24. Alten-Sattel.

[145] Zu des alten Fritz Zeiten lebte einmal ein Bauer, der war fleissig und gottesfürchtig; nur ärgerte ihn Tag für Tag, dass das schöne königliche Gut Alten-Sattel, welches an seinen Hof stiess, von dem adligen Amtmann so schlecht bewirtschaftet wurde. Eines Morgens ging der Bauer an den See, um zu angeln. Wie er nun an den Strand kam, erblickte er einen Fuchs und einen Hecht, die sich in einander verbissen hatten. Der Hecht hatte nämlich vom Wasser aus nach dem Fuchs und der Fuchs vom Land aus nach dem Hecht geschnappt,[145] und nun hatte der Hecht den Fuchs und der Fuchs den Hecht im Rachen, und der Hecht wollte ins Wasser und der Fuchs in die Wildnis, und da sie gleich stark waren, konnte keiner von ihnen weder vorwärts noch rückwärts.

Schnell lief der Bauer nach Hause und holte einen grossen Sack; darin that er die Tiere und kehrte darauf in seine Wohnung zurück. »Mutter,« sprach er, »lange mir meinen guten Rock aus dem Schranke!« – »Wozu willst du den, Väterchen?« – »Ich will zum Könige und ihm meinen Fund zeigen.« Die Bäuerin wollte ihm davon abreden; aber es half ihr nichts, sie musste den Rock hervorholen, und nachdem er ihn sauber abgebürstet hatte, zog er ihn an, nahm den Sack auf den Buckel und wanderte Berlin zu.

Endlich war er da, und es dauerte gar nicht lange, so stand er vor dem königlichen Schloss und begehrte Einlass. »Was will er hier?« schrie ihn die Schildwache an. »Ich will zum alten Fritz,« antwortete der Bauer. – »Ja, das geht nicht so, guter Freund,« antwortete der Soldat, »der König ist nicht für jeden hergelaufenen Menschen zu sprechen.« Und als der Bauer bei ihm vorbeihuschen und in das Schloss eindringen wollte, packte er ihn bei dem guten Tuchrock und zog ihn mit Gewalt zurück. Der Bauer verstand aber darin keinen Spass und zeterte und schrie, dass der alte Fritz den Lärm hörte, das Fenster aufriss und hinunter sah.

»Was ist denn hier los?« rief er herab. – »Königliche Majestäten! Ein Bauer ist da, der will Euch sprechen.« – »Na, lass ihn nur heraufkommen!« – Als die Schildwache hörte, dass der König so freundlich sprach, gab sie dem Bauern auch gute Worte und sagte: »Nicht wahr, Landsmann, du giebst mir ein Viertel ab von dem, was der König dir giebt?« – »Das will ich thun,« antwortete der Bauer. Indem kam ein Jude bei dem Schlosse vorbei, und als er vernahm, dass der alte Fritz den Bauern empfangen wolle, machte er einen tiefen Bückling und sprach: »Nicht wahr, der gnädige Herr werden mir armem Manne wohl ein Viertel von dem schenken, was der Herr König geben wird.« – »Ein Viertel sollst du haben,« sagte der Bauer. Als er nun in das Schloss hineinging, trat der Wachtmeister auf ihn zu und sagte: »Bauer, er hat Glück, da kann er auch an seine Mitmenschen denken; ein Viertel krieg' ich ab von dem, was der Herr König giebt.« – »Ihr sollt's haben,« sagte der Bauer und folgte dem Bedienten die Treppen hinauf. Ehe sie aber in den Saal traten, nahm auch der Lakai den Bauern bei Seite und sprach: »Umsonst ist der Tod, ich hab' dich hinauf geführt, und ein Viertel von dem, was dir der Herr König giebt, ist mein.« – »So soll's sein,« sagte der Bauer, und der Lakai klinkte die Saalthüre auf, und der Bauer stand vor dem alten Fritz.

»Was hast du, mein Sohn?« fragte freundlich der König. Der Bauer band behutsam seinen Sack auf, zog Fuchs und Hecht heraus, legte sie zu den Füssen des alten Fritz nieder und sprach: »Gnädigster Herr König, diesen Fuchs und diesen Hecht fand ich ineinander verbissen,[146] und das schien mir so sonderbar, dass ich zu meiner Frau sprach: Mutter, das muss der alte Fritz sehen.« Der König lächelte, und nachdem er sich das Wunder genugsam angeschaut, sprach er zu dem Bauer: »Packe er die Tiere wieder in den Sack, und dann lasse er sich von meinem Schatzmeister ein Douceur geben.« – »Was ist ein Douceur?« fragte der Bauer. – »Je nun, geh zum Schatzmeister und lass dir eine Reihe blanker, harter Thaler aufzählen,« sagte der alte Fritz. – »Nein, daraus wird nichts,« erwiderte der Bauer, »Ihr habt schon so wie so Geld genug auszugeben, das ganze Land ist auf Euch angewiesen, Geld nehme ich nicht.« Und da ihm der König gut zuredete, sprach er endlich: »Wenn's Eurer Königlichen Majestät recht ist, so bitte ich darum, dass mir der Stockmeister hundert Hiebe auf den Buckel zähle.« – »Meinetwegen,« sagte der König ärgerlich, »lass dir hundert aufzählen.«

