie kalt sein?

EUPHROSYNE die Hand auf Alexis Brust legend.

Dein Herz, wie ruhig schlägt es!

ALEXIS.

Pocht das deine?

EUPHROSYNE.

Bist du denn nicht erschreckt?

ALEXIS.

Erschreckt? Wovon?

Ah so, der Schuß!

EUPHROSYNE.

Ihn wollten sie ermorden!

O du mein Herz! Dich! Dich! O die Verworfnen!

ALEXIS.

Sie weint und zittert. Wenn man es noch hört,

Da hat's ja keine Not. Beruh'ge dich.[299]

EUPHROSYNE.

Ach, wie wird's enden, Lieber?

ALEXIS.

Hast du Furcht?

EUPHROSYNE.

Schilt mich, ich sollte stärker sein. Ach Lieber,

Wie endet dies?

ALEXIS.

Was soll an mir geschehn?

Das Schreckliche liegt hinter mir. Die Kugel,

Nun ja, sie hätt' mich treffen können. Selig,

Betaut von deiner Augen mildem Guß,

Ruht' aus der Zarewitsch. Sie flog vorbei. –

Tat nicht ihr äußerstes die Wut an mir?

Ward ich nicht abgesperrt von meinen Freunden,

Bewacht, gehegt, wie ein gefährlich Wild?

Wann sah ich einen Menschen? Weht das Lüftchen

Von draußen, das dem Sohn des Zaren Nahrung

Zu frevelnden Gedanken brächte? Ward

Die eigne Mutter nicht dem Sohn versagt,

So oft er auch gefleht, daß er die Hand

Dürft' küssen, die des Knäbleins schwachen Schritt

Gestützt! O meine Mutter! – Euphrosyne,

Gestorben bin ich schon – und Leichen sind

Frei, unantastbar.

EUPHROSYNE.

Du hast einst geatmet!

Vergiß'st du, was gewesen?

ALEXIS.

Das vergab er.

EUPHROSYNE.

Wenn du die ganze Wahrheit ihm bekannt.[300]

Alexis Mein Los verdient' ich, hätt' ich das getan.


Nach einer Pause.


Wir haben in Gedanken uns gewiegt,

Aus Einbildungen uns den Thron gebaut,

Empörung in der Wünsche luft'gem Reich

Gesponnen, bei des Vaters Leben, endlich

Es bis zur Flucht getrieben, um den Arm

Des Kaisers zu gewinnen für die Sache

Notschreinder Fürstensöhne! – Ha, es war

Nicht Recht! – Wer aber wagt, mir's vorzuwerfen?

Ich kam zurück, hab's eingestanden!

EUPHROSYNE.

Nahmst

Großmütig alles auf dein Haupt. Wart Ihr

Der einz'ge Schuldige?

ALEXIS nach einer Pause.

Ich war es nicht.

Es sannen andre mit mir. Heimlich lief,

Gleich einem stillen Feu'r, mein Name durch

Des Reiches Adern. Was da litt und grollte,

War mein Vasall. Genug davon. Du weißt's.

Geh hin. Gib's an.

EUPHROSYNE.

Mitunter denk' ich, hier

Könn' ich auch dazu kommen. Laßt, ich bitt' Euch,

Die Briefe mich verbrennen.

ALEXIS.

Von der Mutter?

Tu's; wenn es dich beruhigt.

EUPHROSYNE.

Gleich geschieht's.


Sie will fort.
[301]

ALEXIS hält sie zurück.

Es soll nicht sein. In ihren Zügen lacht

Durch allen wilden Schmerz, und durch den Frevel

Verwegner Plane, wie ein Götterantlitz

Die ganze Zärtlichkeit der Mutter. Mich

Erkiest sie drin zum Ritter ihres Unglücks;

So hat die Mutter ihren Sohn geehrt!

Zwei Menschen lieb ich auf der Welt,

Dich und die Mutter! Jeder Strohhalm ist,

Den Eure Finger rührten, heilig mir.

