Moderne Ehe

Liebe Bianca!

Es ist besser, ich sage es Dir schriftlich, was ich Dir zu sagen habe. Denn stünde ich persönlich vor Dir, dann könntest Du mich durch Deine Einwürfe und Vorstellungen schwach und schwankend in meinem Vorsatz machen.

Ich habe Dich, d.h. unser gemeinsames Heim, vor vier Wochen verlassen, um hier in der Hauptstadt auf der Bibliothek zu arbeiten. In der Pension, in der ich wohne, habe ich die Bekanntschaft[171] eines kleinen, possierlichen Menschen gemacht. (Er ist einige Jahre jünger als ich.) Irgendwo im Norden daheim, Mitteilhaber einer buchhändlerischen Firma, hat er sich Italien zum erstenmal angesehen und hier in der süddeutschen Stadt Halt gemacht, um seine »unvergesslichen« Eindrücke zu verdauen. Er ist nicht mittellos, wenn auch nicht reich, nicht borniert, wenn auch nicht besonders veranlagt, also gerade jene Spezies, die von uns modernen Frauen gern zum Genossen gewählt wird. (Das: »ehelichen« habe ich weggelassen, es klingt zu schrecklich.) Ich habe nie darnach gestrebt, unter die Haube zu kommen. Wozu auch? Wo ich[172] erschien, öffneten sich mir bereitwilligst Thüren und Thore. Die kostbarsten Handschriften hat man mich gegen jede Erlaubnis nach Hause mitnehmen lassen. Ich habe aus der Vatikana und der Münchener Bibliothek Werke von unschätzbarem Wert in meine Stube geschleppt, und hätte mir leicht den Ruhm eines Herostrat aneignen können. Ich habe auch sonst mancherlei zu sehen bekommen, was anderer Augen versagt bleibt. Geheime Kunstschätze aus Pompeji und Ägypten, wunderliche Schöpfungen verrückt gewordener alter Bildner wurden vor mir ausgebreitet, um meine Augen zu glücklichen Entdeckern zu machen. Verschollene Kulte[173] mit ihrem erschreckenden Ritus thaten mir ihre purpurdunklen Geheimnisse auf. Die verschiedenen Arten der Wollust, die bei Naturvölkern den Namen Religion genossen, haben sich mir enthüllt; ich hätte mit meinen Erfahrungen einen Lucian zu neuen »Göttergesprächen« anregen können. Eines Tages wurde das anders. Die Thore, an die ich anpochte, schlossen sich mir nicht auf, die Bilder, die ich sehen wollte, blieben verhängt. Die Abbés, die Bibliothekare, die vornehmen Contis mit ihren unermesslichen Kunstschätzen wiesen mich kühl zurück. Was war geschehen? Hatte ich mich an ihren Besitztümern irgendwie vergriffen, hatte ich gestohlen, oder[174] die Kostbarkeiten beschädigt, deren Hüter sie waren? O nein, nichts von alledem. Ich hatte einige graue Haare bekommen, und etliche Fältchen waren um meine Augen entstanden, Grund genug, um die Thüren des Lebens vor dem Weib zuzuwerfen.

In jener Zeit lerntest Du mich kennen. Ich war niedergedrückt über die ärgerliche Erfahrung, die meinen schönen Studien ein so jähes Ende bereiten sollte. Du fasstest Freundschaft zu mir und botest mir Dein behagliches Heim an. Ich nahm Dein Anerbieten an und zog zu Dir. Aber nur für eine bestimmte Frist, das wusste ich sofort. Der geistigen Anregung von aussen[175] bedarf ich nicht, um mir aber nur ein Wegbereiter zu sein, dessen ich mich von nun an bedienen will, um meinen Studien wieder Thür und Riegel zu öffnen, dazu bist Du mir zu lieb. Also, mein Schatz, adieu. Ich heirate; der kleine Karl Eberstein bettelt um baldige Hochzeit, ich habe nichts dagegen, weil ich, bevor die Sommerhitze eintritt, wieder aus Pisa zurück sein möchte, wo ich die Herkunft eines alten, sonderbaren Ornaments im Kreuzgang der Kapuziner feststellen will. Du weisst, so etwas kann mich peinigen, um so mehr, als ich meine Studien ganz allein ohne jede Anleitung treibe. Die Arbeiten, seien es historische oder kunsthistorische,[176] in Druck zu geben, wäre mir so unmöglich, als in einem Mägdeheim meine Wohnung aufzuschlagen. Heutzutage schreibt keine vornehme Frau mehr, heutzutage, da sich jedes mittellose Mädchen frägt, ob es Schreibmaschine lernen, Zofe werden oder Romane machen soll. Ich arbeite zu meinem Vergnügen und weil es mich freut, zu beweisen, wie plump jene Revolution in Scene gesetzt ist, die sich Frauenerhebung nennt und mit Geschrei und Getöse ihre Rechte verficht. Wer hat mich je verhindert, ganz wie und wo ich wollte, geistig zu arbeiten? Wer hat eine Diotima, Arete, Targelia, später in der Renaissancezeit eine Cosa, Bartholomaea[177] Alberti, Allessandra Bardi, Nanna Pandolfini, Lucrezia Tornabuoni verhindert, ihren Studien zu obliegen? Jeder einzelnen begabten Frau stehen von jeher Archive, Bibliotheken und Hörsäle offen.

