Nr. 11. Fisettholz

[629] Lust-Chaos


Der Pfalzgraf hatte das Erstarren über Walts Sturmlaufen mit der Bemerkung flüssiger gemacht, daß der »Sansfaçon« es nicht verdiene, in einem wichtigen Testamente zu stehen, zu dessen Eröffnung er ihn vorzuladen habe, und dessen Bedingungen sich eben nicht sehr mit der Reimerei vertrügen. Da war das Anschlagerad und der Dämpfer gerichtlich von des Schulmeisters ton- und wortvoller Seele abgehoben, und er konnte nun alle Glocken läuten – er wußte und gab die angenehmsten Artikel des Testaments, welche der Fiskal durch die unangenehmen ganz bestätigte. Der Kandidat handelte so lange ungewöhnlich sanft nach einer Beleidigung, bis man ihn ersuchte, sie zu vergeben. Lukas rief schon im halben Hören Walten wie toll hinein, um nur etwas zu reden.

Von zarter Schamröte durchdrungen, erschien dieser- niemand gab auf ihn acht – man steckte im Testamente, ausgenommen Knoll. Dieser hatte gegen den Jüngling seit dessen Vorlesen[629] einen ordentlichen Haß gefaßt – so wie die Musik zwar Nachtigallen zum Schlagen reizt, aber Hunde zum Heulen –, weil ihm der eine Umstand, daß ein so schlechter poetischer Jurist mehr als er erben sollte (was seinen fiskalischen Kern anfraß), mehr wehe tat als der andere süß, daß sein Eigennutz selber keinen Erben hätte auslesen können, der geschickter wäre, die Erbschaft zu verscherzen.

Walt hörte gerührt der Wiederholung und Forterzählung der Erb-Ämter und der Erbstücke zu. Als um Lukas' Ohren jetzt die Worte 11000 Georgd'ors in der Südsee-Handlung und zwei Fronbauern samt Feldern in Elterlein flatterten, stand sein Gesicht, das der plötzliche warme Süd-Zephyr des Glückes umspülte, wie zergangen und verblüfft da, und er fragte: »Den 15ten? 11000?« – Darauf warf er seine Mütze, die er in der Hand hatte, weit über die Stube weg – sagte: »Den hujus dieses?« Darauf schleuderte er ein Bierglas gegen die Stubentüre über Schomakern weg. »Gerichtsmann«, rief die Frau, »was ist Euch?« – »Ich habe so mein Gaudium«, sagte er. »Nun aber komme mir der erste beste Hund aus der Stadt, ich will ihn lausen, breit tret' ich das Vieh. Und wir werden alle geadelt, wie wir hier sitzen, und ich bleibe der adelige Gerichtsherr – oder ich werde der Gerichthalter und studiere. Und auf meine Kabelschen Grundstücke säe ich nichts als Reps.«

»Mein Freund«, sagte verdrüßlich der Fiskal, »Sein poetischer Sohn hat noch vorher einige Nüsse aufzubeißen, dann ist der der Erbe.«- Mit Freudentränen trat der Notar zum enterbten Fiskal und zog dessen zähe Hände mit der Versicherung an sich: »Glauben Sie mir, Freuden-Bote und Evangelist, ich werde alles tun, um die Erbschaft zu erringen, alles, was Sie gefodert haben – (›Was wollt Ihr mit mir?‹ sagte Knoll, die Hände wegziehend) denn ich tue es ja für Menschen (fuhr Walt fort, alle andere ansehend), die noch mehr für mich getan, vielleicht für den Bruder, wenn er noch lebt. Sind denn die Bedingungen nicht so leicht, und die letzte so schön, die vom Pfarrerwerden? – Der gute van der Kabel! Warum ist er denn so gut gegen uns? Ich entsinne mich seiner lebhaft, aber ich dachte, er liebte mich nicht. Doch[630] mußt' ich ihm meine Streckverse vorlesen. Kann man denn zu gut von den Menschen denken?«

Vult lachte und sagte. »Kaum!«

Ganz blöde und schamhaft trat Walt zu Schomaker mit den Worten: »Vielleicht verdanke ich der Dichtkunst die Erbschaft und gewiß die Dichtkunst dem Lehrer, der mir die vorige Minute vergebe!« –

»So sei vergessen«, versetzte dieser, »daß man mich vorhin nicht einmal Herr genannt, was doch so allgemein. Wonne herrsche jetz! – Aber Ihr Hr. Bruder, dessen Sie gedachten, lebt noch und im Flore. Ein lebhafter Hr. van der Harnisch vergewisserte mich dessen, zohe mich aber in eine unerlaubte Ausschwatzung Ihres Hauses hinein, für die mir Ihre Verzeihung so wenig entstehe als Ihnen die meine!«

Der Notar rief es durch das Zimmer, der Bruder lebe noch. »Im erzgebürgischen Elterlein traf ihn der Herr in der Stadt«, sagte Schomaker. – »O Gott, er kommt gewiß heut oder morgen, beste Eltern«, rief Walt entzückt. – »'soll mir lieb sein«, sagte der Schulz, »ich werd' ihm unter der Haustüre mit der Habern-Sense die Beine abmähen und ihn mit einem Holzapfel erstecken, einen solchen Vagabunden!« – Gottwalt aber trat zu Goldinen, die er weinen sah, und sagte: »o ich weiß es worüber, Gute« – und setzte leise hinzu: »Über das Glück Ihres Freundes.« – »Ja bei Gott!« antwortete sie und sah ihn entzückter an.

