Siebenundzwanzigster oder XXI. Trinitatis-Sektor

[235] Gustavs Brief – Fürst mit seinem Frisierkamm


Nun ist Gustav im alten Schlosse – sein Schauplatz hob sich bisher täglich, von der Erdhöhle in eine Ritterburg, dann in ein Kadetten-Philanthropin, endlich in ein Fürstenschloß. Der reiche Oefel mietete es, weil es an das neue anstieß, wo der Blocksberg der großen Welt von Scheerau war. Die Residentin von Bouse hatte beide von ihrem Bruder geerbt, der hier unter ihren Küssen und Tränen verschied. Die Natur hatte ihr alles gegeben, was das eigne Herz erhebt und das fremde gewinnt; aber die Kunst hatte ihr zu viel gegeben, ihr Stand ihr zu viel genommen – sie hatte zu viele Talente, um an einem Hofe andre Tugenden zu behalten als männliche; sie vereinigte Freundschaft und Koketterie – Empfindung und Spott – Achtung der Tugend und Philosophie der Welt – sich und unsern Fürsten. Denn dieser war ihr erklärter Liebhaber, welchem sie ihr Herz mehr aus Ehre als aus Neigung ließ. Sie war zu etwas Besserem gemacht als zu schimmern; allein da sie zu nichts Gelegenheit hatte als zum Schimmer: so vergaß sie, daß es jenes Bessere gebe. Aber wer zu etwas Höherem geboren ist als zur Welt- oder Hofglückseligkeit: der fühlt in bittern Stunden seine versäumte Bestimmung. – Es wird sich hieher eine neue Ursache anzugeben schicken, die Oefeln aus Scheerau warf: er sollte und wollte auf fürstlichen Befehl für den Geburttag der Residentin ein Drama auf der Drehscheibe seines Pultes auskneten. Das Drama sollte Beziehungen haben. Auf dem Liebhabertheater zu Oberscheerau – wo der Fürst nicht wie auf dem Kriegtheater Figurant, sondern erster Akteur war und wo er eine ordentliche Hoftruppe ersetzte und ersparte – sollte es vom Fürsten, von Oefel und einigen andern gespielt werden. Der Fürst hatte noch Augen, die Residentin anzublicken, noch eine Zunge,[235] sie zu lieben, noch Tage, es ihr zu beweisen, noch ein Theater, ihr zu huldigen: gleichwohl haßte er sie schon, weil sie zu edel für ihn war; denn seine Theaterrolle sollte (wie unten gedruckt werden soll) mehr ihm als ihr Dienste tun. – Oefel (welcher Ambassadeur und Hoftheaterdichter und Akteur auf einmal war, weil ein schlechter Unterschied ist) malte in sein Drama Beaten hinein und wollte ihr durch ihr Abbild schmeicheln und verhoffte, sie werde mit agieren und ihr Porträt zu ihrer Rolle machen. Alles dies glaubte er von Gustav auch; aber unten werden wir eben sehen.

Gustav fühlte im alten Schlosse – indes über seine Ohrennerven alle Visitenräder gingen und alle Besuch-Prozessionen um seine Augen schwärmten – sich toten-allein. Er arbeitete sich in seine künftige Bestimmung hinein. Mehr als funfzig Gesandtschaftschreiber werden daher denken, er lernte Briefe und Herzen aufmachen, Weiber und Berichte dechiffrieren, Amour, Cour und Spitzbübereien machen – die funfzig Schreiber irren; sie werden ferner denken, er lernte klein schreiben, um das Porto zu schwächen, ferner Chiffern und Titel machen, ferner wissen, wessen Name im öffentlichen Instrument, das an drei Potenzen kommt, zuerst stehe – und daß jede Potenz in ihrem Instrument zuerst stehe – sie haben recht; aber er tat mehr: er lernte in der Einsamkeit die Gesellschaft ertragen und lieben. Fern von Menschen wachsen Grundsätze; unter ihnen Handlungen. Einsame Untätigkeit reift außer der Glasglocke des Museums zur geselligen Tätigkeit, und unter den Menschen wird man nicht besser, wenn man nicht schon gut unter sie kommt.

