III. Derselbe an Denselben

[634] Heidelberg, den 1. Mai 1795


O Hermann, wie grünt und blüht es hier! Diese Pracht ist nicht zu beschreiben, man muß in ihr mit allen Sinnen wühlen. Ich wohne dicht unter dem Schlosse. Nur wenige Schritte, und ich bin mitten unter dem Schnee der Mandelbäume, Kastanien und Apfelstämme. Siehst Du, wieviel besser die Erde auch hierin ist, als der Himmel! Er sendet ihr kalte Flocken zu, und sie wirft ihm von ihrer Brust die warmen duftenden entgegen. Obgleich kein Liebhaber von Werther, da ich aller Sentimentalität abhold bin, und glaube, daß das Vaterland Männer nötig habe, nicht solche schwärmende Siechlinge, so kann ich doch hier nur seine Worte nachsprechen: »Man möchte zum Maikäfer werden, um in dem Meere von Wohlgerüchen herumschweben, und alle seine Nahrung darin finden zu können.«

Deinem Briefe läßt sich leider anmerken, daß Du in der freien Reichsstadt Bremen stark eingepfercht bist. Was soll nur das Geschwätz von Graf und Bürger, und daß die Verhältnisse doch einmal zerstörend zwischen uns treten würden? Wenn das geschieht, wenn in mir je eine Empfindung von den sogenannten Schranken des Standes Dir gegenüber entsteht, so möge mich der Donner des Allmächtigen im nämlichen Augenblicke vertilgen! Herzbruder, wir haben einer des andern Blut getrunken, unsre Seelen sind nicht mehr zwei, es sind Saiten derselben Harfe, auf welcher die Akkorde des hohen Liedes von ewiger Freundschaft dröhnen.

Säßest Du nur hier bei mir unter den Mandeln, und der Baum bewürfe uns beide mit Blüten, da würden Dir schon die Grillen vergehn. Von Klopstock habe ich ein paar Zeilen, die mich ganz glücklich machen. Da sie Dich mit angehen, so sende ich sie Dir, und Du magst sie behalten, so schwer es mir fällt, mich von diesen teuren Schriftzügen zu trennen. Aber was teilte ich nicht gern mit Dir![634]

Zwei Worte Dir ins Ohr, aber sprich davon nicht weiter: Ich liebe! – Du lachst und rufst: Nichts Neues! – Sachte, Kind, Kind, das ist etwas ganz andres. Lange behilft sich der Laie mit den äußern Bildern des Altarschreins und meint, die Schönheit an ihnen zu besitzen, und nun werden die Flügel aufgetan, und da sieht er erst, welche Herrlichkeit sich auf Erden begeben kann.

Worte sind Worte, und Phrasen geben kein Gefühl von den Dingen. Also nichts dergleichen. Nur so viel sei Dir gesagt, daß hier ein Markstein meines Lebens gesetzt ist, und daß Dein Freund viel anders werden wird. Sah doch Petrus auch ein Tuch voll reiner und unreiner Tiere, und war eines so gut, als das andre. In dem Tuche sind wir nun auch aufbehalten, von einem Engel berührt und geheiligt.

O pfui, das ist Gewäsche, nichtssagendes Gewäsche! Kurz und trocken also referiere ich Dir, daß ich hier in einem Weinhügelwinkel am Neckar, hart an der Grenze von Schwaben sitze, und einem Mägdlein helfe Blumen pflanzen und junge Schoten lesen. Gott gebe der Seligkeit Bestand, lasse mich die übrige Welt vergessen und von ihr vergessen sein!

Sie ist die Tochter eines Landpredigers, der mich unter seinen Obstbäumen empfing, wie ein Patriarch des alten Bundes. Ich entdeckte das Kleinod auf einer meiner Streifereien den Fluß hinaufwärts. Auf ihren Wangen blüht die Unschuld, und süße Unschuld blüht ihr im Herzen, und um sie weht guter Friede und aller holdseligen Dinge die Fülle. Nun habe ich doch einmal einen Busen, der ganz erfüllt ist von mir, und nichts fassen und halten will außer mir.

Den ersten Mai habe ich diesen Brief begonnen, nun so erhalte ich Deinen vom zehnten Juli, der mich über mein Schweigen ausschilt, und da sehe ich mit Erschrecken nach, und finde meine paar Sätze, die ich diese Monate her auf das Papier gestrudelt, noch unabgesendet vor. So mögen sie Dir denn zukommen, als ein Beweis, daß es Deinem Freunde wohlgeht, denn, wenn man nicht schreibt, und nichts zuschreiben hat, so ist man glücklich.

Denke Dir eine Knospe, frisch und herb aus dem Grün der umhüllenden Blätter brechend, und die ganze Pracht der[635] Blüte im jungen Rot andeutend, und Du hast das Bild von Babetten, weißt, wodurch sie mich so unwiderstehlich fesselt. Fern von städtischer Weichlichkeit ist sie aufgewachsen, kräftig unter den Nußbäumen und Weinranken. Ach, wie wohl tut es, nach so manchem Mischgebräu, was wir haben verschlucken müssen, unsern Gaumen einmal an dem kühlen, klaren Trunke der Quelle laben zu dürfen!

Ich lebe hier unter dem Namen eines Herrn von Müller, der Alte sieht unserm Umgange nach, ich bin mit ihr vom Morgen bis zum Abend, und der Tag ist um, ehe wir uns dessen versehen haben.

Deinen Namen muß sie mir hundertmal des Tages nennen, ich empfange ihn von ihren Lippen wie ein heiliges Geschenk des Himmels. Unser ganzes Verhältnis habe ich ihr erzählt, sie liebt Dich, ohne Dich gesehen zu haben, und wenn sie mich küßt, so spricht sie: »Dieser da ist für Dich, und der für Deinen Freund, da Ihr ein Herz und eine Seele seid, so darfst Du nicht eifersüchtig werden.« – Neulich sagte sie mir mit ihrer himmlischen Naivetät: »Du bist ein Edelmann und wirst mich armes Schwabenmädel nur verführen; wenn das ist, so möchte ich Deinen Freund am liebsten heiraten, bitte, rede mir beizeiten das Wort bei ihm!«

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 2, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 634-636.
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