Achtzehntes Kapitel

[312] Glühend vor Scham und Erbitterung ging er auf und nieder. Es wollte ihn durchaus nicht trösten, daß die Herzogin sich kalt, getreu und fehlerfrei erwies. »Also immer nur Berechnung!« rief er schluchzend aus. »Und ich das Werkzeug, zum Dienen, Lasttragen und Briefbestellen gut genug!«

Er war eben dabei, das empfangne Schreiben in einem höflich das Geschäft ablehnenden Billette einzusiegeln, als es an seiner Türe klopfte. Es waren die Arbeitsleute, welche er[312] bestellt hatte, um den Schrank aus dem Archive zu schaffen. »Zum letzten Male denn getagelöhnert!« murmelte er ingrimmig. Er ging mit den Leuten nach dem Gewölbe, und befahl ihnen, hurtig zu sein, er müsse gleich fort.

Drinnen setzte er sich zwischen den bestäubten Urkunden nieder und sagte: »Diese Bogen haben ihnen ein ledernes und papiernes Dasein geschaffen, in welchem kein Blut zirkuliert. Man muß ihnen vergeben, denn sie sind selbst am unglücklichsten daran.«

Die Arbeiter hatten unterdessen ihr Werk mit Eifer angegriffen. Ob es die Wirkung des letzteren war, oder ob das alte Holzgebäude wirklich das Ziel seiner Dauer erreicht hatte; genug, die Worte des Herzogs gingen in Erfüllung. Der Schrank knackte, sobald er gerückt wurde, krachte und fiel in sich zusammen. Eine Wolke von Staub und Wurmmehl stieg aus den zerfreßnen Trümmern. Die Arbeiter sahen Hermann bestürzt an.

»Ist es doch, als ob ein Feudalthron einstürzt«, sagte Hermann. »Frisch, ihr Leute vom dritten Stande, die ihr gar nicht die Absicht hattet, ihn zu zertrümmern, sondern ihn nur so ein wenig beiseite bringen wolltet, tragt die Stücke hinaus!« Die Arbeiter beluden sich damit und gingen. Einer sagte: »Da ist eine Türe hinter dem Schranke.«

Hermann trat zu der Stätte und scharrte mit dem Fuße in dem liegengebliebnen Staube. Dann fiel sein Blick auf die Türe, welche der alte Schrank verdeckt hatte. Ohne etwas dabei zu denken, zog er an ihr, sie gab nach, und eine tiefe gemauerte Nische in der Wand wurde sichtbar. Er sah, daß sich Gegenstände darin befanden, die er bei dem Dämmerlichte, welches im Archive herrschte, nicht unterscheiden konnte. Er griff hinein und fühlte an große, gereiht aufgesetzte Geldbeutel, so schwer, daß er sie kaum zu heben vermochte.

Erschrocken zog er die Hand zurück. Ihm flog durch den Sinn, was der Herzog von dem Fehlen des baren Geldes bei dem Tode des Ahnherrn gesagt hatte. »Großer Gott! Wo das gesteckt hat, kann mehr sein!« rief er überlaut. Er ging umher, und suchte sich zu sammeln, seine Brust keuchte vor Erwartung. Er hauchte auf sein Tuch, und drückte es an die Augen,[313] die doch nicht weinten. Er bat Gott, daß ihm die allerhöchste Freude seines Lebens nicht wie ein Schatten vorüberschweben möge.

Hierauf streckte er den Arm, schaudernd, als sollte er die Hand zur Feuerprobe auf glühendes Eisen legen, über die Geldsäcke hinweg in die Tiefe der Nische, und zog eine Saffiankapsel hervor, ganz mit Schimmel bedeckt. Er öffnete sie, ein kostbar eingebundnes Pergament lag darin, an welchem das große Reichswappen in goldner Umschließung, durch schwarze und gelbe Schnüre festgehalten, hing. Sein Entzücken war grenzenlos. Er las, so gut er in dieser Verfassung lesen konnte, daß der Kaiser der Maria Sibylla Freundsberg – nicht den Adel gebe, – sondern den in ihrer Familie längst bestandnen, nur in Abnahme gekommnen, lediglich erneuere.

Es war die vermißte, schmerzlich gesuchte Urkunde, der Adelsbrief der Ahnfrau, welcher bewies, daß das regierende Geschlecht mit gutem Fug hier waltete, daß kein Vetter ein besseres Recht als jenes gehabt, und ein solches daher auch nun und nimmermehr auf einen Dritten hatte übertragen können. Fürsorglich hatte der Großvater das teuerste Besitztum nebst seinem Gelde hieher vor dem herandringenden Feinde geflüchtet, und den großen Schrank als verbergende Schutzwehr vor die Nische schieben lassen. Stummheit und Tod des Alten hatten das Geheimnis leider auf dreißig Jahre hin bewahrt.

Jauchzend flog Hermann aus dem Archiv, dessen Türe weit offengelassen wurde, und stürmte, den Adelsbrief wie eine Fahne schwingend, durch die Gänge nach den Zimmern der Herzogin. Unangemeldet trat er ein, und hielt ihr, die erschreckt zurückwich, die Urkunde entgegen. »Die Not ist vorüber, Sie sind gerettet!« rief er. Der Herzog kam; das laute Reden hatte ihn herbeigezogen. Schweigend reichte ihm Hermann die Urkunde. Der Herzog überblickte sie, wechselte die Farbe, drückte das Pergament an seine Brust, brach in Tränen aus, und sagte seiner Gemahlin mit stammelnden Worten den Zusammenhang der Sache. Ihr Antlitz verklärte sich, auch sie begann zu weinen. Sie sank zwischen den Männern auf die Knie, faltete die Hände, und ihre lieblichen tränenleuchtenden[314] Blicke erhoben sich bald zum Himmel, bald ruhten sie auf ihrem Gemahle, bald auf Hermann. Dieser stand froh und stolz da, seine Gestalt schien größer geworden zu sein, ein süßes Vergnügen strömte durch seine Brust, er kam sich wie ein wiedergebornes Kind vor. Unbefangen legte er seine Hand auf das Haupt der Herzogin und sagte: »Der Zufall lauert unsern Torheiten auf und erniedrigt uns in ihnen. Aber dann wird auch gleich wieder dafür gesorgt, daß wir nicht zugrunde gehn, daß wir uns selbst finden und fühlen lernen. Ich erfahre es heute. Nun, nach dieser Wendung bin ich imstande, Ihren Auftrag zu besorgen meine verehrte Fürstin. Ich will versuchen, auch von dieser Seite Ihre Kümmernisse zu zerstreun.«[315]

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 2, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 312-317.
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