Der Dünk.

Es war einmal ein reicher Bauer, der hatte Äcker und Wiesen und Weideland und einen großen Wald. Als nun die Zeit kam, daß Langholz und Klobenholz gefahren wurde, wo er mit allen Knechten tagaus, tagein in den Busch mußte, verdroß ihn das schlechte Alltagsessen bei der harten Arbeit, und er sagte darum eines Nachts zu seiner Frau:

»Mutter, wir haben den ganzen Hof voll Hühnervolk. Was brauche ich immer dasselbe zu essen, wie Knecht und Magd! Du könntest mir morgen wohl ein gebratenes Huhn auf den Tisch setzen.«

»Das sollst du haben, Vater,« antwortete die Frau; und als am andern Morgen der Mann ausgefahren war, fing die Bäuerin ein Huhn und schnitt ihm den Hals ab, rupfte und sengte es und nahm es aus und legte es in die Pfanne.

Der Nachbarin von drüben zog der liebliche Geruch in die Nase, und sie kam, wie sie ging und stand, herübergelaufen und sprach: »Nawersch, was giebt's? Hier riecht's ja so braterig!«[5]

»Das macht, weil ich meinem Manne ein fettes Huhn brate,« antwortete die Nachbarin.

»Deinem Manne ein Huhn?« rief die Frau und wäre vor Verwunderung schier auf den Rücken gefallen. »Laß den dummen Kerl doch Kartoffeln und Speck essen, und das schöne Huhn verzehren wir! Und wenn er nach Hause kommt und schilt, so sag ihm nur, er habe die Nacht stark geträumt, du sähest es wohl, er habe den Dünk.«

Die Rede gefiel der Bäuerin; und als das Huhn gar war, nahm sie es von der Pfanne und aß es mit der Nachbarin auf; ihrem Manne aber legte sie, wie gewöhnlich, Speck und Kartoffeln in die Schüssel.

»Mutter, was ist das?« sagte der Bauer, als er Glocke zwei oder drei aus dem Busch heimkehrte. »Du hast mir doch versprochen, ein gebratenes Huhn in die Schüssel zu legen, und nun habe ich wieder Kartoffeln und Speck.«

»Mann,« antwortete die Frau, »schnack immer zu! Wann hast du mir so etwas gesagt? Du hast das geträumt, ich sehe es wohl, du hast den Dünk.«

»Hab' ich den Dünk, so ist es gut,« versetzte der Bauer und war stille bis auf den Abend, da er wieder bei seiner Frau im Bette lag.

»Mutter,« hub er auch diesmal an, »ich bin der Herr und darf wohl einmal ein besseres Essen haben, wie das Gesinde. Brat mir morgen eine Ente in der Pfanne!«

»Von Herzen gern, Vater,« antwortete die Frau, und sie briet auch am andern Tage die Ente. Aber die Nachbarin kam wieder dazu und redete so lange auf sie ein, bis sie die Ente aus der Pfanne nahm und mit der[6] Gevatterin verzehrte. Ihrem Manne aber setzte sie wiederum Kartoffeln und Speck vor; und als er zornig wurde und schalt und nach der Ente fragte, sprach sie, wie gestern:

»Du hast es geträumt. Ich sehe es wohl, du hast den Dünk.«

Sprach der Bauer: »Wenn ich den Dünk habe, so ist es gut,« und dann war er stille; denn er traute seiner Frau nicht zu, daß sie so schlecht gegen ihn sei. Zur Nachtzeit aber wiederholte er seine Rede zum dritten Male und bat um eine gebratene Gans, und die Frau versprach ihm, daß er den Braten bekommen solle.

Diesmal wollte sie ihn auch wirklich nicht hintergehen. Aber wie es so zu geschehen pflegt, die Nachbarin roch wieder den saftigen Braten, und als der Bauer heimkehrte, hatte er Speck und Kartoffeln in der Schüssel, von der Gans aber war kein Knöchelchen mehr zu sehen.

»Mutter, wo ist die Gans?« fragte er.

»Ach, papperlapapp,« zankte sie, »du hast wohl wieder den Dünk!«

Das ging dem Bauer denn doch über den Spaß; und nach dem Mittagsessen wankte er in den Garten zum Backofen und schnitt dort Wachholder und Nesselbusch ab und band es mit der Peitschenschnur zusammen, daß es eine handliche Rute wurde. Dann schlich er sich leise in das Haus zurück und legte die Rute unter die Bettstelle. Die Frau hatte es aber doch bemerkt durch das Küchenfenster, und – hast du nicht gesehen – lief sie zu ihrer Nachbarin und sagte:

»Nawersch, mir ist heute gar nicht so recht zu Mute,[7] und mein Mann schilt, wenn ich jammere und stöhne. Willst du nicht heute nacht bei meinem Manne schlafen?«

Der Nachbarin Mann war gerade über Land gegangen, darum antwortete sie:

»Gewiß, Gevatterin, ich werde es thun, wenn's mir auch schwer ankommt. Aber sie soll das Huhn, die Ente und die Gans nicht zu ihrem Schaden mit mir geteilt haben.«

Damit war die Sache abgemacht, und als es dunkel geworden war, legte sich die Nachbarin statt der Bäuerin zu dem Bauer ins Bett.

Kaum war sie warm geworden, so zog der Bauer mit der Rechten die Rute unter dem Bette hervor, mit der Linken schlug er die Kissen zurück und drückte sie der Frau auf das Gesicht, daß sie nicht schreien konnte; und dann hieb er auf sie ein, der Kreuz und der Quer, bis ihm der Arm müde wurde und er nicht länger schlagen konnte.

Sobald die Nachbarin frei war, sprang sie, wie der Wind, aus dem Bette heraus und lief, als ob die Hunde hinter ihr her wären, über die Diele und durch den Garten in ihre Kammer. Dort bestrich sie sich am ganzen Leibe mit Wundsalbe und Balsam und kühlte und pflasterte vier Wochen lang, bis alles wieder heil geworden war.

Die Bäuerin aber war indessen geschwind an ihrer Stelle in das warme Bett gekrochen und wartete ab, bis am andern Morgen der Bauer erwachte.

»Vater,« sagte sie darauf zu ihm, »was ist eigentlich mit dir? Die ganze Nacht liegst du steif und still da, wie ein Besenstiel, das war doch früher nicht so!«[8]

»Mich dünkt, ich bin munter genug gewesen,« antwortete der Bauer, »du wirst wohl ein halb Jahr genug haben an den Prügeln.«

»Was redest du da von Prügeln?« antwortete die Frau. »Mich hat kein Mensch geschlagen! Schau, Vater, wir sind allein, beguck mich hinten, beguck mich vorn, ist nicht alles schier und blank?«

Da sperrte der Bauer Nase und Mund auf und sagte: »Frau, du hast recht, mit mir ist's nicht richtig, ik häf de Dünk!«

Quelle:
Ulrich Jahn: Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund, Berlin [1890], S. 1,9.
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