Und die Frauen herdenweise zu den humanistischen Studien zuzulassen, würde denselben Gewinn für die einzelnen haben, den eine Stangensche Expedition für den Romreisenden hat.

Widerspruch, frohlockst du? Habe ich nicht vorhin gesagt, dass ein paar graue Haare schon zum Hindernis werden können, das uns die Quellen des Wissens verstopft?

Ja, lieber Schatz, daran ist eben die kleine Intelligenz der Männer schuld;[178] da musst Du schon den Schöpfer anklagen. Sieh, das kommt daher. Der Mann stand gleich am ersten Schöpfungstag fertig da, er hat nichts zugelernt. Wir haben eine Kindheit hinter uns und sind jetzt in unsere Reifejahre getreten. Der Mann spielt noch immer gern mit Schürzenbändern und elegante Frauenwäsche kann ihn trunken machen. Er wird wütend, wenn wir aufhören, ein hübsches Weibchen zu sein, beträgt sich dann wie ein ungezogner Bengel, verweigert uns jede Hilfe, jede Gefälligkeit, stösst uns aus dem Tempel und der Palästra geistigen Ringens und möchte uns am liebsten vergiften. In jenem Augenblick ist es am klügsten,[179] uns für die Rüpelhaftigkeit Adams dadurch zu rächen, dass wir einen seines Geschlechts heiraten. Dadurch zeigen wir ihm unsere Überlegenheit. Mein Gott, seinen Geist brauchen wir nicht mehr, unser eigner hat den seinen längst überflügelt; aber seine Fäuste brauchen wir, damit sie uns die Bahn frei halten, die wir weiter zu gehen gewillt sind. Ich grüsse Dich also als zukünftige

Frau Camilla Eberstein.


Camilla couvertierte den Briefbogen, klingelte und schickte den Brief zur Post. Dann stand sie auf und ging mit auf den Rücken verschränkten Armen in der langweiligen[180] Pensionsstube auf und nieder. Sie war eine hohe, vornehme Erscheinung mit leicht angegrautem dunklen Haar und klugen grauen Augen. Ihr roter, stolz geschweifter Mund schien selten zu lachen. Man hielt sie für noch gelehrter, als sie wirklich war, deshalb hatte sich ihr – vor Karlchen – nie ein Freier genähert, denn gelehrte Frauen sind den Männern ein Greuel. Er war der erste Bewerber, der an sie herangetreten war. Ihn reizte ihre Reife, wie das oft bei unreifen Jünglingen vorkommen soll. War die Annahme dieses verspäteten Heiratsantrages nur ein – Racheakt an dem Vertreter des Geschlechts, das sich so feig und engherzig gegen sie benommen hatte? Oder hatte[181] sie eben den ersten besten Freier angenommen, froh, dass überhaupt einer erschien? Als sie auf ihrem Gang durchs Zimmer an die Thüre kam, öffnete sich diese und Eberstein trat ein. Er zog ihre Hände an die Lippen. Wie blass sie wieder wäre. Sie strenge sich zu viel an.

»Hast du gearbeitet?«

Sie verneinte. »Nur Briefe geschrieben.«

»Komm hinaus, es ist herrlich draussen, alles ist von der Frühlingssonne überflutet. Ich will dir einige Strassen weiter ein gotisches Buffet zeigen, das ein Antiquar ausgestellt hat. Es ist prachtvoll; wenn es dir gefällt –«

Sie legte ihm die weisse Hand auf den Mund. »Wer wird denn so viel Kram[182] kaufen? Wenn wir reisen, wird uns der überflüssige Ballast im Wege sein.«

»Den lassen wir eben daheim.« Der kleine Karl mit dem bischen Kinn und der grossen Nase sah sie zärtlich an. »Ein wenig werden wir doch auch daheim sein, das muss ich schon wegen des Geschäfts.«

»Gewiss, Kind, das kannst du auch.

Aber deshalb brauchst du doch keine Ungeheuer von Buffets einzukaufen. Ich habe weder Zeit noch Lust, Möbel zu pflegen, liegt also dir die Verpflichtung ob, eine Dienstmagd mehr zu halten.«

Der kleine Karl murmelte einige Beschwichtigungen. Wenn die grosse, herrliche Frau nur schon sein wäre! Alles[183] übrige war belanglos. Er ist noch mit allem Weiblichen im Frieden ausgekommen, der kleine Karl. Wird die wohl auch keine Ausnahme bilden. Er erblickte im Geist seine Geschäftsräume schon voll neugieriger Käufer, die von nun an ihre geistige Kost nur von ihm beziehen würden, von ihm, dem Gatten einer gelehrten, berühmten Frau, die vielleicht, ja sicher, über kurz oder lang ihre Arbeiten seinem Verlag überlassen würde.

»Du solltest wirklich einen Arzt konsultieren, Camilla, du siehst abgespannt aus. Hier in der Nähe wohnt die bekannte Milena van Zooten, diplomierte Ärztin der gesamten Heilkunde. Möchtest du sie nicht konsultieren?«[184]

»Aber Schatz,« Camilla zupfte ihn am Ohr, »ich werde doch nicht einen weiblichen Arzt konsultieren!«

Er blickte sie triumphierend an. »Schau, schau, steigen die Männer also im Wert, wenn man eines klugen Ratschlages bedarf?«

Sie lächelte über seinen frohlockenden Ton.

»Frauen haben grossen Scharfblick, und ich möchte nicht als Charakterstudie dienen.«

Der arme Karl war niedergeschmettert. »Aber,« raffte er sich schüchtern und geistreich auf, »weshalb denn nicht?«

»Tralala.« Camilla drehte sich auf dem Absatz herum. Einen Augenblick[185] lang stieg ihm das Blut wohl zu Kopfe. Dann dachte er: Sie ist eben eigenartig wie alle den Durchschnitt überragenden Persönlichkeiten. Man muss Nachsicht mit ihren Launen haben.

Das an Jahren und Gestalt so ungleiche Brautpaar verliess die Pension, um einige Einkäufe zu besorgen. Die Leute auf der Strasse blickten ihnen nach. Einige Dienstmägde blieben stehen. »Nee, so'n kleener Kerl und sie so eine feine Weibsperson!« Nur einige Augen sahen mit verstehendem Freimaurerblick in das bleiche, hochmütige Gesicht Camillas. Diese Augen gehörten ähnlichen Frauen, wie sie selbst eine war.[186]

Der Hochzeitstag war rasch herangerückt. Karl hatte sich doppelte Absätze und dicke Korksohlen an seine Lackstiefel machen lassen, aber es nützte ihm nichts. Er reichte seiner Frau nun mal nicht höher als bis zur Nase.

Nach dem standesamtlichen Akt fuhren sie gleich der Heimat zu. Er wollte unterwegs Halt machen. Am Bahnhof eines kleinen, wenig bekannten Städtchens entstiegen sie dem Zug. Sie hatte seinem Betteln, das sie langweilte, nachgegeben. Er nahm im ersten besten Gasthof Quartier. Nachdem Stubenmädchen und Lohndiener entlassen waren, näherte er sich ihr in verliebter Ungeduld. Sie runzelte die Brauen und entzog sich seinen bebenden[187] Armen. Wie konnte er nur so abgeschmackt sein! Nein, sie wollten noch ein wenig bummeln!

»Aber es ist ja unser Hochzeitstag,« warf er ein.

»Eben deshalb, ein höchst langweiliger Tag, den man am besten in der Kneipe beschliesst.«

Er gehorchte ihr und dachte insgeheim: Nachher! Aber »nachher« war er müde vom reichlich genossenen Wein und den endlosen Herumstreifereien – sie hatte ihn bis zur nächsten Ortschaft geschleppt -, so dass er taumelnd ins Bett sank. Als er am nächsten Morgen die Augen aufschlug, war sie schon ausgegangen. Er kam sich wie ein düpierter Schuljunge vor,[188] rieb seine mageren Kniee im Bette und dachte: Na warte! Ich überrasche dich doch noch ...

Fast ein Jahr lang spielten sie wie Katze und Maus miteinander. Einmal an einem Abend, auf der Reise in die Gräberstadt Memphis, gelang es ihm, als sie müde und schon halb schlummernd in ihrem Bette lag, ihr den Herrn zu zeigen. Sie stiess ihn ein paarmal zurück, endlich liess sie ihn gewähren. Er verkrampfte sich ganz in sie, die Sinne schwanden ihm wie einem Insekt, das in einen Becher Champagner gefallen ist. Sie blieb kühl und blass, während er schweissgebadet und keuchend neben ihr hinsank. In der Folge bestürmte er sie öfter. Er raste[189] wie auf einer ruhenden Grabfigur seine Begehrungen an ihr aus.

In einer intimen Stunde sagte er zu ihr: »Ich verstehe nicht, dass du nicht schwanger wirst; du bist von der Natur geradezu prädestiniert, schönen Kindern das Leben zu geben ...«

Da lächelte sie und strich ihm übers Haar. Karlchen verstand so wenig Naturgeschichte ...[190]

Quelle:
Maria Janitschek: Die neue Eva, Leipzig 1902, S. 169-191.
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