119. Zykel

[679] Albano und Dian flogen über die deutschen Gefilde freudig so manchem teuern Herzen entgegen, und nichts wurde getäuscht als ihre – Furcht vor dem Abstande ihrer Reise-Länder. Statt des schwarzen Lavasandes und des verbrannten Bodens hinter ihnen deckte jetzt das helle frische Grün die Ebenen und kühlte das geblendete Auge. Die Wellen grüner Ähren-Fluren schlugen sich so lustig als die Wellen des blaugrünen Meers. In dichtern, längern, höhern Wäldern wehten neue Schatten, gleichsam schöne kleine Abende, die sich vor dem Tag verkrochen. Nach dem schwarzen Grün der welschen Bäume kehrte das helle lachende der deutschen Gärten zurück; und neue Vögel-Chöre wiegten sich in Wolken und in Wäldern und grüßten das Menschen-Herz und schickten ihm ihre leichte schuldlose Freude herab.

Von Frühling zu Frühling zog der glückliche Albano mit seinen Liebesträumen; wie hinter ihm eine südliche Blüte fiel, so tat sich vor ihm eine nördliche auf; und sein Reisewagen blieb auf dem bunten Wege und unter den Blüten-Schatten eines langen Gartens.

Endlich stand er vor dem Hause, wozu ihn der Garten führte, vor der Lindenstadt; so stand er auch im vorigen Jahre auf der Höhe vor ihr, zum Wolkenzuge der Zukunft aufsehend, ohne zu erraten, wozu das Gewölk sich bilde, ob zur Aurora, oder zum Abendgewitter. Wie viele alte Schmerzen streiften jetzt gleich Schatten von Wolken über die alte Gegend, über die Blumenbühler[679] Höhen und über die Häuser hinüber, als er die bekannten, zuweilen mit Tränen bezeichneten Wege der Vergangenheit überschauete! Er ging jetzt, das bedacht' er, seinem Vater mit der Nachricht seines neuen Glücks entgegen – seinem abtrünnigen Freunde mit der geraubten Geliebten – mit alter und neuer Liebe seinem wiederkehrenden Schoppe, dessen Herz und Schicksal ihm jetzt zugleich so dunkel und so wichtig waren – und der sonderbaren Zeit und Stunde, wo die unterirdischen Wasser, deren Treiben und Rauschen er bisher so oftmals erfahren, auf einmal aufgedeckt und mit allen Krümmungen und Quellen entblöße vor dem Tagslicht liegen sollten – und der heiligen Stelle, wo er die Geliebte, die ihm jetzt auf dem deutschen Wege und in der Nähe der vorigen Schwierigkeiten noch größer und unerreichbarer erschien als auf dem Epomeo in der Nachbarschaft alles Erhabnen am Himmel und auf der Erde, kühn ans Herz nehmen und schließen durfte auf ewig, ohne wieder zu fragen: wirst du mich lieben? – Da dacht' er an ein Bild zurück, das er auf dem Vesuv198 gefunden, und sagte zu Dian: »Hinter dem Menschen arbeitet und geht ein langsamer Strom, der glühend ihn verzehrt und zermalmt, wenn er ihn ergreift; aber der Mensch schreite nur tapfer vorwärts und schaue oft rückwärts, so entkommt er unbeschädigt. Mein geliebter Lehrer, so will ichs jetzt in meinen neuen bedenklichen Verhältnissen machen; wende du mich aber nach der Lava um, wenn ichs in schönen Gegenden zuweilen vergessen sollte!« –

»Sprecht bessere, günstigere Worte!« (sagte Dian) »Heil uns, die Götter sind schon gewogen! – Dort kommt Euer Vater den Schloßberg herauf und sieht so lustig und glücklich aus, wie ich ihn nie getroffen!«[680]

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So schwer und langsam wälzt sich der breite Lavastrom herunter, daß ein Mensch vor diesem glühenden Todesfluß, der alles verschlingt, erstickt und zerschmilzt, was er berührt, vorausgehen und die Zerstörung hinter sich sehen kann, ohne sich in die Gefahr einer eignen zu setzen.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 679-681.
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