50. Das Nüllingkücken.

[263] Es war einmal ein Mann, der hatte ein reiches Erbe überkommen. Da er aber leichtsinnig und liederlich war und sich tagaus tagein in den Schenken umhertrieb, so hatte er bald alles Geld durchgebracht; die Gläubiger kamen und pfändeten ihn aus, und da sass er nun in seinem abgerissenen Kittel auf der Strasse und musste hungern und dürsten. Arbeit bekam er nicht, und als er bettelte, erhielt er nichts. »Was wirst du thun?« sprach er darum bei sich selbst; »Das beste ist, du hängst dich auf.« Gedacht, gethan, der letzte Sechser wanderte zum Kaufmann; der gab ihm einen Strick dafür, und er wanderte in den Wald, um sich aufzuhängen. Endlich hatte er einen passenden Baum gefunden. Wie er aber hinaufstieg und die Schlinge um den Ast legte, rief eine Stimme vom Gipfel herab: »Was thust du hier?« Der Mann bekam einen solchen Schreck darüber, dass er zu Boden fiel; als er sich wieder ein wenig verkobert hatte, rief er hinauf: »Wer bist du denn?« – »Ich bin der Teufel,« antwortete die Stimme, und es dauerte gar nicht lange, so kletterte es vom Baume herab, und der Böse stand vor ihm.

»Ach, mir geht es schlecht,« sprach jetzt der Mann, »die harten Leute haben mich von Haus und Hof gejagt; was soll ich da anderes thun? Ich bin in den Wald gegangen, um mich zu erhängen.« – »Das lass hübsch bleiben,« erwiderte der Teufel, »hier hast du einen Geldbeutel, der niemals alle wird, den magst du ein ganzes Jahr lang behalten, bis ich wieder komme. Kannst du mir dann einen Vogel zeigen, den ich noch nicht kenne, so ist der Beutel dein eigen auf Lebenszeit. Kenne ich den Vogel aber, so gehörst du mir an mit Leib und Seele.« Der Mann sah auf den Wunschbeutel,[263] und bei seinem Anblick vergass er Leben und Seligkeit und, dass er mit dem Teufel zu thun habe, und er rief voll Freuden: »Ja, es soll so sein, wie du gesagt hast!« Da setzte der Teufel einen Vertrag auf, den musste der Mann mit seinem Blute unterschreiben; und nachdem er das gethan hatte, verschwand der Böse und liess ihm den Wunschbeutel zurück.

Kaum hatte der Mann den Beutel in der Tasche, so fing das liederliche Leben von neuem an, und er kam gar nicht aus dem Wirtshaus heraus. Die Tage flogen ihm dahin, als wären es Stunden, und eines Morgens wurde er zu seinem Schrecken gewahr, dass er nur noch drei Tage zu leben hatte; denn dass es keinen Vogel gäbe, den der Teufel nicht kenne, das wusste er von vorne herein. Traurig und bekümmert ging er aus dem Wirtshaus heraus, da ihm kein Braten und kein Wein mehr munden wollte, und dachte nur an den nahen Tod. Wie er so ging, kam ihm ein altes lahmes Weib in den Weg, das sprach zu ihm: »Was ist dir? Warum siehst du so bekümmert aus?« – »Ach, lass mich in Frieden, du kannst mir doch nicht helfen!« antwortete der Mann. »Wer kann's wissen!« versetzte die Alte; »Erzähl mir nur, wo dich der Schuh drückt. Bist du gar krank?« – »Krank bin ich nicht,« entgegnete er, »aber mir geht's schlimmer, als wenn ich die ärgste Krankheit hätte;« und dann erzählte er ihr alles, wie es sich zugetragen hatte. »Hi, hi, hi!« lachte das alte Weib, »wenn's weiter nichts ist! Was giebst du mir, wenn ich dir einen Vogel zeige, den der Teufel nicht kennt?« Da fasste der Mann neuen Mut und rief: »Ich schütte dir aus meinem Wunschbeutel eine Stube voll Geld und halte dich wie meine Mutter mein Leben lang.« – »Damit bin ich zufrieden,« antwortete die Alte, »halte nur eine Tonne mit Wildfedern und eine Tonne mit Teer bereit, wenn ich über drei Tage zu dir komme.« Dann sagte sie dem Manne Lebewohl und humpelte weiter.

Als die drei Tage um waren, trat die Alte früh morgens vor Sonnenaufgang zu dem Manne in die Stube, zog sich splinternackend aus und stieg in die Teertonne hinein. Darauf ging sie zur Federtonne und wälzte sich darin herum, bis sie über und über mit Federn bedeckt war. »So,« sprach sie, »wenn jetzt der Teufel kommt, so stelle mich ihm nur vor; er wird nicht raten, wer ich bin, so wahr ich ein altes Weib bin!« Und wenn er sagt, dass er die Wette verloren habe, und fragt, was für ein Vogel ich sei, so sag nur dreist: »Ein Nüllingkücken.« Es dauerte auch gar nicht lange, so öffnete sich die Thüre, und der Teufel trat herein. »Hast du einen Vogel?« rief er dem Manne zu. »Gewiss,« antwortete dieser, »rat einmal, was ist dies?« und damit stellte er ihm das alte Weib vor, das auf allen vieren in der Stube umherkroch. Der Teufel ging verwundert um den seltsamen Vogel herum. Die eine Feder stand nach oben, die andere nach unten, und die dritte lag quer, und dabei war er von Farbe schwarz, weiss und rot und, wie die Farben alle noch heissen mögen. »Nein,« sagte er nach einer Weile, »einen solchen Vogel[264] habe ich noch niemals gesehen, ich gebe meine Wette verloren; du magst den Wunschbeutel behalten. Aber, damit ich nicht wieder übers Ohr gehauen werde, sag mir: Wie heisst der Vogel?« – »Das ist ein Nüllingkücken,« erwiderte der Mann. »Wenn das ein Kücken ist, so möchte ich die Henne nicht sehen!« rief der Teufel erschrocken und machte, dass er davon kam, und liess sich bei dem Manne nicht wieder blicken. Der lebte aber mit dem alten Weibe in Saus und Braus bis an sein Lebensende; und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.

Quelle:
Ulrich Jahn: Volksmärchen aus Pommern und Rügen l, Norden/Leipzig 1891, S. 263-265.
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