Sechste Szene


[494] Zar Peter. Alexis.


PETER tritt zu Alexis.

Ihr wart sehr krank?

ALEXIS.

Ich glaube, ja! Der Arzt wird's Euch berichten.

Das Fieberbett vergeß' ich nicht, o Herr!

Wild spiegelte der Geist die ärgsten Fratzen

Den glühnden Sinnen vor. Die Mutter trieb

Mit falschen Freunden mich zu Freveln ... drauf

Den Vater schützt' ich gegen Mörder ... Er[494]

Stieß unter Schergen mich, beschuldigt alle

Der größten Bosheit ... Treu blieb ich der Mutter,

Und das verriet ein Mädchen, die mich liebte,

Und das bezeugte gegen mich der Vater ...

Dann folgte noch etwas ... Allein, wie bin ich?

Da steht mein Herr und mein Monarch! Vergebt,

Daß ich vor Euch von solchen Nichtigkeiten

Zu reden mich erdreiste.

PETER.

Nichtigkeiten! –

Ihr habt im weitsten Sinne recht. Wohl Euch,

Daß Ihr's im Fieber nur erfuhrt.

ALEXIS.

Ich bin

Gottlob jetzt hergestellt, und doppelt, hoff' ich.

Wenn ich nicht irre, haßt' ich sonst. O Torheit!

Der Haß ist Tod, ich aber lebe ja!

Ein Fremdes ward aus mir hinweggespült.

Mein unnatürlich Dasein, ich empfind' es,

Und geb' es auf.

PETER.

Das heißt verständig reden.

ALEXIS.

Nehmt meinen reinsten Dank für den Besuch.

PETER außer Fassung.

Dank nicht! – Soll ich zu Boden stürzen? Soll'n

Gefoltert, meine Glieder knirschend schlottern? –


Sich mühsam bezwingend.


Ich bin in Worten karg. Mit einem Wort:

Du tust mir leid. Ich wollt', du wärst ein Kind,

Und jene traur'gen Jahre lägen vor uns!

In milder Pflege hätte deine Blüte

Sich wohl entfaltet! Dieses Ehrenzeugnis[495]

Gibt dir hiemit Gerechtigkeit. Die Macht

Des Unheils überwältigt mich; der Mensch

Bleibt, was er ist. Wenn einer zwanzig worden,

Kenn' ich den Mann. Kein Vorwurf, Wahrheit nur!

Ich kam nicht her, dir weh zu tun. Ich will

Was irgend billig ist, dir gern gewähren.

Sag deine Wünsche mir.

ALEXIS.

Erleucht' mich, Geist,

Daß ich Vernünft'ges bitt' in dieser Stunde! –

Drei Bitten aber hab' ich, großer Zar,

Die erste ist: Gib meine Freiheit mir!

Die Luft da draußen weht für jedermann,

Weshalb, unschuldig, atm' ich Kerkerdampf?

Die zweite ist: Zwing mich nicht, wie du pflegtest,

In deines neuen Wirkens schroffe Qual!

Ich will es anschaun, achtsam, emsiglich,

Und find' ich mir's gemäß, am selb'gen Tag

Fleh' ich zu dir: Gebrauch mich, wo du willst.

Die dritte ist: Gönn' offenen Verkehr

Mit jenen Alten mir, die feindlich dir!

Es war nicht gut, daß wir einander nur

Im Dunkel, im Verborgnen nahen durften,

Versagter Umgang steigt im Wert. Vielleicht

Lieh nur dein Zwang den Männern Tugenden,

Drum gönne Umgang mir am Tageslicht!

Mein fürstlich Ehrenwort verpfänd' ich dir,

Nichts Böses sinnen sie, das du nicht hörst.

Find' ich sie unverständig, dumpf und roh,

Will ich nicht ruhn, bis ich zu dir sie wandte;

Den Mittler laß mich sein von dir zu ihnen.

Ein Gut sonach in drei Gestalten: Freiheit!

Gib dreifach mir das eine, mein Monarch.

PETER.

Habt Ihr nicht sonst etwas zu bitten?[496]

ALEXIS.

Nein.

PETER.

Bedenkt Euch drauf.

ALEXIS.

Ich hab 'nichts mehr zu bitten.

Trotz Eurem Zweifel aber hoff' ich! Ja:

Ich werde würdig zählen in der Reihe

Erlauchter Romanows, die du verklärst.

PETER.

Man soll an nichts verzagen. Hoffe nur!

Die Bitten, die du tatst, gewähr' ich dir,

Frei wirst du heute noch von meiner Haft,

Nicht zwing ich ferner dich zu meinem Werk,

Und deine Freunde lud ich selbst zu dir.


Er deutet auf den Pokal.


Jetzt trink!

ALEXIS.

Was soll ich trinken?

PETER.

Diesen Trank!

ALEXIS.

Ich bin geheilt, mein güt'ger Herr.

PETER.

Der Kranke

Wähnt's oft zu früh. Du zaudre nicht! Von Grund aus

Das alte Übel wegzutilgen, trink!

ALEXIS tritt zum Pokal.

Bleich seht Ihr aus, und Eure Knie wanken.

Ist dies ein Stärkungstrank, so scheint er Euch

Mehr nütz, als mir.


Er hebt den Deckel ab.
[497]

O laßt uns frohen Brauch

Ehrwürd'ger Väter üben! Jeder Bund

Der Lieb' und Freundschaft ward im Kelch besiegelt.

Auch wir errichteten den Bund. Ich bitt' Euch,

Geruht, mir diesen Becher zuzutrinken.

PETER.

Sei du versichert, daß, wenn ich dem Trieb,

Der Sehnsucht, meinem Durste folgen dürfte,

Ich nicht die Neige dir des Trankes ließe!

Halb aber hilft er nicht; so sei denn dir

Der ganze Kelch gegönnt.


Alexis trinkt. Peter hält sich an einer Säule.


ALEXIS.

Ihr schwankt!

PETER.

Wie schmeckt' es?

ALEXIS.

Ich hab' mich zu sehr angestrengt. Ich bin

Noch schwächer, als ich dachte. Müdigkeit

Rinnt süß durch mein Gebein; es liegt

Wie Flor um alle Nerven. 'S ist so eigen ...

So muß dem Sterbenden zumute sein;

Ach, Herr, ich freu' mich, daß ich auferstand!

Darf ich wohl morgen in die Kirche fahren?

PETER.

Sollst morgen abend in die Kirche fahren! –

Leg' dich zur Ruh! Richt' dein Gemüt auf Hohes,

Mit edlem Stoff erfülle ganz die Seele,

So schlummre ein!


Er reicht ihm die Hand.


Ich bringe dich zur Rast.


Er führt ihn in den Alkoven.

Der Vorhang fällt hinter ihnen zu.


Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 4, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 494-498.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Alexis
Alexis: Eine Trilogie Von Karl Immermann . (German Edition)

Buchempfehlung

Dulk, Albert

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Diese »politische Komödie in einem Akt« spiegelt die Idee des souveränen Volkswillen aus der Märzrevolution wider.

30 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon