Dreizehnter Sektor

[109] Landestrauer der Spitzbuben – Scheerauer Fürst – fürstliche Schuld


Der Kronprinz, auf dessen Zahlen der Rittmeister wartete, war noch auf der ausländischen Kunststraße, von der er auf den Thron[109] wie auf einen Turm hinauffuhr. Drei arme Spitzbuben hielten ihren Einzug noch früher als er. Es kann erzählet werden: Seitdem Tode des Höchstseligen – der Papst ist der Allerseligste – wurde eine Kirche um die andre im Scheerauischen nicht ausgestohlen, sondern ausgekleidet; die Kirchendiebe schälten bloß das Landtrauertuch, das unsere Kanzeln und Altäre anhatten, wieder ab. Die Kirchner und Kantores fanden alle Morgen skalpierte heilige Stätten, und die Pfarrer mußten darin stehen in dem Frühgottesdienst. Nun hatte neulich der Geldgreifgeier, Kommerzien-Agent Röper, in der Maußenbacher Kirche Altar und Kanzel am Bußtage mit einem Frack von schwarzem Tuch – buntes war ihm nicht heilig und wohlfeil genug – übersohlen lassen. Diese schwarze Emballage blieb daran als Landtrauer. Der alte Röper hatte mithin wenig Schlaf mehr, weil er besorgte, die Kirchen-Greifgeier zögen dem Maußenbacher Altar das Ehrenkleid aus und nähmen den mit silbernen und seidnen Lettern aufs Tuch genähten Schuldschein mit, welcher besagte, wer alles hergeschenkt. Sein Gerichthalter Kolb, dem ein Diebfang Zobelfang und Perlenfischerei ist, umgab daher die Kirche mit allerlei Falkenaugen; es wäre auch nichts gewesen, wenn nicht der Falkenbergische Bediente Robisch am Sonntage abends, sobald die Kirche zugeschlossen war, zum Schulmeister gesagt hätte: »er solle sie zulassen, er habe die Kirchleute gezählet, und drei wären nicht mit herausgegangen.« Kurz man blockierte den Tempel bis nachts und – zog glücklicherweise drei versteckte Tuchkorsaren aus dem Andachtorte heraus. Am Morgen erstaunt alles, die drei Kirchgänger fahren auf einem Leiterwagen zum Scheerauer Tor hinein und haben sämtlich schwarze Röcke und Unterkleider an – abends sind sie verschwunden. Für den Hof (wenn er nicht noch geschlafen hätte) wars ein häßlicher Prospekt, daß eine Räuberbande so gut wie er Hoftrauer angelegt und sich deswegen die Trauergarderobe aus Kirchen gestohlen hatte.

»Henken sollte man dich,« sagte der Rittmeister zu seinem Kerl – »arme Diebe ins Unglück zu bringen, die keinem Menschen etwas nehmen, sondern nur Kirchen.« – »Aber für solche Schufte« (sagt' ich) »gehört doch auch keine Hoftrauer, schon des Aufwands wegen.[110] Warum darf man überhaupt nicht seinen leiblichen Vater1, aber wohl den Landesvater betrauern? – Oder warum verstattet die Kammer den Landeskindern noch das Weinen, da doch das die Tränendrüsen des Staats erschöpft und da die Tränen noch steuerfrei sind?« –

»Sie greifen zu weit,« sagte der Rittmeister; »gerade so wie bisher muß die zeitige Regierung bleiben, wenn sie sich von allen vorigen durch die Sorgfalt auszeichnen soll, womit sie über unsern Flor, über alle unsere Pfennige und Pulsschläge wacht.«

»Die Negermarketender« (sagte der Doktor, aber unpassend genug) »wachen noch mehr; denn einen Sklavenhandelsmann kümmert die Unpäßlichkeit eines solchen Stück-Menschen oder Sklaven mehr als seiner Frau ihre. Sogar Bewegung und Tanz soll sein menschlicher Viehstand haben, und er prügelt ihn dazu.«

»Ackerbau,« (fuhr er fort) »Handel, Fabriken, Volksreichtum und Volkswohlleben sogar, kurz die Körper der Untertanen kann der schlimmste Despot erheben und nähren – aber für ihre Seelen kann er nichts tun, ohne alles wider seine zu tun.«