Seine Geschäfte gingen in schöne Unterbrechungen über. Denn vor seinem Fenster draußen stand die schöne und fast kokette Natur von Paris-Äpfel umhangen und mitten in ihr eine Spaziergängerin, die die Äpfel alle verdiente. Wer kann es sein als – Beata? – Ging sie in den Park: so wars ihm ebenso unmöglich, ihr nachzuspazieren, als ihr nicht nachzuschauen durchs Fenster, und seine Augen suchten aus dem Gebüsche alle vorbeiblinkende Bänder heraus. Wandelte sie rückwärts mit dem Gesichte gegen seine Fenster: so trat er nicht bloß von diesen, sondern auch von den Vorhängen so weit wie möglich zurück, um ungesehen zu[236] sehen. Vielleicht (aber schwerlich) kehrten sich die Rollen um, wenn er nach ihr sich auf ihre Gänge wagte, die für ihn Himmelwege waren. Eine herabgewehte Rose, die er einmal in der dunkelsten Nacht unter ihrem Fenster aufhob, war eine Ordenrose für ihn, ihr welker Honigkelch war das Potpourri seiner schönsten Träume und seines Freudenflors: – so legest du, hohes Schicksal, für den ewigen Menschen seinen Himmel oft unter ein falbes Rosenblatt, oft auf den Blütenkelch eines Vergißmeinnichts, oft in ein Stück Land von 305000 Quadrat-Meilen. –

Wer zu viel verziehen hat: will sich nachher rächen. Gustavs Freundschaft gegen Amandus war in eine so hohe Flamme aufgeschlagen, daß sie notwendig Asche auf ihren Stoff herunterbrennen mußte. Wenn er Beaten nachblickte, blickte er auf Amandus zurück und tadelte sich so oft, daß er anfangen mußte, sich zu rechtfertigen. Was vom Aschenberg, worunter seine Liebe glimmte, abgetragen wurde, wurde dem Aschenberge seiner Freundschaft zugeschüttet. Gleichwohl würde er zu jeder Stunde für Amandus alles geopfert haben, was das Volk Freuden nennt; – denn in der neuen Zeit einer ersten Freundschaft wer den Opfer noch wärmer gesucht, als in der spätern gebracht, und der Geber ist beglückter als der Empfänger. O! die rechte Seele hat nicht bloß die Kraft, sondern auch die Sehnsucht, aufzuopfern. – Das Leben, das Gustav jetzo von Frühling und Garten und von Wünschen der Liebe umgeben genoß, soll er selber malen in seinem Briefe an mich. Diesen Brief werden freilich die verwerfen, die vor dem Natur-Schauspiel als kalte Zuschauer, als entfernte Logen-Pächter stehen; aber es gibt bessere und seltnere Menschen, die sich für hineingerissene Spieler halten und jede Grasspitze für beseelt ansehen, jedes Käferchen für ewig und das unbändige Ganze für ein unendliches schlagendes Adersystem, in welchem jedes Wesen als ein saugendes und tropfendes Ästchen zwischen kleinern und größern pulsiert und dessen volles Herz Gott ist. – –


*[237]


Gustavs Brief


»Heute stieg ich zum zweiten Male aus meiner Höhle in die unendliche Welt – alle meine Adern fluten noch vom heutigen Nachmittage, mein Blut möchte sich mit den Erden um die Sonnen drehen und mein Herz mit den Sonnen um das funkelnde Ziel, das neben dem Schöpfer steht ....

