23. Der alte Fritz und der Bauerjunge.

[143] Es war einmal ein Bauer, der hatte einen Jungen, so im neunten oder zehnten Jahre, und da musste er, wie es auf dem Lande Brauch ist, die Gänse hüten. Eines Morgens sagte der Vater zu ihm: »Junge, heute gieb gut acht auf deine Gänse! Der alte Fritz zieht mit seinen Soldaten vorbei, und wenn du nicht aufpasst, treten sie dir die Tiere tot.« – »Sei ohne Sorgen, Vater« antwortete der Junge, »ich werde meine Sache schon gut machen,« und trieb die Güsseln (junge Gänschen) auf die Weide. Es dauerte gar nicht lange, so kam der alte Fritz angerückt, und hast du nicht gesehen, hatte der Junge, so viel Güsseln, so viel Schlingen in die Peitschenschnur geschlagen; dann steckte er durch jede Schlinge einen Kopf und hing all die jungen Gänschen an einem Weidenbaume auf. »Junge,« rief der alte Fritz, »was hast du gemacht? Du hängst ja alle Güsseln auf!« – »Nicht so ängstlich!« antwortete der Kleine, »von dem bischen Hängen sterben sie nicht sogleich. Aber das möchtet Ihr wohl, dass Ihr die Tiere mit Euren Soldaten samt und sonders zu Tode tretet!« Dem König gefiel der kecke Bursche, und er fragte: »Hat dein Vater noch mehr solche Jungen?« – »Nein, mich ganz allein,« erwiderte der Junge, »aber eine Schwester ist noch zu Hause, bei Vater und Mutter.« – »Was macht denn dein Vater?« fragte der König weiter. »Der verweist den Leuten den Weg,« erhielt er zur Antwort. »Junge, sprich doch vernünftig,« sagte der alte Fritz, »was soll das denn heissen: Er verweist den Leuten den Weg?« – »Ihr zankt, und ich spreche doch nur die lautere Wahrheit,« erwiderte der Junge, »vor unserm Hause liegt ein Stück Land, darauf will nimmer das Korn gedeihen, denn die Leute gehen hinüber und herüber und zertreten uns die Saat. Da ist nun Vater dabei und zieht einen Graben um den Acker und verweist damit den Leuten den Weg.«

»Ach, so war's gemeint,« sagte der König und wunderte sich über die Klugheit des Kindes. »Was macht aber deine Mutter?« – »Die steht am Backofen und backt aufgegessenes Brot.« – »Nun schlägt's dreizehn,« meinte der alte Fritz, »das verstehe, wer's kann.« – »So schwer ist's doch nicht;« versetzte der Junge, »wir haben schon vier Wochen lang von den Nachbarsleuten Brot geliehen, und[143] was meine Mutter heute backt, ist alles aufgegessenes Brot, davon bleibt kein Stückchen im Hause zurück.« – »Junge, du hast recht, so klein, wie du bist,« rief der alte Fritz verwundert, »nun sag mir auch noch: Was macht deine Schwester?« – »Die beweint, was sie im vorigen Jahre belacht hat,« versetzte der Junge. Das konnte der alte Fritz erst recht nicht verstehen. »Junge,« sprach er, »was ist das für ein närrisches Gerede?« – »Das ist doch nicht närrisch,« antwortete der Junge, »das ist so wahr, als etwas wahr sein kann. Meine Schwester lachte vor einem Jahre, als sie einen Brautmann bekam, nun sitzt sie an der Wiege und weint.« – »Junge,« rief der König, »du gefällst mir; ich bin König Fritz, von dem dir dein Vater gesagt hat. Und hier hast du etwas, das bring ihm mit nach Hause!« und damit zählte er ihm zehn Goldfüchse auf die flache Hand. »Schönen Dank, König Fritz,« antwortete der Junge. »Dass du mich aber nicht verrätst, bevor du mich fünfzigmal wieder gesehen hast,« sagte der König. »Bei Leibe nicht,« erwiderte der Junge und liess den alten Fritz stehen, hing die Peitschenschnur mit den Güsseln um den Hals und kehrte in seines Vaters Haus zurück.

