An Ludwig Tieck

Sie schrieben mir vor einigen Monaten und sprachen mir Ihre Freude über den ersten Teil des »Münchhausen« aus, den Sie damals gelesen hatten. Dieser Brief kam ganz frei aus Ihrer Seele, denn ich hatte es unterlassen, Ihnen ein Exemplar meines Buches zu senden. Er war mir unverhofft und eine freudige Überraschung. Doppelt aber erfreute er mich. Denn einmal mußte es mir wohl sehr lieb sein, daß Sie sich so an den Anfängen meines Werkes ergötzt hatten, dann aber zeugte die liebenswürdige Lebhaftigkeit Ihrer Worte von der fortblühenden Jugend, welche wie ein Kranz schöner Rosen Ihre ehrwürdigen Schläfen umschmückt.

Ich nahm mir gleich vor, Ihnen zu antworten und zu danken. Nachher aber überlegte ich, daß der beste Dank die Tat ist und schwieg daher bis zur Vollendung des ganzen Werkes. Nun ist es fertig und ich widme Ihnen seinen Abenteurer und seine guten Menschen, seine Possen und seinen Ernst mit diesem letzten Teile. Darüber reden kann ich nicht; es wirke auf Sie, wie es eben die Kraft und Fähigkeit in sich besitzt. Aber einen offenen Brief schreibe ich Ihnen dazu vor dem Angesichte auch anderer Leser, denn manches wollte ich Ihnen sagen, was sich in einem solchen doch noch besser ausnimmt, als unter einem Siegel, welches nur Ihre Hand erbräche.

Immer habe ich mich am glücklichsten gefühlt, wenn mein freies Gemüt sich zum Schuldner für empfangene Wohltat bekennen durfte. Dieses reine Glück empfinde ich auch jetzt, indem ich an Sie schreibe. – Man hat mich oft einen Nachahmer genannt, und der Tadel, der in dieser Bezeichnung liegt, mag meine frühesten Versuche nicht ohne Grund getroffen haben, obgleich mich nie ein äffischer Trieb kitzelte, sondern stets ein innerer Drang bewegte. Später, als mich Leben und Bildung gereift hatten, meine ich jederzeit ein Eigenes gebracht zu haben, wenn ich mich fremden Mustern anlehnte. Ich vermied keine Reminiszenzen, weil ich wußte, daß diese doch immer ein nur mir gehöriges Leben in mir aufgeweckt hatten. So möchte ich denn eher den Namen eines Schülers für mich in Anspruch nehmen. Und in einer Zeit, worin so viele Meister,[655] wie sie behaupten, vom Himmel fallen, dürfte ein guter Schüler der Abwechselung halber kein ganz verächtlicher Gast am Parnaß sein.

Auch zu Ihrem Schüler bekenne ich mich gern, freudig und öffentlich. Sie haben unter uns Deutschen einen ganz neuen Scherz erfunden, Sie haben der Natur für manchen ihrer geheimsten magischen Töne die Zunge gelöset, viele Beobachtungen und Erfahrungen haben Sie mitgeteilt, die vor Ihnen niemand gemacht hatte. Alles nun, was in mich von Ironie, Spott, Laune gelegt worden war, ein tiefes Bedürfnis, welches mich von meiner Kindheit her oft froh machte, oft auch ängstigte, die Signatur der stummen Dinge zu erkennen, endlich mein Verlangen, mich über das eigenste Wesen der Dichter und der Bühne aufzuklären – alles das fand, wie häufig! bei Ihnen Lehre, Beispiel, Führung. Ich verehre Sie als einen meiner Meister und in meinen guten Stunden wage ich mir zu sagen, daß Ihnen der Schüler gerade keine Schande mache.

Aber eine elegische Empfindung kann ich nicht bewältigen, wenn ich an Sie denke. Sie stehen gefeiert, würdig, nachwirkend da, das ist wahr. Um eine Entfaltung jedoch hat das Mißgeschick der Umstände Sie und uns gebracht. Sie hätten der Vater des deutschen Lustspiels werden können, wenn die Bühne Ihrer frischesten Zeit entgegengekommen wäre, und dieses Lustspiel würde das größte der modernen Zeiten geworden sein. Denn nicht auf das Einzelgeschick eines Liebespaares, oder auf die Schilderung einer närrischen Sitte, oder eines in der Verborgenheit sein Wesen treibenden Toren kam es Ihnen an, sondern Ihre komische Muse lächelte über die ganze Breite der Welt und der Zeit, sie schmückte mit bunten Blumen, die sich dann wieder zauberisch in Schellen verwandelten, die öffentlichen Charaktere, sie führte mit reizender Schalkheit, die wie Ehrfurcht aussah, komische Könige und Helden im Triumphe auf. Wenn ich an die Kraft und Gewalt Ihrer Figuren mich erinnere, an den tiefsinnigen, freien, großen, unerschrockenen Humor in »Oktavian«, »Zerbino«, »Kater«, »Däumchen«, »Blaubart«, »Fortunat« und in der »Verkehrten Welt«, so weiß ich nur ein Gegenbild zu diesem Lustspiele in der ganzen Geschichte der Poesie zu finden; es ist das[656] des Aristophanes. – Ich habe oft Ihre Gedichte vorgetragen, und wenn es mir gelang, dem Dichter nachzukommen, so kann ich wohl sagen, daß empfängliche Zuhörer in einen bacchischen Taumel der Lust gerieten.

Aber keine attische Bühne empfing Sie und brachte auf den Brettern Ihre Produktion zu der Fülle und Vollreife, die nun einmal der Dramatiker nur gewinnen kann, wenn er seine Geschöpfe da droben auf dem Gerüste in Fleisch und Blut umherwandeln sieht. Man sagte, diese Sachen seien sehr schön, sehr witzig und ließen sich überaus wohl anhören, aber aufzuführen seien sie nicht. Das war aber eine Unwahrheit. Denn ich habe hier den »Blaubart« zweimal darstellen lassen. Ich hatte weniger Mühe von ihm, als zum Beispiel vom »Glöckner von Notre Dame«, die Schauspieler fanden sich bald hinein und spielten mit Lust und Liebe darin, was aber den Erfolg betrifft, so war dieser bei der ersten Darstellung ein entschiedener und bei der zweiten der allerglänzendste. Wenig hatte das Stück gekostet, und viel brachte es ein. – Ich wollte nicht dabei stehenbleiben, sondern ich dachte schon an »Fortunat«, selbst an »Däumchen« und an das schnurrende Tier in Stiefeln. Aber die Düsseldorfer Bühne ging wegen Mangels an Gunst, Schutz und Geld unter, und so blieben denn jene Gedanken Träume.

Warum ich diese Saite hier berührt habe? Weil mir Ihr ganzes Bild vorschwebte und zu einem vollen Menschenleben die Entwickelungen und die Vereitelungen gehören. Wenn ich mit Ihnen Mund gegen Mund reden durfte, so hatten unsere Gespräche immer einen Gehalt; eine gewöhnliche Dedikations-Epistel konnte ich Ihnen daher nicht schreiben. Nehmen Sie meine Worte auf, wie ich sie gemeint habe, und vor allen Dingen – leben Sie noch lange, leben Sie munter und kräftig fort, sich und uns zum Segen!


Düsseldorf, den 20. April 1839,


(an dem Tage, wo die letzten Seiten des »Münchhausen« zu Ende geschrieben wurden).


Immermann[657]

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 3, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 653-659.
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