46. Der lederne Mann.

[247] Es war einmal ein Bauersohn, dem hatten sie des Königs Rock angezogen. Aber so schön die blanken Knöpfe auch glitzerten und blinkten, so mochte es ihm doch nimmermehr unter den Soldaten gefallen; denn sein Hauptmann war ein Bärbeiss und sein Feldwebel ein Leuteschinder. Als er eines Nachts auf Wache gezogen war und Posten stand und der kalte Nachtwind ihm um die Ohren pfiff, seufzte er darum tief auf und rief: »Soldatenleben ist doch ein böses Leben! Nun diene ich erst ein einziges Jahr und kann es nimmermehr aushalten; wie soll es da erst die übrigen sechs Jahre werden (denn ehe der Franzose ins Land kam, diente jeder Mann nicht drei, sondern sieben Jahre)! Soll und muss denn einmal gedient werden, so will[247] ich lieber des Teufels Soldat werden, als mich von meinem Hauptmann und Feldwebel noch länger schinden und quälen lassen.«

Kaum hatte er die Worte zu Ende gesprochen, so stand Jenner vor ihm und sprach: »War das dein Ernst, was du da eben gesagt hast? – Ich bin's zufrieden! Sei sieben Jahre mein Knecht, und es soll dir niemals an irgend einer Sache gebrechen.« – »Mein lieber Herr Teufel,« sagte der Soldat furchtsam, »er hat's gewiss auf meine Seele abgesehen; die ist mir aber um alles in der Welt nicht feil.« – »Nicht doch,« erwiderte Jenner, »an deiner Seele ist mir gar nichts gelegen! Willst du mein Knecht werden, so erhältst du einen Beutel mit Goldstücken, der nie leer wird. Davon musst du ausgeben, so viel du nur immer verthun kannst. Ausserdem darfst du dich die ganzen sieben Jahre hindurch weder waschen noch kämmen, du darfst dir den Bart und die Haare nicht scheren, auch niemals reine Wäsche anlegen. Dafür dass dich das Ungeziefer dennoch nicht plagt, werde ich Sorge tragen.«

Diese Bedingungen schienen dem Soldaten nicht allzu schwer; er ging den Handel ein, ein Vertrag ward aufgesetzt, und er verschrieb sich darin dem Teufel auf sieben Jahre und unterzeichnete die Schrift mit seinem eigenen Blute. Darauf zog ihm der Teufel den bunten Rock aus und gab ihm dafür ein Gewand von schwarzem Leder, das ihn einhüllte, als wäre es eine Haut; das durfte er niemals ablegen, ehe nicht das siebente Jahr zu Ende gegangen war. In die eine Tasche aber steckte ihm Jenner den Wunschbeutel, in die andere die besten Papiere, dass ihn niemand anhalten durfte; dann führte er ihn über die Grenze hinüber und brachte ihn in eine grosse, schöne Stadt.

Dort ging der Soldat in das beste, vornehmste Wirtshaus und mietete sich von dem Wirt eine herrliche Wohnung, und weil er sich die köstlichsten Speisen und Getränke auftragen liess und alles, was er verzehrte, mit Goldstücken reichlich bezahlte, so gewann ihn der Wirt lieb und wollte ihn nimmer ziehen lassen. Um seines ledernen Kleides willen nannten ihn aber alle Leute den ledernen Mann.

