VII

[53] Die Tafel war glänzend gedeckt. Ein Schwall von Rosen lag über das blühweiße Tischtuch verstreut. An der Kante liefen dicke Epheuguirlanden hin. Flaschen in Bastgeflecht standen umher. Es gab nur Weine aus dem Land, aus dem die Rosen stammten: aus Italien. Dicke Wachskerzen in silbernen Kandelabern verbreiteten ein angenehmes, ruhiges Licht. Marie Therese trug ein weißes, loses Kleid, und ihr Haar fiel in zwei tiefen Scheiteln in die Stirn herein.

»Setzen Sie sich ganz nach Ihrem Belieben,« sagte sie zu ihren Gästen. Es waren ihrer neun. Ihr Gatte, gütig wie immer, bemächtigte sich der Geheimrätin. Der Gemahl der alten Dame wollte sich der Hausfrau nähern, sah aber, wie Born den Arm seiner ›Königin‹ in seinen schob. Er wählte sich zur Tischnachbarin von den beiden noch anwesenden Damen ein junges Mädchen, das, wie verzaubert, unverwandt die Augen auf Marie Therese gerichtet hielt. Die hübsche junge[53] Frau, die fast krampfhaft den Arm eines hochgewachsenen Herrn umfaßte, bemerkte zu dem zuletzt eingetretenen Gast: »Nicht wahr, Herr Doktor Klausner, Sie erheben keine Ansprüche an mich. Ich möchte gern neben meinem Mann sitzen.«

Der schmächtige Herr mit der goldenen Brille machte eine Verbeugung. »Gewiß, Frau Bernhart, gewiß. Ich nehme mit Ihrer linken Seite fürlieb.«

Auf ein Klingelzeichen Marie Theresens eilten drei Knaben herein, die schön garnierte Schüsseln herumreichten.

»Drei Piccolominis, welch köstliche Idee!« Marie Therese ermahnte ihren Tischherrn, sich würdig zu betragen, da sie nicht an einer Fischgräte ersticken wolle. Leonhart sah mit glücklichem Lächeln auf seine Frau.

»Ich kann's noch immer nicht begreifen,« flüsterte die Frau Geheimrat, »bei ihrem Hochzeitsmahl erschien sie geradezu häßlich. Kein freundliches Wort von ihr, und nicht wahr, das durfte ich doch wirklich erwarten. Neulich, als sie bei mir eintrat, ich muß es schon sagen, war ich abstoßend zu ihr wie noch zu niemand. Aber sie legte mir wie ein Kind die Arme um den Hals, und was sie redete, war so süß, daß ich schließlich ganz dumm wurde, und wenn sie verlangt hätte, ich sollte tanzen, ich hätt's gethan. Sie haben das große Los gezogen, Freund!« Er lächelte still vor sich hin.[54]

»Sehen Sie, wie Ihr Mann lächelt, und wie Bernhart ihn anstarrt. Nicht Sie, Ihren Mann starrt er an. Wie haben Sie's nur angefangen, daß dieser Starrkopf hier erschien?«

»Ich machte Bernharts meinen Besuch und sagte ihnen, daß es mein Wunsch sei, ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Gnädige Frau!«

»Es war keine Lüge. Ich nannte Ihren Namen und betonte, daß wir sehr befreundet wären. Und da er wieder Ihr Freund sei, so würde es mich sehr freuen, wenn er mit Madame mir die Ehre schenkte, und so weiter. Ich weiß nicht mehr, was ich sonst noch sagte, aber er versprach zu kommen.«

»Er hat noch kein Wort zu Ihnen gesprochen. Ich hab's beobachtet.«

»Nein, er hat noch nicht gesprochen. Prosit! Prosit, Cäcilie. Wenn sie mich noch lange so anglotzt, gehe ich hinaus.«

»Sie liebt Sie.«

»Weshalb nicht Sie oder Bernhart?«

»Bernhart ist verheiratet.«

»Ei, schadet das etwas?«

»Gnädige Frau, Sie sind mir ein Rätsel.«

»Warum? Weil mich das Leben mit seinen geheimnisvollen Gängen interessiert? Weil ich alle sieben Farben und nicht nur eine einzige liebe?«

Die beiden ›Meere‹ des Professors richteten sich nachdenklich in sein Kelchglas, dann trank er[55] seinem Freunde zu. Marie Therese lächelte heimlich. Doktor Klausner, Leonharts Hausarzt, empfahl sich noch vor dem letzten Gang. Er hatte nicht absagen wollen, hatte es aber sehr eilig. Einige schwerkranke Patienten erwarteten noch seinen Abendbesuch. Er reichte mit kühler Verbindlichkeit der Hausfrau die Hand. Sie hielt sie eine Sekunde lang in der ihren und sah ihn an. Er erwiderte ihren Blick nicht. Da wußte sie, daß er ihr nicht freundlich gesinnt war.

»Cäcilie, mögen Sie uns etwas singen?«

Die Tafel war aufgehoben, und man gruppierte sich in die verschiedenen Zimmer.

»Wenn Sie wünschen, gnädige Frau?«

»Ei, würde ich Sie sonst darum angehen?«

»Nicht singen,« rief die Geheimrätin, »wir wollen heute Abend nur Sie genießen.«

»Herr Bernhart, lieben Sie den Gesang?«

»Nein, meine Gnädige.«

»Aber Paul, wie kannst du das sagen?«

»Ja – mit Ausnahmen, natürlich.«

»Ihre Frau Gemahlin singt wohl selbst.«

»Ja, sie zwitschert.« Er sah seine kleine Frau freundlich an.

»Er ist nämlich manchmal so schwermütig, und –«

»Dann singen Sie, und er lächelt; das würde ich auch thun, wenn ich Herr Bernhart wäre.«

Marie Therese trat zu ihrer jungen Verehrerin, der sie den Arm um die Schulter legte.[56]

»Sie ist – sonderbar,« flüsterte die junge Frau ihrem Gatten zu. Er zuckte die Achseln und starrte auf den Vogelbeerenzweig in der achatfarbenen Vase.

»Du bist verstimmt.«

»Verstimmt, weshalb?«

»Es war wirklich lieb von Ihnen, daß Sie zu uns kamen.« Steinwald war zu ihnen getreten.

»In Zukunft müssen Sie's öfters so machen.«

Über Bernharts regelmäßiges Gesicht flog ein Schatten.

»In der nächsten Zeit werde ich wenig hinaus kommen. Ich habe schrecklich viel zu arbeiten.«

Die beiden Herren vertieften sich in ein wissenschaftliches Gespräch. Die Piccolis liefen mit duftigem Mokka umher. Born stand einsam in einer Ecke und kaute an seiner Zigarre.

Am Klavier begann Cäcilie mit einer tiefen, klangvollen Stimme, die man ihr nicht zugetraut hätte, zu singen: Rosen wand ich zum Kranz dir ...

Bernhart brach mitten in seiner Rede ab und fuhr sich über die Stirne.

»Komm, Ella, wir wollen nach Hause gehen. Mir ist gar nicht recht wohl heute.«

Die kleine Frau folgte ihm gehorsam.

Marie Therese saß auf einem niedern Hocker, beide Ellenbogen auf die Knie gestützt, und blickte vor sich hin.

Bald darauf trennte sich die Gesellschaft.[57]

Quelle:
Maria Janitschek: Frauenkraft. Berlin 1900, S. 53-58.
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