Der Stockmeister wurde gerufen und musste mit dem Bauern auf den Schlosshof gehen. Gleich bei der Thüre erwartete ihn aber der Lakai und sagte: »He, Bauer, wie steht's mit dem Viertel?« – »Komm nur mit,« sprach der Bauer. Bei der Wachtstube rief der Wachtmeister: »Guter Freund, halt' er sein Wort.« – »Das will ich meinen,« sagte der Bauer, »kommt nur mit.« – »Bauer, Bauer« schrie der Posten, als die vier bei ihm vorbei zogen, »gieb mir mein Geld!« – »Dein Viertel ist sorgsam aufgehoben,« antwortete der Bauer, »komm nur mit!« und denselben Bescheid erhielt der Jude, der hinter dem Schilderhaus gewartet hatte, bis der Bauer zurückkommen würde.

Mitten auf dem Schlosshof machte der Stockmeister halt und sprach: »Jetzt, Bauer, kannst du die hundert aufgezählt bekommen.« – »Schade, dass sie schon sämtlich vergeben sind,« antwortete der Bauer, »fünfundzwanzig bekommt der Posten, fünfundzwanzig der Jude, fünfundzwanzig der Wachthabende und fünfundzwanzig der Lakai,« und dabei rieb er sich vergnügt die Hände.

»Stimmt das?« fragte der Stockmeister, und da die vier nicht abläugnen konnten, empfingen sie jeder fünfundzwanzig Streiche, und erhuben darüber ein Jammer- und Wehgeschrei, dass der alte Fritz es hörte und an das Fenster trat. »Was ist denn schon wieder los?« rief er herab. – »Der Bauer hat den Posten, den Juden, den Wachthabenden und den Lakaien angeführt,« rief der Stockmeister herauf. Da musste der Bauer zum zweiten Male die Treppe hinauf steigen und vor den alten Fritz treten und ihm erzählen, wie alles gekommen sei. Der König lachte darüber, dass er sich den Leib hielt, und als der Bauer zu Ende gekommen war, sprach er: »Jetzt, mein Sohn, geh hin zu meinem Schatzmeister und lass dir in harten Thalern eine gute Belohnung auszahlen.« – »Ich mag kein Geld, Königliche Majestät,« antwortete der Bauer; und als der alte Fritz in ihn drang, sprach er endlich: »Wenn es denn einmal so sein soll, so wünsche ich mir etwas anderes, gebt mir ›Alten-Sattel‹«. – »Geh hin zum Stallmeister und lass dir den alten Sattel geben,« sagte der König. –[147] »Nein, ich muss es schriftlich haben,« entgegnete der Bauer »gebt's mir schwarz auf blau (denn früher schrieben die Könige nur auf blauem Papier), sonst giebt er mir nicht Alten-Sattel heraus.« Da gab's ihm der König schwarz auf blau, und der Bauer zog von dannen.

Es dauerte gar nicht lange, so stand er vor dem Herrn Amtmann und sprach: »Packt Eure Sachen und macht, dass Ihr vom Hofe kommt, denn der alte Fritz hat mir Alten-Sattel geschenkt.« – »Der Kerl ist toll geworden,« dachte der Amtmann; aber der Bauer war nicht toll, sondern zog den blauen Brief heraus und zeigte ihm schwarz auf blau, dass der König ihm Alten-Sattel geschenkt habe. Da half freilich nichts, der Amtmann musste seine sieben Sachen packen und den Gutshof räumen.

Betrübt ging er nach Berlin und trat vor den alten Fritz. »Gnädigster Herr König,« sagte er, »ich habe Euch so lange treu gedient, warum habt Ihr mich denn von Haus und Hof gejagt?« – »Das habe ich gar nicht gethan,« sagte der alte Fritz. »O doch,« antwortete der Amtmann, »der Bauer hat mir selbst den Brief gezeigt, in dem Ihr ihm Alten-Sattel verschrieben habt.« – »Ach, der Schelmenbauer,« rief der alte Fritz lachend, »ich hatte gedacht, er meinte einen alten Sattel, und nun hat er sich das schöne Krongut erworben. Erst hat er den Soldaten, den Wachtmeister, den Juden und den Lakaien betrogen und nun gar mich selbst. Der Bauer ist klüger, wie ich. Auf dass du aber nicht leer ausgehst, werde ich dir einen andern Hof zur Verwaltung übergeben.« Damit war der Amtmann verabschiedet, und der Bauer behielt Alten-Sattel als sein Eigentum.