Die Mutter warf nur die Bemerkung, wie oft ihr Gemüt durch ähnliche Sagen von ihres guten Kindes Wiederkunft betrogen worden, flüchtig unter die Männer, um sich bloß mit dem verdrüßlichen Fiskale abzugeben, welchem sie freundlich alle böse Klauseln des Testaments deutlich abfragte. Den Pfalzgrafen aber verdroß das von seiner Erbportion bestrittene Freudenfest am Ende dermaßen, daß er hastig aufstand, die Zitationsgebühren im Namen des Ratsdieners forderte und den männlichen Jubelköpfen die Hoffnung aufsagte, ihn am Abendtische unter sich zu haben, weil er lieber, gab er vor, bei dem Wirte drüben speise, der schon seinem Vater ein Darlehn schuldig sei, wovon er seit[631] so vielen Jahren, sooft er Gericht halte, etwas abesse und abtrinke, um zu dem Seinigen zu kommen.

Als er fort war, stieg Veronika auf ihre weibliche Kanzel und hielt ihre Brandpredigten und Inspektionsreden an die Männer: sie müßtens haben, wenn der Fiskal ihnen das Kapital aufkündigte; ihr Frohtun habe ihn als einen ausgeschlossenen Erben ja verschnupfen müssen. – »Zieht denn aber er oder ich die Interessen für jetzt, he? – Er!« sagte Lukas. – Schomaker fügte noch den Bericht bei, daß schon der Frühprediger Flachs das Kabelsche ganze Haus in der Hundsgasse durch weniges Weinen erstanden. Der Schulz fuhr klagend auf und versicherte, das Haus sei seinem Sohne so gut wie gestohlen; denn weinen könne jeder; dieser aber sagte, es tröst' ihn ordentlich über sein Glück, daß ein anderer armer Erbe auch etwas habe. Veronika versetzte: »Du hast noch nichts. Ich bin nur eine Frau, aber im ganzen Testamente merk' ich eine Partitenmacherei. Seit vorgestern wurde schon im Dorfe von Erbschaften gemunkelt von fremden Stadtherren, ich sagte aber gern meinem Gerichtsmanne nichts. Du, Walt, hast gar kein Geschick zu Welthändeln; und so können leicht zehn Jahre verstreichen, und du hast nichts, und bist doch auch nichts; wie dann, Gerichtsmann?« – »So schlag' ich ihn«, sagte dieser, »tot, wenn er nicht soviel Verstand zeigt wie ein Vieh; und von dir, Vronel, wars auch keiner, mich nicht zu avertieren.« –

»Ich verpfände mich«, sagte Schomaker, »für Hrn. Notars Finesse. Poeten sind durchtriebene Füchse, und haben Wind von allem. Ein Grotius, der Humanist, war ein Gesandter – ein Dante, der Dichter, ein Staatsmann – ein Voltaire, der beides, auch beides.«

Vult lachte, nicht über den Schulmann, aber über den gutherzigen Walt, als dieser sanft beifügte: »Ich habe vielleicht aus Büchern mehr Weltklugheit geschöpft als Ihr denkt, liebe Mutter. – Aber nun nach zwei Jahren, allgütiger Gott! – Wenigstens malen wollen wir uns heute die glänzende Zeit, wo alle hier frei und freudig leben, und ich nichts von allem brauche und wünsche, weil ich zu glücklich auf zwei alten heiligen Höhen wohne, auf[632] der Kanzel und dem Musenberg« – »Du sollst dann auch«, sagte Lukas, »streckversen den ganzen Tag, weil du doch ein Narr darauf bist, wie dein Vater aufs Jus.« – »Jetzt aber werd' ich sehr aufmerksam«, sagte Walt, »das Notarienwesen treiben, besonders da ich es als mein erstes vorgeschriebenes Erbamt versehe; das Advozieren kann nun wohl wegbleiben.«

»Seht ihr«, rief die Mutter, »er will nur wieder recht über seine langen Verse her, denn er hats ja vorhin so gotteslästerlich beschworen – ich hab' es nicht vergessen, Walt!«

»So wollt' ich doch, daß Donner und Teufel«, rief Lukas, der rein-froh sein wollte, »muß man denn aus jedem Turmknopf einen Nadelknopf machen wie du?« Er wollte gerade das Umgekehrte vorbringen. Er zog den Ehemannsvexierzug: »Schweig!« Sie tats immer sogleich, wiewohl mit dem Entschluß, etwas später erst recht anzufangen.

Man schritt zur Abendtafel, wie man dastand, Walt im Schanzlooper, obgleich in der Heuernte, weil er sein Nanking-Röckchen schonte. Goldinens Freudenwein war mit vielen Tränen über die Trennung des Morgens gewässert. Der Notar war unendlich entzückt über die Entzückung des Vaters, welcher allmählich, da er sie ein wenig verdauet hatte, nun milder wurde und anfing, mit Tranchiermesser und Gabel der noch fliegenden gebratenen Taube der Erbschaft entgegenzugehen und dem Sohne zum erstenmal in seinem Leben zu sagen: »Du bist mein Glück.« So lange verharrte Vult auf dem Baume. Als aber die Mutter nun erst die ausführlichen Berichte Schomakers über den Flötenspieler um ihr warmes Herz versammlen wollte, stieg er, um nichts zu hören, weil ihm der Tadel bitterer war als das Lob süß, vom Baume herunter, schon beglückt genug durch den Bruder, dessen Unschuld und Dichtkunst ihn so liebend-eng umstrickten, daß er gern die Nacht im Abendrot ersäuft hätte, um nur den Tag zu haben und den Poeten an der Brust.[633]

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 2, München 1959–1963, S. 629-634.
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