Ich bin oft auf den Gedanken gefallen, ob nicht die Trauerordnungen oder -abordnungen haben wollen, daß der pfiffige und traurige Staatsbürger die Erlaubnis der Landtrauer benütze und seine Haustrauer mit ihr zusammenwerfe. Könnt' er nicht seinen Einzelkummer über die Sterblichkeit seiner Tanten, seiner Vettern aufheben, bis ein allgemeiner einfiele, und so, wenn das Land den Kondolenzflor um Arm und Degen gewickelt hätte, alles in Pausch und Bogen wegtrauern und sich hinter dem nämlichen Flor über eine Landsmutter und eine Stiefmutter betrüben? Höfen wär's leicht. Ja könnten diese nicht in der Landestrauer ihre Sippschaft gar voraus betrauern? Könnte man überhaupt nicht die ganze Narrheit bleiben lassen? –

Mein neuer Landesherr stieg endlich aus dem Reisewagen auf den Thron und verwechselte den Kutschenhimmel mit dem Thronhimmel. Der Rittmeister hielt vor der Krönung eine Bittschrift bereit, worin er so trotzig wie ein Sattler sein Geld verlangte;[111] nach der Krönung hatte der Fürst wie ein Demant so viel Feuerglanz aus seiner Krone und seinem Zepter eingeschluckt, daß sein Gläubiger vom Gerichthalter ein neues Memoriale machen ließ und bloß um die Zinsen anhielt. Da er nichts bekam, nicht einmal eine Resolution: so wollt' er mehr fordern. Denn er bedachte nicht, daß unsere regierende Brotherrn in Scheerau selten Geld haben. Wenn wir außerordentliche Gesandtschaften bekommen oder senden, wenn wir taufen oder begraben lassen, der Kriege gar nicht zu erwähnen: so haben wir wenig oder nichts als – Extrasteuern, diese metallischen Stützen und Klammern des mürben Thrones. In dem Kammerbeutel deuten wir, wie in der Heraldik, das Silber durch leeren Raum an.

Aber dem Schuldner und Gläubiger war bald geholfen. Letzter, der Rittmeister, marschierte als Cicerone mit seinem Gustav durch das Kadettenhaus und zeigte ihm alles, um ihm alles zu loben, weil er mit seinem Kopf einmal in einen Ringkragen hinein sollte – als der junge Fürst auch ankam und auch alle Gemächer besah, nicht um alles wieder auf dem nächsten Sattel zu vergessen, sondern um gar nichts zu bemerken. Es tat mir leid – denn ich war auch mitgekommen –, daß jeder Professor sich darauf verließ, der Regent zähle, wenn nicht jedes Haar auf seinem Haupte, doch jede Locke an seiner Perücke; denn er wurde nicht einmal meiner und meines Anstandes ansichtig; aber ganz natürlich, da ihm ein solcher Anstand in den feinsten Sälen aller Länder schon etwas Altes geworden war. Er trug – denn wie lang' war er vom Reisen heim? – den Fürstenhut mit der Ungezwungenheit eines Damenhutes; keine lange Regierung hatte noch die Krone finster hereingedrückt, und die geraden Menschen brachen sich in den Medien, Feuchtigkeiten und Häuten seines Auges noch nicht zu krummen Baugefangnen. Seine Worte bot er mit der Freigebigkeit eines Weltmanns noch wie Schnupftabak herum. Endlich erhielt auch Falkenberg eine Prise. Ich sehe meine beiden Prinzipale noch gegen einander stehen – meinen adeligen und verborgenden Prinzipal mit dem festen, aber gehorchenden Anstande eines Soldaten, in Embonpoint und aufquellende Muskeln gedrückt, und mit dem leichtgläubigen Wohlwollen, das gutmütige Menschen für jeden[112] hegen, der gerade mit ihnen spricht – den gekrönten und insolventen Prinzipal aber mit dem malerischen Anstand, worin jedes Glied sich in den andern hinein verbeugt und worin selbst die Stellung eine fortdauernde Schmeichelei ist, mit einem vielblätterigen Faltenwurf im lahmgespannten Gesicht, mit einer Gefälligkeit, die weder verweigert noch hält. Meine Pate sah die allgemeine Gefälligkeit des Kronträgers für eine ausschließende gegen sich an; sie dachte, er tue seine Fragen, um eine Antwort zu haben; und als vollends mein gnädigster Fürst und Landesherr geäußert hatten: »der kleine Gustav sei hier an seiner Stelle, er interessiere durch sein air de reveur stärker, als man sich selber die Rechenschaft zu geben wisse, und man würde ihn, sobald er für diese Zimmer groß genug wäre, dem Vater mit 13000 Rtlr. Handgeld abkaufen«: so war der Rittmeister außer sich, oder vielmehr aus seiner Bitte; seine Bittschriften wurden Dankadressen; sein Wunsch war, daß ich schon acht Jahre Hofmeister bei ihm gewesen wäre; seine Hoffnung war, das Geld komme nach; und der wahre Vorteil war, daß der Sohn ins beste deutsche Kadettenhaus käme.

