14. Hans Hildebrand und der Pastor.

[81] Vor Zeiten waren die Leute in Pommern noch nicht so klug, als sie jetzt sind; da war das ganze Land katholisch, und ein jeglicher lebte des Glaubens, nicht der liebe Gott, sondern der Pastor könne die Sünden vergeben. In diesen katholischen Zeiten nun kam eines Tages ein Bauer, Hans Hildebrand geheissen, zu dem Pastor und beichtete ihm seine Sünden. Der Pastor aber hielt es mit der Frau des Bauern, da sie ihm immer fette Bissen vorsetzte und auch stets einen guten Trunk für ihn in der Kanne bereit hielt. Darum sagte er zu dem Bauern: »Mein lieber Sohn, deiner Sünden Last ist schwer und sehr gross; willst du nicht die ewige Pein leiden, so musst du nach Rom gehen und dir von dem Papst einen Ablassbrief holen.«

Hans Hildebrand kraute sich traurig hinter den Ohren, denn der Weg nach Rom ist weit, und was sollte inzwischen aus Haus und Hof und aus seinem Weibe werden? Aber noch schlimmer däuchte ihm, immerdar in der Hölle brennen zu müssen. Er schnürte also sein Ränzel und machte sich, wenn auch schweres Herzens, auf die Wanderschaft nach Rom.

Er mochte ein Stunder drei oder vier gegangen sein, als ihm ein steinaltes Männchen begegnete, mit einem grossen, allmächtigen Kaliet (Esskober) auf dem Nacken; das war aber niemand anderes, als der liebe Gott, der in den katholischen Zeiten noch auf der Welt herumwanderte,[81] um den armen Leuten zu helfen. »Wohin so eilig?« rief er dem Bauern zu. »Nach Rom, um einen Ablassbrief zu holen,« entgegnete Hans Hildebrand. »Was willst du damit?« fragte das Männchen weiter. »Der soll mich von meinen Sünden befreien,« erhielt er zur Antwort. Da lachte das Graumännchen, das der liebe Gott selber war: »Deine Sünden will ich dir vergeben, wenn sie dir leid sind, nach Rom brauchst du darum nicht zu pilgern; aber wenn du sehen willst, wie es der Pastor inzwischen mit deiner Frau treibt, so kehr wieder um und geh mit mir.«

Hans Hildebrand dachte: »Der alte Mann hat recht gesprochen,« dankte ihm für den guten Rat und versprach ihm zu folgen. Sogleich steckte ihn das Graumännchen in seinen allmächtigen Kaliet hinein und schritt mit ihm dem Dorfe zu. Bei dem Hofe des Bauern machte es halt und fragte die Bäuerin, ob es nicht für die Nacht ein Unterkommen finden könnte. Das schlug ihm die Frau nicht ab, denn ihr war heute grosse Freude beschert, der Herr Pastor sass in der guten Stube und liess sich die leckeren Bissen und das starke Bier gut schmecken; deshalb wollte sie auch dem armen Bettler eine Freude gönnen.

Als nun das Graumännchen auf der Ofenbank Platz genommen, war der Pastor just in der fröhlichsten Stimmung, ergriff den Krug, trank daraus und sang dazu mit seiner tiefen Stimme:


»Ich hab' einen Boten ausgesandt nach Ro-o-om,

Einen Ablassbrief zu ho-o-oln.«


Darüber wollte die Frau schier vergehen vor Lachen, trank auch einen guten Schluck und fiel dann mit ihrer feinen Stimme ein:


»Ich hab' ihm mitgegeben zwei Spi-ick-gäns

Und ein kleines Brö-ö-de-lein.«


»Alterchen, jetzt muss er auch singen,« rief der Pastor, »wenn alle Welt lustig ist, darf er allein nicht sauer sehen.« Und das Graumännchen ergriff den Krug, trank und sang mit lautem, vollem Ton:


»Hans Hildebrand,

Sitzt in der Kiep, hängt an der Wand.«


Da liess es dem Bauer in dem Kaliet keine Ruhe mehr, er hub auch an und sang:


»Jetzt kann ich nicht mehr länger sti-i-lle sitzen,

Muss rausser stei-ei-ei-gen.«


Damit stiess er den Deckel des Kaliets auf und sprang mitten in die Stube hinein, ergriff seinen guten Krückstock und schlug auf Frau und Pastor los, dass sie schreiend aus dem Hause liefen. Und niemals wieder ist es ihm in den Sinn gekommen, nach Rom zu wandern und dort vom Papst einen Ablassbrief zu holen.

Quelle:
Ulrich Jahn: Volksmärchen aus Pommern und Rügen l, Norden/Leipzig 1891, S. 81-82.
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