Die Nachtluft, die mein Licht umkrümmt, kühlet mich vergeblich ab, wenn ich nicht die brennende Brust vor dem Auge des Freundes aufdecke und ihm alles sage. Ich nahm nachmittags mein Reißzeug, womit ich bisher statt der Landschaften die Festungen, die sie verwüsten, schaffen müssen, und ging ins stille Land hinaus. Der Erdball glitt so leise wie der Schwan unter den Blumeninseln, an die ich mich lagerte, durch den Äther-Ozean dahin, der freundliche Himmel bückte sich tiefer zur Erde nieder, es war dem Herzen, als müßt' es im stillen weiten Blau zerfließen, als müßt' es von fernen ein verhalltes Jauchzen hören, und es sehnte sich nach arkadischen Ländern und nach einem Freund, vor dem es zerginge – – Ich setzte mich mit der Reißfeder auf einen künstlichen Felsen neben dem See und wollte meine Aussicht zeichnen – die einander umarmenden Erlenbäume, die das Ende des umgekrümmten Sees zuhüllten und belaubten – die bunte Reihe der Blumeninseln, um deren jede schon ein doppeltes Blumenstück ihrer geschmückten Insulanerin gemalet schwamm, nämlich das bunte Blumenbild, das unter dem Wasser zum Spiegel-Himmel hinabging, und der Schattenriß, der auf dem zitternden Silbergrunde schwankte – und die lebendige Gondel, der Schwan, der zu meinen Füßen sich in hungriger Hoffnung drehte; – – aber als die ganze hoch aufgerichtete Natur mir saß und mich mit ihren Strahlen ergriff, die von einer Sonne zur andern reichen: so betete ich an, was ich nachfärben wollte, und sank Gott und der Göttin zu Füßen ....

Ich stand auf mit gelähmter Hand und übergab mich dem steigenden Meere, das mich hob. – Ich ging an alle Ecken der großen Tafel mit Millionen Gedecken für riesenhafte Gäste und für unsichtbare; denn meine Brust war noch nicht voll, und ich[238] ließ die Wellen, die hineinschlugen, leidend in mir steigen. – Ich drängte mich in den tiefsten Schatten der Schattenwelt, in welcher die in einen Stern zergangene Sonne entlegner schimmerte. – Ich ging im Fichtenwald vor dem Gezänk der Kohlmeise und vor dem einsamen Wüstenlaut der Drossel vorüber unter die singende Lerche hinaus. – Ich ging im langen Abendtal an dem bewohnten Bach hinauf, und ein entzücktes Wesenchor wandelte mit mir, die hineingetauchte Sonne und die Mücke mit ihren Schrittschuh-Füßen liefen neben mir auf dem Wasser weiter, die großäugige Wasserlibelle floß auf einem Weidenblatte dahin, ich watete durch grünes aus- und einatmendes Leben, umflogen, umsungen, umhüpfet, umkrochen von freudigen Kindern kurzer warmer Augenblicke. – Ich stieg auf den Eremitenberg, und meine Brust war noch nicht von dem Weltstrome voll, dem sie leidend offen stand. – – – Aber dort richtete sich die liegende Riesin der Natur vor mir auf, in den Armen tausend und tausend saugende Wesen tragend – und als meine Seele vom Gedränge der unzähligen, bald in Mückengold gefaßter Seelen, bald in Flügeldecken gepanzerter, bald mit Zweifalter-Gefieder überstäubter, bald in Blumenpuppen eingeschlossener Seelen angerühret wurde in einer unendlichen, unübersehlichen Umarmung – und als sich vor mir über die Erde legten Gebürge und Ströme und Fluren und Wälder, und als ich dachte, alles dieses füllen Herzen, die die Freude und die Liebe bewegt, und vom großen Menschenherzen mit vier Höhlungen bis zum eingeschrumpften Insektenherzen mit einer und bis zum Wurmschlauch nieder springt ein fortschaffender, ewiger, eine Zeugung um die andre entzündender Funke der Liebe ....