»Junge, was hast du gethan,« rief ihm der Bauer schon von weitem zu, »die Güsseln sind ja alle erstickt!« – »Das mag wohl sein,« sagte der Junge, zog die Schlingen auf, und richtig, nur zwei von den Tieren waren noch am Leben. »Daran ist nur der alte Fritz schuld, Vater,« fuhr er fort, »der hat sich so lange bei mir aufgehalten. Aber lasst es nur gut sein, die Gänse sind doppelt und dreifach bezahlt,« damit wies er seinem Vater die zehn Goldfüchse, die ihm der alte Fritz geschenkt hatte. Da heiterte sich des Bauern Gesicht wieder auf, und er wünschte dem alten Fritz Gottes Lohn vom Himmel.

Der war inzwischen nach Berlin zurückgeritten und, da er ein Spassvogel war, so gab er am Abend, als die Herren vom Hofe um ihn versammelt waren, ein Rätsel auf und sprach: »Wer mir raten kann, was das heisst: Mein Vater verweist den Leuten den Weg, und meine Mutter backt aufgegessenes Brot, und meine Schwester beweint, was sie das Jahr zuvor belacht hat, der soll tausend Thaler bekommen. Über drei Tage gebe ich ein Gastmahl, da werde ich nach der Auflösung fragen.« Nun war unter den Herren ein alter Hauptmann, dem liessen die Juden keine Ruhe weder bei Tag noch bei Nacht, und er hätte darum gar zu gerne die tausend Thaler erworben. Der erinnerte sich, dass der König lange Zeit mit dem Gänsejungen gesprochen hatte, und er dachte: »Der Junge wird's wohl wissen.« Er sattelte also sein Pferd und ritt auf das Dorf. »Junge,« sprach er, als er den Kleinen erblickte, »was hast du mit dem König vorgehabt.« – »Das darf ich dir nicht sagen,« erwiderte der Junge. »Ach nicht doch,« sprach der Hauptmann, »wenn du's mir sagst, so schenke ich dir einen Thaler.« – »Einen Thaler?« versetzte der Junge, »Nein, dafür ist mir mein Geheimnis nicht feil; aber für fünfzig neugeschlagene preussische Thaler will ich es sagen.« Dachte[144] der Hauptmann: »Fünfzig Thaler gegen tausend, das heisst immer noch ein Geschäft,« zog den Beutel aus der Tasche und zählte dem Jungen die fünfzig Thaler hin. Der strich das Geld ein und erzählte dem Hauptmann darauf haarklein, wie alles gekommen sei.

»Junge,« sagte der Bauer, als sein Sohn ihm die fünfzig Thaler zeigte, »das Geld ist dein Unglück, der alte Fritz hat soeben einen Boten geschickt, dass du heut über drei Tage bei ihm im Schlosse seist.« – »Lasst nur, Vater,« antwortete der Junge, »es wird schon alles gut ablaufen.« Dem Alten schien die Sache nicht geheuer; aber der Junge war lustig und vergnügt und wanderte sonder Scheu an dem dritten Tage auf das königliche Schloss. Der alte Fritz empfing ihn freundlich, und als es zum Mahle ging, setzte er den Jungen neben sich und fragte darauf: »Nun, wer von den Herren kann mir des Rätsels Lösung sagen?« Da verstummten sie alle bis auf den alten verschuldeten Hauptmann, der sprach: »Der Vater zieht einen Graben um den Acker, damit verweist er den Leuten den Weg; die Mutter hat seit vier Wochen Brot geliehen, darum backt sie aufgegessenes Brot; die Schwester hat sich vor einem Jahre unter Lachen und Scherzen einen Brautmann gehalten, und nun sitzt sie an der Wiege und weint.« – »Junge, das hast du ihm gesagt!« rief der alte Fritz zornig. »Das bestreite ich auch gar nicht,« antwortete der Junge. »Und ich habe dir doch befohlen,« schalt der alte Fritz, »du solltest mich nicht eher verraten, als bis du mich fünfzig Mal gesehen hättest.« Sagte der Junge: »Das hab' ich treulich befolgt!« und zählte dem König die fünfzig neugeschlagenen, blitzblanken Thalerstücke auf den Tisch, Wappen unten, Bild oben. »Der Schelm ist klüger, als ich,« sprach der alte Fritz verwundert, »der darf mir nicht wieder vom Schlosse und soll einmal später ein General werden.« Und so geschah es auch; des Bauern Sohn blieb in des Königs Schloss und wurde später ein berühmter Mann, und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.

Quelle:
Ulrich Jahn: Volksmärchen aus Pommern und Rügen l, Norden/Leipzig 1891, S. 143-145.
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