Drittes Kapitel

[174] Leichtern Herzens setzte sich Hermann unter der Laube, wo die Rektorin hatte decken lassen, zu Tische. So rasch war ihm seit lange nichts geglückt. Er war sehr heiter, und überbot sich mit der Alten, welche nichts lieber hatte, als Lachen und Lustigkeit, in drolligen Einfällen. Ein junger Mann, welcher ihm als der Konrektor vorgestellt worden war, und ein wohlgebildetes Frauenzimmer, jedoch schon in gewissen Jahren, auch dem Hause, wie es schien, angehörig, und Wilhelmine genannt, machten die Gesellschaft aus. An verschiednen kleinen Aufmerksamkeiten, die der Konrektor, der sonst ziemlich zerstreut war, ihr erwies, und an flüchtig gewechselten Blicken konnte er bald abnehmen, daß zwischen ihnen ein Verhältnis entstanden oder im Entstehen sei.

Cornelie saß mit niedergeschlagnen Augen ihm gegenüber. Sie berührte die Speisen kaum, sprach nichts und antwortete, wenn er sie anredete, errötend nur das Notwendigste. Die Rektorin, welche schon bei der Szene im Garten ihre eignen Gedanken gehabt hatte, ließ zwischen beiden prüfende Blicke hin und her wandern. Er brannte, zu erfahren, wie Cornelie hieher komme, und beschloß, die Rektorin darüber sobald als möglich auszufragen.

Sie waren beim Obste, als eine kräftige tiefe Baßstimme durch das Weinlaub erscholl, und der Virgilianische Vers:

Nunc frondent silvae, nunc formosissimus annus!

den Speisenden zugerufen wurde. Alles sprang auf, die Rektorin rief: »Der Vater!« und herzte eine lange hagre Mannsgestalt, welche mit heftigem Schritte in die Laube trat. »Quis?«[174] fragte der Rektor, auf Hermann deutend. »Candidatus, nec non, nisi fallor, baccalaureus«, versetzte seine Frau. »Salve!« sagte der Rektor, und gab ihm derben Handschlag.

»Ubi liberi?« fragte die Rektorin. »Sie schwärmen noch, sicuti hoedi, wie die Böcklein, in pratis«, antwortete der Hausherr. »Da die Ferien erst morgen zu Ende gehn, so wollte ich ihnen diese fernere Freiheit gönnen, denn auch Cicero scherzte nach den Staatsgeschäften in seinem Tusculo.«

Er bat die Gesellschaft, sich nicht stören zu lassen; er sei ermüdet, und wolle schlummern, worauf er sich entfernte, ohne den Hut vom Haupte zu tun, den er auch bei dem Eintritte nicht abgenommen hatte.

Nach dem Essen sagte die Rektorin: »Nun zu unsrem Eumäos. Der Himmel ist wunderklar, wir werden einen prächtigen Nachmittag draußen haben. Cornelie« – fuhr sie nach kurzem Innehalten schalkhaft fort–»mag mit dem Gastfreunde vorangehen, und ihm die Gegend zeigen, wir alten verständigen Leute, der Herr Konrektor, du Wilhelmine und ich, schlendern gemächlich hinterdrein.«

Auf dieses Wort entfernte sich Cornelie, wie um etwas zu holen, und einige Augenblicke darauf sah Hermann sie zu seinem Verdrusse mit dem Konrektor und Wilhelminen, denen sie einen verstohlnen Wink gegeben hatte, über die Straße nach dem Tore zu gehn.

Die Rektorin hatte sich den Strohhut aufgesetzt und kam zurück. »Noch hier?« fragte sie. »Wo ist das Jungfräulein?« – »Es scheint«, erwiderte Hermann etwas verlegen, »daß man meine Begleitung nicht wünscht. Woher ist dieses junge Mädchen? Wem gehört sie an? Was führte sie zu Ihnen?«

»Ei, so eifrig!« sagte die muntre Frau. »Und wie unwissend der Herr Kandidat sich anstellen! Gut denn, da Sie der Belehrung in dieser Hinsicht so bedürftig sind, so sei Ihnen gedient. Mein Cornelchen ist die Pflegetochter der Kommerzienrätin Hermann, von dieser meiner alten Jugendfreundin mir auf einige Monate zum Besuche geschickt. Damit aber hat die Beichte ein Ende; das übrige bleibe vorderhand noch unter sieben Siegeln. Jetzt auf Ihre drei Fragen eine zurück: Was halten Sie von dummen Streichen in der Liebe?«[175]

»Wie soll ich das verstehn?« fragte Hermann äußerst bestürzt.

»Zum Beispiel so. Wenn ein junger Mann nur geradezu, ehrbar, im schwarzen Frack mit weißen Manschetten, hintreten und um ein frommes schönes Kind werben dürfte, statt dessen aber lieber unter fremdem Namen in ein stilles Bürgerhaus eindringt, und allerhand Angst und Schrecken verbreitet.«

»Um Gottes willen!« rief er, »was hat Sie in diesen seltsamen Irrtum versetzt?«

»Irrtum? – Machen Sie mich nicht zu Ihrer Feindin. Ich meine es ja wohl mit Ihnen, mir gefallen die Schleifwege der Zärtlichkeit. Auch mein Alter mußte bei Nacht und Nebel mit mir zusammenkommen, weil die Base den jungen Menschen, der nur einen Rock besaß und weiter nichts, von ihrer Schwelle wies. Es ist mir nichts langweiliger, als die Vernünftigkeit der jetzigen jungen Leute, welche ohne die Aussicht auf ein Amt, oder auf eine reiche Mitgift, dos, dotis, sich gar nicht mehr verlieben. Also nur frisch zu; die Rektorin steht Ihnen bei. Aber ein Kandidat sind Sie nicht, denn Sie haben keine Pfeife, tragen feine Wäsche und machen Fehler gegen die lateinische Prosodie.«

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 2, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 174-176.
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