.... Ach dann breitete ich meine Arme hinaus in die flatternde zuckende Luft, die auf der Erde brütete, und alle meine Gedanken riefen: o wärest du sie, in deren weitem wogenden Schoß der Erdball ruht, o könntest du wie sie alle Seelen umschließen, o reichten deine Arme um alles wie ihre, die da beugen das Fühlhorn des Käfers und das bebende Gefieder des Lilien-Schmetterlings und die zähen Wälder, die da streicheln mit ihrer Hand das Raupenhaar und alle Blumen-Auen und die Meere der Erde, o könntest du wie sie an jeder Lippe ruhen, die vor Freude brennt, und kühlend[239] um jeden gequälten Busen schweben, der seufzen will. – – Ach, hat denn der Mensch ein so schmales versperrtes Herz, daß er vom ganzen Reiche Gottes, das um ihn thront, nichts lieben, nichts fühlen kann, als was seine zehn Finger fassen und fühlen? Soll er nicht wünschen, daß alle Menschen und alle Wesen nur einen Hals, nur einen Busen haben, um sie alle mit einem einzigen Arm zu umschließen, um keines zu vergessen und in gesättigter Liebe nicht mehr Herzen zu kennen als zwei, das liebende und das geliebte? – Heute wurd' ich mit der ganzen Schöpfung verbunden, und ich gab allen Wesen mein Herz ....

Ich kehrte mich nach Osten gegen das neue Schloß und gegen Auenthal. Hinter dem Auenthaler Wald brausete durch einen zerbrochnen Regen-Schwibbogen ein aufgerichteter Ozean – ich stand hier einsam in einer weiten Stille – ich wandte mich zur heruntergegangnen Sonne, ich dachte daran, daß ich sie einmal für Gott gehalten, und es fiel heute schwer auf mich, daß ich den, ders war, bisher so selten gedacht – ›O Du, Du!‹ rief so nahe an ihm mein ganzes Wesen – aber allen Sprachen und allen Herzen und allen Gefühlen entfällt vor ihm die Zunge, und Beten ist Verstummen, nicht bloß mit den Lippen, auch mit dem Gedanken .... Aber der große Geist, der die Schwäche des guten Menschen kennt, hat ihm Mitbrüder herabgesandt, damit der Mensch sich vor dem Menschen öffne und vor ihnen das Gebet, in dem er verstummte, vollende. – –

O Freund meiner schönsten Jahre! der du Dankbarkeit und Demut in meinem Innersten befestigt hast, diese hab' ich empfunden, als ich auf dem Eremitenberg mich einsam über das geschaffne Gewürm erhob und fühlte, was der Mensch fühlt, aber nur er auf der Erde – als ich einsam vor dem bis in das Nichts hinausreichenden großen Spiegel, an den sich das Insekt mit Fühlhörnern stößet, mit Menschenaugen knien konnte, vor dem Spiegel, aus dem der unendliche Sonnen-Riese flammt .... Nein! In Erdfarben und auf der Leinwand von Tierfellen und auf allem, was vor mir liegt, ist bloß das Bild des Ur-Genius; aber im Menschen ist nicht sein Bild, sondern er selbst ....

Die Sonne glühte noch halb über dem Erdball, der sie[240] zerschnitt; aber ich sah sie durch mein zerrinnendes Auge nicht mehr, vergangen, verstummt, verhüllt, versunken im treibenden, flammenden, reißenden, uferlosen Meere um mich ....

Die Sonne nahm den entzückten Tag mit hinunter; und jetzo steht der Äther-Diamant, den die Nacht schwarz einfasset, der Mond, über diesen zugehüllten Szenen und strahlet wie andre Diamanten den entlehnten Schimmer aus .... O du stille Mitternacht-Sonne! du schimmerst, und der Mensch ruht, deine Strahlen besänftigen das irdische Toben, deine herunterrinnenden Funken wiegen wie ein schimmernder Bach den liegenden Menschen ein, und der Schlaf bedeckt dann wie eine Graberde das ruhende Herz, das trocknende Auge und das schmerzenlose Angesicht .... Leben Sie wohl, und die weiße Luna-Scheibe zeige Ihnen alle Paradiese der vergangnen und alle Paradiese der zukünftigen Jugend ......