Am andern Morgen, als es Zeit zum Aufstehen war, sprach der Wirt zur Grossmagd: »Geh herauf und bring dem ledernen Mann Kaffee und Milch zum Morgenimbiss!« – »Dem schwarzen Teufel Frühstück bringen, steht mir nicht an!« entgegnete das stolze Ding; »Sieht er denn aus, wie andere Christenmenschen, mit seinem struppigen Bart und dem ungekämmten Haar und den schmutzigen Fingern?« – »Mädchen,« sprach der Wirt, »was redest du so albern in den Tag hinein! Und wenn er auch schmutzig ist, wer weiss, warum er sich nicht wäscht; am Ende büsst er gar damit eine grosse Sünde! Aber Geld giebt er aus trotz einem König.« Doch die Grossmagd blieb bei ihrem Vorsatz, und der Wirt wandte sich deshalb an die kleine Magd. Die liess sich nicht lange bitten, stellte Kaffeekanne und Milchtopf auf den Teller und trug es in des ledernen Mannes Zimmer und bot ihm dabei einen freundlichen guten Morgen. »Schönen Dank, liebes Kind!« sprach der Soldat, griff in die Tasche und warf[248] ihr ein Goldstück zu. Vergnügt eilte sie damit die Treppe herab und zeigte es der Grossmagd; die ward grün und gelb vor Ärger, verstellte sich aber, schnitt ein hämisches Gesicht und spottete: »Für ein Goldstück bring' ich dem Teufel kein Essen.«

Am andern Morgen that der Soldat, als ihm die kleine Magd das Frühstück brachte, einen tüchtigen Griff in die Tasche und warf ihr eine grosse Hand voll Dukaten in den Schooss, dass sie nur schnell die Schürze aufmachen musste, um das viele Geld nicht auf den Boden fallen zu lassen und zu verlieren. Als sie diesmal die Treppe herunter kam und der Grossmagd das Geschenk wies, konnte dieselbe es vor Neid nicht länger mehr aushalten. Sie lief zum Wirt und sprach: »Ich habe mich besonnen, Herr; von nun an will ich dem ledernen Manne das Frühstück besorgen.« Antwortete der Wirt: »Als ich wollte, wolltest du nicht; nun du willst, will ich nicht. Die kleine Magd wird, so lange er bei uns bleibt, dem ledernen Manne aufwarten.« Als die Grossmagd eingesehen hatte, dass kein Bitten und Flehen helfen würde, ward sie am Leben verzagt; denn sie konnte es nicht verschmerzen, dass sie ihr Glück mit Füssen getreten. Sie ging hinaus durch den Garten den Wuurt hinab und sprang in den Entenpfuhl und ersäufte sich. So hatte des Teufels Soldat die erste Seele für die Hölle gewonnen.

Da der Wirt den ledernen Mann wie einen König hielt und ihm besorgte, was sein Herz nur begehren mochte, beschloss er, bei ihm wohnen zu bleiben, bis seine Dienstzeit beim Teufel abgelaufen sei. Er hielt sich eine prächtige Kutsche und die schönsten Pferde, und wenn ein herrliches Gastmal in dem Wirtshause ausgerichtet wurde, so hatte sicherlich der lederne Mann das Geld dazu hergegeben. Als nun die letzte Woche des siebenten Jahres herankam, sass der lederne Mann eines Abends mit dem Wirt bei einer Flasche Wein, und sie unterhielten sich mit einander und sprachen von diesem und von jenem. Indem fuhr ein reicher Edelmann aus der Nachbarschaft vor dem Gasthofe vor, trat ein und forderte die beiden auf, ob sie nicht mit ihm ein Spielchen machen wollten. Die Karten wurden geholt, und das Spiel begann; aber je mehr der Edelmann spielte, um so mehr verlor er auch, und je mehr er verlor, um so hitziger ward er, und um so höher setzte er ein, und es dauerte gar nicht lange, so hatte er Land und Sand, Kutsche und Pferde, Haus und Hof, Rinder und Schafe und alles übrige an den Wirt und den ledernen Mann verloren.