Einige Jahre darauf fiel dem alten Fritz ein, er wolle doch einmal sehen, was der Bauer auf dem Gutshofe mache. Ein Pferd ward gesattelt, und er ritt hinaus. Wo sonst Disteln und Dornen wuchsen, traf er lachende Kornfelder, dass ihm das Herz bei dem Anblick aufging; und je näher er dem Hofe kam, um so schöner wurde die Gegend. Endlich hielt er vor dem Hause; der Bauer trat heraus und half ihm vom Ross und bat ihn, ob er nicht ein Frühstück bei ihm einnehmen wolle. Der lange Ritt hatte den alten Fritz hungrig gemacht, darum nahm er des Bauern Anerbieten an und trat mit ihm in die gute Stube hinein. Da erschien sogleich die Bäuerin und trug auf: Wurst und frisch geräucherten Schinken und harte Eier und Butter und Käse, und sie langten beide tüchtig zu. Auch eine Flasche vom besten Kümmel stand auf dem Tisch, und der Bauer trank daraus: Gluck, gluck, gluck! und reichte dem König dar, und der alte Fritz trank ebenfalls: Gluck, gluck, gluck! denn er hatte ja den Feuerwein zuerst eingeführt in seinen Landen.

Als sie gegessen und getrunken hatten, grifflachte der alte Fritz vor Vergnügen und sprach: »Nun, Bauer, hat er kein Anliegen an mich?« – »Ja, ein Anliegen hab' ich, gnädigster Herr König,« sprach der Bauer, »nehmt den schwarzen Tisch da von mir zum Geschenk an.« – »Was soll ich mit dem Tisch?« antwortete der alte Fritz, »Solche Tische stehen bei mir nicht einmal auf dem Boden herum.«[148] – »Nun, dann nehmt wenigstens sein Eingeweide!« bat der Bauer. Da zog der alte Fritz die Schublade auf, und siehe, es lagen darin Goldfüchse über Goldfüchse.

»Was ist denn das?« fragte der König verwundert. »Bei Heller und Pfennig der Preis, für den das Gut eingeschätzt ist,« entgegnete der Bauer, »und Ihr könnt mir keine grössere Gnade anthun, als wenn Ihr das Geld behaltet. Ihr habt doch genug auszugeben, und ich komme mit meiner Hände Arbeit allein weiter.« Der alte Fritz klopfte dem Bauern mit der Hand auf die Schultern und sprach: »Er ist ein braver Kerl, und da er es will, werde ich das Geld abholen lassen.« Dann gab er dem Bauern eine Hand, stieg auf sein Ross und ritt nach Berlin zurück.

Als er im Schlosse war, sprach er zu dem Marschall: »Wenn ich lauter solche Bauern hätte, so wäre ich der reichste König der Welt. Lade ihn zu mir, dass ich ihn auch einmal bewirten möge.« Der Hofmarschall gehorchte dem Befehl, und es dauerte gar nicht lange, so sass der Bauer dem alten Fritz gegenüber an der königlichen Tafel. Als sie gegessen und getrunken hatten, sprach der König: »Wie ist's möglich! Als der Amtmann auf dem Gute sass, wucherten überall Disteln und Dornen, und ich musste ein Jahr über das andere den geringen Pachtzins erlassen; nun es dem Bauern gehört, sieht es aus wie ein Garten Gottes, und den Preis, für den es abgeschätzt ist, hat er mir bei Heller und Pfennig erstattet, ohne dass ich ihn darum anging. Solch Bauer ist wohl wert, ein Edelmann zu sein; Bauer, ich trinke dir zu als Ritter!« – Dem Bauern thaten diese Worte von Herzen wohl, und er erhub sich vom Stuhle, um dem alten Fritz ebenfalls zuzutrinken; weil er aber die leckeren Speisen und den köstlichen Wein nicht gewohnt war, so erging es ihm dabei nach der groben Bauern Weise. – »Pfui!« riefen die Herren vom Hofe und rümpften die Nasen und sprachen: »Da sehen es ja der Herr König, wozu es führt! Ein Bauer ist ein Bauer und bleibt ein Bauer!« – »Nur nicht so hitzig,« fiel ihnen jedoch der neugeschaffene Ritter ins Wort, »was ist natürlicher, als das? Wenn oben der Edelmann hineinfährt, so muss unten der Bauer heraus.« Da schwiegen die feinen Herren vom Hofe, der alte Fritz aber lachte und klopfte dem Bauern freundlich auf die Schultern und gewann ihn noch lieber, wie zuvor.

Der alte Fritz ist nun schon lange tot, wenn aber der kluge Bauer nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.

Quelle:
Ulrich Jahn: Volksmärchen aus Pommern und Rügen l, Norden/Leipzig 1891, S. 145-149.
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