Gustav.«


*


So weit war er, als Oefels Bedienter mit einem Paket an ihn in seine Stube trat, welches leichter als die kälteste Nachtluft und der wärmste Brief die Bewegungen seiner Seele anhielt und abkühlte. Ein Brief vom Doktor lag mit der Nachricht darin, daß die Frau von Röper ihm in Maußenbach gegenwärtiges Porträt mitgegeben, das ihre Tochter für ihr eignes verlornes gehalten, auf dessen Rücken aber der Name Falkenberg stehe, der alle übrige Ähnlichkeiten widerlege. So lieb ihm das Porträt war, so ärgerlich wars ihm, da es nun ein neuer Beweis seiner Vermutung war, Mutter und Tochter hasseten ihn wegen des Korn-Avertissements. Die Spinne des Hasses, die bei jedem Menschen über eine Ecke der Herzkammer ihr Gespinste hängt – nur überspinnen große Kanker in manchen alle vier Kammern mit ihren fünf Spinnwarzen –, lief auf ihren Fäden hervor, die Amandus erschüttert hatte, und verlangte Fang; kurz die kalte Färber-Hand berührte sein Herz und macht' es ein wenig kälter gegen seinen Amandus, dessen seines durch das zurückgehende Porträt wärmer geworden war. Die gestörte Liebe macht den besten Menschen nicht besser, bloß die glückliche.

In sieben Minuten war alles vorbei; denn im geistigen Menschen[241] ist die nämliche herrliche Einrichtung wie im physischen, daß um eine bittere, scharfe Idee so lange andre Ideen als mildere Säfte zufließen, bis sie ihre Schärfe verdünnt und ersäuft haben. Das Porträt wurde nun die zweite gefundene Rose; es war angehaucht mit Leben und Rosenduft durch die schönsten Augen und Lippen, die auf ihm gewesen waren.

Jetzo sah er Beata einige Zeit nicht im Garten, aber dafür den Fürsten mit und ohne die Residentin. – Gehet beide aus dem stillen Lande in euer rauschendes! Ihr genießet doch die schöne Natur nur als eine größere Landschaft, die in euerem Bilderkabinett oder an der Leinwand euerer Operntheater hängt, oder als eine nur breitere Tafel- und Kamin-Verzierung, wo euch die Felsen von Bimsstein und die Bäume von Moos geformet vorkommen, höchstens als den größten englischen Park, der neuerer Zeiten in Europa an irgendeinem Hofe anzutreffen ist. – In allen Sessionzimmern war wegen der Kanikularferien Arbeit- Windstille – im Winter könnte man wegen der Kälte Frostferien erlauben und ebensogut einen Winterschlaf der Geschäfte als die Sommer-Sieste derselben in Gebrauch setzen, wie denn auch die bekannten Tiere beider Extreme wegen aus Scheu vor ihrer Wasserscheu zu Hause bleiben müssen – mithin konnte der Minister leichter mit dem Fürsten abkommen, und beide waren länger da. Ohne mich würde der Leser nie erfahren, warum das fürstliche Dasein Anlaß war, daß Beata das stille Land gegen ihr stilles Zimmer vertauschte. So wars: Unser Fürst ist zwar ein wenig hart, ein wenig geizig und weidet seine Herde öfter mit dem Hirtenstabe als mit der Hirtenflöte; aber er wird ebensogern ein Schäfer in einem schönern Sinne und geht gern vom Throne, wo ihn die Landeskinder anbeten, zu jeder Staffel desselben herunter, um selber ein schönes anzubeten – er kann zwar das Volk, aber keine Schöne seufzen hören; er wendet emsiger eine gesellschaftliche Verlegenheit als eine Teuerung ab; er bleibet lieber den Landständen als seinem Gegenspieler etwas schuldig und bauet keine abgebrannte Stadt, aber eine eingerissene Frisur willig wieder auf. Kurz der Landesvater und der Gesellschafter sind in seinen Herzkammern Wandnachbaren, aber Todfeinde. Dieser Gesellschafter[242] subdividierte sich wieder in zwei Liebhaber, in den kurzen und in den langen. Seine lange oder weitergrünende Liebe besteht in einer kalten verachtenden Galanterie und in dem Vergnügen an der Feinheit, an dem Witze und an der Grazie, womit er und der geliebte Gegenstand ihre gegenseitigen Siege zu verzieren wissen. Seine kurze Liebe besteht in seinem Vergnügen an jenen Siegen, insofern sie jene Dekoration nicht haben. Damit man dieses unschuldige Pasquill auf einen nicht für Satire auf die meisten Großen halte, so will ich so fortfahren –