Man tut mir keinen Gefallen, wenn man ihn auslacht. Freilich schwur er auf seinem Schlosse, »Hofleuten traue er keine Hand breit und die ganze Nation stink' ihn an«; hingegen solchen Hofleuten, mit denen er gerade zu tun hatte, traut' er mehr – allein militärische Unwissenheit der Rechte ist bei ihm an vielem schuld; wie soll er als Soldat wissen, daß ein Fürst zu keiner Bezahlung verbunden ist? – Vielleicht ists nicht einmal allen Lesern so bekannt, als sie vorgeben werden. Ein Regent braucht aus drei Gründen nicht einen Heller zu bezahlen, den er seinen Landeskindern abgeliehen (borgte sein Herr Vater: so versteht sichs von selber). Erstlich: ein Gesandter, er sei vom ersten oder dritten Rang, stieße die ältesten Publizisten vor den Kopf, wenn er seine Schulden abtrüge; nun kann er, der ja der bloße Repräsentant und die abgedrückte Schwefelpaste des Regenten ist, unmöglich Rechte haben, die dem Urbilde abgehen, folglich wird nicht bezahlt. Zweitens: der Fürst ist – oder wir dürfen unsern akademischen Nachmittagstunden kein Wort mehr glauben – der wahre summarische Inbegriff und Repräsentant des Staates (wie wieder[113] der Envoyé ein Repräsentant des Repräsentanten ist oder ein tragbarer Staat im kleinen) und stellet folglich jedes Staatsglied, das ihm einen Kreuzer leihet, so vor, als wenn ers selber wäre; mithin leihet er sich im Grunde selber, wenn ein solches zu seinem repräsentierenden Ich gehöriges Glied ihm leihet. Gut! man gesteht es; aber dann gestehe man auch, daß ein Fürst sich so lächerlich machen würde, wenn er seinen eignen Landeskindern wieder bezahlen wollte, als sich der Vater des Generals Sobouroff machte, der die Kapitalien, die er sich selber vorstreckte, sich ehrlich mit den landesüblichen Interessen heimzahlte und sich nach dem Wechselrecht bestrafte. Woher käm' es denn als aus der Verwandtschaft mit dem Throne und dessen Rechten, daß sogar Große im Verhältnis ihres Standes und ihrer Schuldenmasse fallieren dürfen? Oder warum ist ein gerichtliches Konsens- oder Hypothekenbuch der richtigste Hofadreßkalender oder almanac royal? –

Drittens: der geflickteste Untertan kann sich von seinem Fürsten Anstandbriefe oder Moratorien verschaffen; wer soll sie aber dem Fürsten geben, wenn ers nicht selber tut? Und tut ers Gewissens halber nicht: so kann er sich doch wenigstens alle fünf Jahre ein erneuertes Quinquennell bewilligen.

Einen vierten Grund wüßt' ich aber nicht.

1

Im Scheerauischen war damals, wie in noch einigen Staaten, den Untertanen alle Trauer verboten.

Quelle:
Jean Paul: Die unsichtbare Loge, in: Jean Paul: Werke. Band 1, München 1970, S. 109-114.
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