O wenn ein teures Haupt geschieden ist,

Dann möchten wir das Stäubchen selbst besitzen,

Auf das der Fuß des lieben Toten trat. –

Sie stirbt doch einst! Die Briefe meiner Mutter

Solln nicht verbrannt sein. Still von dieser Not,

Wenn du mich liebhast. Von 'ner andren: Hör,

Ich hab dir lang was sagen wollen. Heut

Ist's neu emporgeregt.

EUPHROSYNE.

Was meint Ihr, Prinz?


Alexis sieht starr vor sich hin.


Nein, sprecht denn auch. Ihr starrt hinaus, Ihr macht

Mir durch das Schweigen bang.

ALEXIS.

Die Welt ist ja

Nur eine Hölle! – – Ha, wozu das Tröpfchen

Von Freude in dem Ozean der Qual? –

Ich bitt' dich, liebe Euphrosyne, sei

Nicht bös, tu' ich dir weh.


Er tritt zu ihr und berührt ihr Haupt.


Senk deine Augen!

Seh' ich in die, vermag ich's nicht. – – Es ist

Durchaus bei mir entschieden. – Einz'ge Liebe:

Du mußt mich heute noch verlassen![302]

EUPHROSYNE.

Prinz?

ALEXIS.

Du mußt mich heute noch verlassen, Mädchen!

Sei still, und blick nicht auf. – Als ich dich fand

In deiner Fischerhütt', ein köstlich Perlchen

Am Meer, da dacht' ich: willst die Perle fassen

Ins Diadem, daß sie der Neid des Stolzen,

Die Lust der Guten sei, des Herrschers Wonne.

Und nahm die Perle auf vom Strand des Meers,

Und wahrte sie am Busen ...

EUPHROSYNE.

Alexis!

ALEXIS.

Anders

Ist es gekommen! – Meine Perle liegt

In eines Bettlers Hütte!

Fluch dem, der seine Lieb' zu sich erniedrigt!

Ich wollte dich erhöhn, das konnt' ich nicht,

Erniedrigt dich zu sehn, das duld' ich nicht:

Du mußt mich heute noch verlassen, Kind!

EUPHROSYNE.

Seid Ihr zu End'?

ALEXIS.

Er hat gewagt, vor deinem,

Vor der Geliebten Auge, Hand an mich

Zu legen! Er, der Knecht, der in dem Staub

Sich vor Alexis winden müßte, gäb's

Noch Väter, welche ihre Söhne höh'r,

Als ihre Grillen hielten – –

Vor deinen Augen, die vom Glanz der Majestät

Geblendet, schwimmend zucken müßten, staunend:

Ob dieser Glänzende Alexis sei?

Vor deinen Augen schändet mich der Knecht!

Das darf nicht wiederkehren! Geh hinaus,[303]

Verlaß den Kreml. O glaube, niemand hält dich,

Sprichst du: »Auch ich lass' jetzt den Zarewitsch«.

Zeuch einsam, stumm die Straße bis zum Meer,

Wo deine Hütte steht! Dort birg dich, Liebe,

Und harr' ein Weilchen! Bald, bald kommen Träume,

Trosthelle Träume dir. Vom großen Prinzen

Alexis, der in Macht und Herrlichkeit

Saß auf der Väter Stuhl; und – der dich lieber

Gehabt, als all' die Macht und Herrlichkeit! –


Er umfaßt sie.


Willst du wohl wandern gehn, daß bald so schöne,

So sanfte Träume kommen?

EUPHROSYNE.

Ich verlange

Nach Träumen nicht, mein Wachen ist mir süß.

Verbannte Fürsten suchen Einsamkeit,

Und leben dort in Frieden. Frischer grünt

Das Blatt des Baums, die Blume duftet würz'ger,

Kann Blatt und Blume einen König trösten.

Alexis! Deines Mädchens Brust ist nur

Ein Gärtlein, wird dir Rußland nicht ersetzen!

Doch alle Veilchen, die drin blühn, die Rosen,

Die drin sich aufgetan, und jeder Keim,

Der drinnen sproßt, das alles sproßt und blüht

Doch nur für dich! Das arme Gärtchen ist

So glücklich, daß es treu dem König blieb.

Du mußt, mein stolzer Prinz, dem stolzen Ding

Schon seine Laune lassen!


Sie entfernt sich.


Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 4, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 294-304.
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