Lange Liebe hegte er gegen die Residentin, von deren Gunstbezeugungen man nicht sagen konnte: das ist die unschuldigste – die erste – die letzte. Eine solche Immobiliarliebe durchflocht er zu gleicher Zeit mit hundert kursorischen Sekunden-Ehen oder Liebschaften, und über dem schleichenden Monatzeiger der langen fixen Liebe oder Ehe wirbelte sich der fliegende Terzienweiser der abbrevierten Ehen unzähligemal um.

Darwider hatte die Residentin nichts – sie konnte auf dieselbe Weise durchflechten – darwider hatte er nichts.

In diesen kurzen Ehen tun die Großen vielleicht manches Gute, über welches Moralisten zu leicht wegsehen, die lieber ihre Druckbögen als die Geburtlisten voll haben wollen. Gleich jungen Autoren lassen junge Große ihre ersten Ebenbilder anonym oder unter geborgten Namen erscheinen; und ich kann zu Montesquieus Bemerkung, daß das Namengeben der Bevölkerung nütze, weil jeder seinen fortzupflanzen trachte, nichts setzen als meine eigne, daß die Namenlosigkeit ihr noch besser forthelfe. In der Tat geht es hierin den erhabensten Personen wie den griechischen Künstlern, die unter die schönsten Statuen, womit ihre Hand Tempel und Wege ausschmückte, ihren Vaternamen nicht setzen durften; indessen findet der pfiffige Phidias auch seine Nachahmer, der statt des Namens sein altes Gesicht an der Statue Minervens einhieb.

Der Fürst hatte im Sinn, Beaten, die ihm zu viel Unschuld und zu wenig Koketterie zu haben schien, eine kurze Liebe anzubieten. Ihr Widerstand machte, daß er auf eine längere dachte. Unter den Augen der Residentin waren vor ihm alle ihre Sinne gesichert, nur[243] das Ohr nicht – im Park keiner. Die Residentin, die wußte, daß ihr Geist sich für jede Minute in einen neuen Körper umwerfen könne, indes ihre Nebenbuhlerin nicht mehr hatte als einen, in welchem noch dazu weiter nichts als Unschuld und Liebe steckte, diese sah die ganze Sache mit keinen andern Augen an als mit satirischen. So weit wars, als der Fürst in dem Hundtags-Interregnum kam und am andern Morgen statt des Zepters nichts in der Hand hatte als den Frisierkamm und den Kopf der Residentin. Er hatte es an seinem Hofe Mode gemacht; jeder Kammerherr bis auf den Hofdentisten herunter hatte seitdem seine preteuse de tête, um an ihrem Kopfe so viel zu lernen, als er am Kopfe einer schönern preteuse auszuüben hatte – Es war ebenso notwendig, daß man frisierte, als daß man frisiert war.

Ich könnt' es in der Note sagen, daß eine preteuse de tête ein Mädchen in Paris ist, das an einem Tage hundertmal frisieret wird, weils die Innung daran lernen will – unmöglich kann es unter ihrer Hirnschale so viele Veränderungen und Versuche geben als über derselben – die Koalition und Einkindschaft der unähnlichsten Frisuren ist so groß, Dappieren und Auskämmen kommen hintereinander so schnell, oder Aufbauen und Umreißen, daß es nur auf dem Kopfe der Göttin der Wahrheit noch ärger zugehen kann, den die Philosophen frisieren und aufsetzen, oder in ganzen Staatkörpern, an denen die Regenten sich üben.