Wie er nun so traurig da sass und darüber nachdachte, wohin ihn sein Leichtsinn und die Spielwut gebracht, klopfte ihm der lederne Mann auf die Schulter und sagte: »Was meint Ihr dazu? Ich werde Euch all Euer Hab und Gut wieder auslösen, wenn Ihr mir eine von Euren Töchtern zur Frau gebt.« Als der lederne Mann diese Worte gesprochen hatte, sprang der Edelmann vergnügt von seinem Stuhle auf und rief: »Darauf geh' ich ein, noch heute soll die Verlobung gefeiert werden!« Und nachdem sie, wie's sich gehört, Brüderschaft[249] getrunken hatten, musste der Kutscher anspannen, und sie fuhren aufs Land hinaus zu des Edelmannes Schloss.

Als sie dort angelangt waren, hiess der Edelmann den ledernen Mann in der besten Stube Platz nehmen; er selbst ging zu seinen drei Töchtern und erzählte ihnen, wie es ihm im Wirtshause ergangen wäre, wie er Land und Sand, Kutsche und Pferde, Haus und Hof, Rinder und Schafe und alles übrige im Spiele verloren habe und wie ihn ein reicher Herr wieder auslösen wolle, wenn er dafür eine von seinen drei Töchtern zur Frau bekäme. Sprach die Älteste: »Wart einmal, Vater, ich werde ihn mir ansehen!« Mit den Worten huschte sie zur Thüre und schaute durch das Glasfenster in die Stube. »Pfui, Teufel!« rief sie aber sogleich, »den Schmutzfink soll ich nehmen? Den heirate ich nicht, und müsste ich mein Leben lang auf der Landstrasse mein Brot betteln!«

Da wandte sich der Vater an die zweite Tochter. Als diese durch das Glasfenster den ledernen Mann erblickt hatte, wollte sie vor Schrecken fast in Ohnmacht fallen. »Nein, Vater,« schrie sie auf, »dem Teufel verheiratet man seine Tochter nicht; da wäre es besser gewesen, nicht zu spielen, so wären Land und Sand, Kutsche und Pferde, Haus und Hof, Rinder und Schafe und alles übrige noch in Euren Händen. Und wenn wir in den Schuldturm geworfen werden, ich nehme den Teufelskerl nicht, und sollte ich niemals wieder das liebe Sonnenlicht sehen!«

Traurig sprach der Edelmann jetzt zu seiner dritten und jüngsten Tochter: »Liebes Kind, schlag deinem alten Vater die Bitte nicht ab! Deine Schwestern haben recht, ich bin leichtsinnig gewesen, da ich im Spiele verlor Land und Sand, Haus und Hof, Kutsche und Pferde, Rinder und Schafe und all mein anderes Hab und Gut. Aber, ach, erbarme dich deines alten Vaters, dass er nicht vor fremder Leute Thüren sein Brot betteln gehen muss!« Sagte die jüngste Tochter: »Väterchen, wozu die vielen Reden, wenn meine Schwestern dich nicht retten wollen, so muss ich es thun. Führ mich nur zu dem fremden Herren.« Und als sie in der Stube bei dem ledernen Mann war, sah sie nicht auf sein struppiges Haar und den wilden Bart und die schmutzige Haut, sondern reichte ihm freundlich die Hand und gab ihm einen herzhaften Kuss auf den Mund und ekelte sich nicht einmal. Da ward die Verlobung gefeiert, der lederne Mann bezahlte des Edelmanns Schulden, und über acht Tage sollte die Hochzeit sein.

Ehe es aber zur Hochzeitsfeier kam, sagte der lederne Mann zu seinem Schwiegervater: »Die Zeit, dass ich wie ein Teufelsknecht herumlaufen muss, ist verstrichen; ich will jetzt zur Stadt und mich säubern lassen. Sag aber deinen beiden ältesten Töchtern und auch meiner Braut kein Sterbenswörtchen davon!« Als der Edelmann ihm die Hand darauf gegeben hatte, dass er seinen Mund halten werde, fuhr der lederne Mann in die Stadt und trat in die Stube eines armen Bartscherers und fragte ihn, ob er ihn säubern wolle. Der aber rief, von solch schmutzigem Teufelskerle wolle er kein Geld verdienen,[250] und jagte ihn mit Schimpf und Schande zum Hause hinaus. Da ging der lederne Mann zu dem reichen Bruder des Bartscherers, welcher dasselbe Handwerk betrieb und ein gar fleissiger Mann war, der alle Kunden ohne Unterschied des Standes ordentlich, wie es sich gehört, zu bedienen pflegte.

