V. Derselbe an Denselben

[637] * den 8. September 1795


Daß mich meine Narrheit zwingt, alles Dir zu vertraun, obgleich ich weiß, daß Du schmälst; aber ich besitze und genieße etwas nur, wenn ich es mit Dir teile. Ich merke es Deinen Briefen an, besonders dem letzten, daß Du mit mir zürnest, Du sprichst keine Vorwürfe mehr aus, aber alle Zeilen sind ein Vorwurf. Da wäre es nun an der Zeit, sich auch zurückzuziehn, bis der böse Freund dem andern seine Wonne mit gutem Herzen gönnte. Aber ich kann das nicht, zu meinem Glück oder Unglück ist mir die überströmende Seele gegeben, die nur in schrankenlosem Vertrauen, in unendlicher Hingebung sich befriedigt fühlt.[637]

Ich lebe jetzt mit Babetten auf diesem alten Bergschlosse, tief im wildesten Gebirg. Der Vater, nachdem er unsre Liebe lange toleriert, wollte auf einmal den Strengen spielen, untersagte mir das Haus, sperrte mein Mädchen ein. Gegen Zwang hat sich seit Adams Zeit noch immer die freie Liebe empört; in einer Nacht, welcher Venus den funkelndsten Schein spendete, folgte mir die Getreue, die Holdselige.

Nun führen wir, von Waldkronen umrauscht, zwischen Trümmern und Klippen hausend, ein Leben wie die Ritter und ihre Trauten in den alten Märchen. Es ist, außer einem alten Pachter mit seiner tauben Magd und einem halb blödsinnigen Knechte keine Menschenseele in diesem Steinklumpen, auch wohnen auf eine Stunde Weges hin keine Leute. Diese Einsamkeit hat etwas Großes, wundersam Süßes. Wenn die Sonne den Wald in einen grüngoldnen Zauberpalast verwandelt, oder der Sturm, wie der Atem des Geistes, durch die Zweige der Buchen geht, und ich mein Mädchen in den Arm fasse, da dünkt's uns oft, wir seien dieser Zeit entrückt, und lebten in den Tagen der Fabel.

Die Liebe lebt ihre eigne Geschichte, und braucht der Außendinge nicht. Babette besorgt die Küche, ich spalte ihr das Holz, oder suche mit der Jagdflinte ihr einen Braten zu erlegen, und wenn ein Gericht wohl geraten ist, oder mein Weidwerk gute Beute gab, so sind das große Ereignisse, an welchen wir lange nachzuzehren haben.

Sie hat mir eines nicht versagen dürfen, was ich Dir zitternd, leise und scheu, wie ein Kind, das vor der Mutter sich fürchtet, vertraue. Wenn Dunkel sich über Berge und Täler goß, und auch die Abendlampe erlosch, dann ruhe ich selig und froh an ihrer Seite. Wehe Dir, wenn Du etwas Übles davon denkst! Nein, heilig und unsträflich teilen wir das liebliche Lager, und tiefe Ehrfurcht vor der Unschuld liegt zwischen uns, wie ein geschliffnes Schwert. Es war nur so eine Laune und Grille von mir; zu proben, ob man nicht lieben kann, wie die Engel sich lieben. Und siehe da, die Probe ist gelungen. Ach, wie süß sie zitterte, da ich zum ersten Male von meiner erstürmten Befugnis Gebrauch machte, und wie ruhig sie nun mir am Busen entschläft![638]

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 2, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 637-639.
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