Am nämlichen Morgen, wo unserer die Regentin coiffierte, sagte er der träumerischen Beata, am andern Tage komm' er mit dem Friseur zu ihr. Die Residentin sagte nichts als: »Die Männer können alles, aber das Leichte selten; sie wirren leichter zehn Prozesse als zehn Haare ein.« Beata konnte nicht reden – nachts konnte sie nicht schlafen. Ihr ganzes Innere entsetzte sich vor des Fürsten Frostgesicht und stechendem Feuerblick, der (so wenig sie es deutlich dachte) die Präliminarsiege im neuen Schlosse so abzukürzen brannte, als wär' er im Palais royal. Am andern Morgen hatte sich ihr Wunsch, krank zu werden, beinahe in die Überzeugung, es zu sein, verwandelt. Sie sah mit lebenssatter Leerheit zum Fenster in das stille Land hinaus, in dem zwei Kinder des Hofgärtners eine bunte Glaskugel herumkegelten, als der[244] Kanarienvogel, der auf den Achseln des Fürsten wohnte und der ihn wie eine Mücke umflog, von seinem Kopf, der durch sechs Fenster von ihr geschieden war, auf ihren geflattert kam. Sie zog den Kopf mit dem Vogel hinein – aber auch mit dem Inhaber des Tiers, der sogleich ohne Bedenken kam und sagte: »Bei Ihnen hat man das Schicksal, zu verlieren – aber meinem Vogel können Sie die Freiheit nicht nehmen«. Leuten seiner Art entfließet dies alles ohne Akzent; sie reden mit gleichem Tone vom Sternen- und vom Kutschen-Himmel und von der Bewegung beider.

Ohne Umstände wollt' er ihr den Pudermantel umtun; sie nahm ihn aber aus andern Rücksichten selber um und sagte, sie wäre schon für den ganzen Tag aufgesetzt bis aufs Pudern. Allein sie mochte ihren Weigerungen immerhin die schönsten Gestalten umgeben, die ihr sein Stand und die von ihrer Mutter anerzogene Hochachtung gegen sein Geschlecht befahlen: am Ende sah sie, sein Widerlegen sei nicht viel besser als sein Frisieren. Als er das letzte anfing und so nahe vor ihr stand, sah sie wieder das Gegenteil. Jedes Haar wurd' an ihr zu einem Fühlfaden, und ihr war, als berührte er ihre wunden Nerven, als ginge mit ihm eine flammende Hölle um sie. Auf einmal quoll ihre Bangigkeit, nach den Gesetzen der weiblichen Natur, von der mittlern Stufe zur höchsten auf – ich möchte wissen, obs von seinen eigennützigen Stellungen kam, die ihm nichts halfen, oder von einem Kusse, als der Einnahme der Benefizkomödie, die er zu seinem Besten aufführte, oder von ihrem Blick auf die Pyramide des Eremitenbergs, der ihre zagende Brust mit dem Bilde und Ebenbild ihres Bruders überfüllte – genug sie sprang fieberhaft auf, und nach den Worten: »sie hätte so gewiß versprochen, der Residentin den Hut aufsetzen zu helfen, und wäre noch hier!« erwartete sie gewiß, daß ihn dieser demütig-stolze Vorwurf forttriebe. Er war nicht fortzutreiben. Dieses Mißlingen zerriß ihre zarten Kräfte, und sie lehnte sich wankend mit dem Arme und frisierten Kopfe an die Tapete. Er, vielleicht gelangweilt oder froh, sie an seine Nachbarschaft gewöhnt zu haben, nahm seinen Vogel und sie und führte sie selber zur Residentin; hier holte er mit ihr das Belachen der Benefizkomödie nach und so fort.[245]

Indessen hatten sich dennoch die Qualen des äußern Kopfs in die Migräne des innern aufgelöset; sie blieb von der Tafel und – solang' er dasmal da war – auch aus dem Parke.

Welches letzte zu erweisen nicht sowohl als zu erklären war.

Quelle:
Jean Paul: Die unsichtbare Loge, in: Jean Paul: Werke. Band 1, München 1970, S. 235-246.
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