»Wollt Ihr mir Bart und Haupthaar scheren und mich säubern?« fragte der lederne Mann den reichen Barbier. »Sehr gerne,« erwiderte derselbe. Da griff der lederne Mann in die Tasche und gab ihm wohl an hundert Goldstücke, und der Bartscherer kaufte die besten Öle und Seifen und wartete seines Amtes so gut, dass der lederne Mann, als er fertig war, schön aussah, wie ein Königssohn. Mit den hundert Dukaten aber lief der Barbier in den Laden seines Bruders und rief: »Wahrlich, ich bin ein Glückskind! Der liebe Gott hat mir mein Handwerk schon so wie so reichlich gesegnet, und heute sandte er mir einen Kunden, der hat mir soviel gegeben, dass ich jetzt doppelt so reich bin, denn zuvor.« Da schrie sein armer Bruder jäh auf: »Jahre lang hab' ich darauf gewartet, dass mir das Glück ins Haus käme; nun da es gekommen ist, hab' ich's mit Füssen getreten!« ging hin und kaufte für einen Dreier einen neuen Strick, eilte damit in den Wald und hing sich an einen Eichbaum. – Das war die zweite Seele, die der Teufel durch seinen Soldaten errungen hatte.

Der lederne Mann war inzwischen in der Stadt herumgefahren, hatte beim Schneider die herrlichsten Kleider und beim Schuster die besten Stiefel gekauft, wie ein Graf sie nicht schöner tragen kann. Darauf zog er sein ledernes Gewand aus und gab es samt dem Beutel dem Bösen zurück, nachdem er sich zuvor zehn Tonnen Goldes herausgenommen hatte; dann that er sich die schönen Kleider und Schuhe an, setzte sich in seinen Wagen und fuhr auf das Schloss. Als das Viergespann vorfuhr, traten der Gutsherr und seine drei Töchter zur Thüre heraus und öffneten ihm ehrerbietig den Schlag, denn sie erkannten ihn nicht wieder und meinten, er wäre ein Fürst. Doch er nahm den Edelmann beiseite und offenbarte ihm, wer er sei. Da sagte dieser zu seinen Töchtern: »Kinder, der feine Herr will eine von euch freien.« Als die beiden ältesten das hörten, machten sie ein liebevolles, freundliches Gesicht; der schöne Herr aber schritt auf die jüngste Schwester zu und küsste sie und sagte ihr, dass er und der lederne Mann ein und derselbe seien. Bei diesen Worten wollten die beiden andern vor Schreck schier in die Erde sinken, die jüngste aber weinte vor Freuden und nahm ihren Bräutigam unter den Arm und ging mit ihm in das Schloss, und drinnen wurde die prächtigste Hochzeit gefeiert. Ihre Schwestern standen während dessen noch immer draussen und verfluchten ihren Hochmut; und als das lustige Singen und der Klang der Trompeten und Geigen in ihre Ohren drang, fassten sie einander bei der Hand und stürzten sich aus Verzweiflung in den Schlossteich und fanden darin einen kläglichen[251] Tod. So hatte der lederne Mann dem Teufel im ganzen vier Seelen zugeführt, die er in der Hölle nach Herzenslust brennen und braten konnte. Das junge Paar aber lebte mit dem alten Edelmann auf dem Schlosse in Glück und in Frieden, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.

Quelle:
Ulrich Jahn: Volksmärchen aus Pommern und Rügen l, Norden/Leipzig 1891, S. 247-252.
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