Nr. 19. Mergelstein

[701] Sommerszeit – Klothars-Jagd


Jetzt fing das Notariat des Notarius ordentlich erst recht an. Er wurde der allgemeine Instrumenten-Macher der neugierigen Stadt. Gerichtlich bei den Testamentsexekutoren sind die Schuldverschreibungen, die Protokolle über verdorbne Warenfässer, Pachtbriefe über Handelsgewölbe, Kontrakte über zu reparierende Stadtuhren und dergleichen niederlegt, die er in so kurzer Zeit ausfertigte, daß ein alter hinkender Notarius nicht wußte, was er dazu sagen sollte aus Grimm, sondern zu Gott hoffte, der Amtsbruder werde, was er da einbrocke, schon einmal auszuessen haben, wenn ihn einst die sieben Erben und die geheimen Testamentsartikel für jedes Notariats-Verbrechen bei den Haaren nehmen, wie ja das sein tägliches Gebet zum Himmel sei. Walt fand nichts dabei unbegreiflich, als daß er – freilich mehr sein Petschaft – imstande sein sollte, die wichtigsten Dinge zu bestätigen, da er kaum begriff, wie er einst einen Ehemann oder Staatsbürger abgeben könnte statt einem leeren Jüngling.

Seinem Bruder schrieb er, wie er mitten unter den Instrumenten den Roman weiterwebe, indem er so lange, bis eine Kopie abtrockne, ungehindert dichten könne – so wie d'Aguesseau behauptete, er habe viele seiner Werke im Zwischenraume gemacht, wo er sagte, qu'on serve, und wo man meldete, qu'il etoit servi. Aber Vult schrieb ihm Bitten und Gebote zurück, ums Himmels willen bei sich zu sein, sich nie zu irren, kein Stunden-Datum und andere Beiwerke der Kontrakte zu vergessen, nie zu[701] abbrevieren mit Zeichen oder notis, obgleich notarius davon herstamme; – da er zumal sicher wisse, daß man jedem Federzug auflaure und daß ihm nur deshalb der Hoffiskal das Kunden-Heer zuweise.

Einst schrieb ihm etwas Ähnliches sein Vater Lukas – nachdem er bisher jeden dritten Tag mündlich deswegen gekommen war – in einem kalligraphischen, kopierten Briefe, worin er ihn bei der Erbschaft beschwor, in seinen Instrumenten nichts zu radieren, noch zweierlei Dinte zu nehmen, und darauf befragte, ob es außer Treibers Spatzenrecht, Klüvers Hundsrecht und Müllers Bienenrecht nicht noch Wespenrechte, Hühnerrechte und Rabenrechte gebe, und was das Bienenrecht statuiere, wenn einer nur eine Biene totmache oder ein paar. Der Sohn schickte eine höfliche und ernste Antwort mit einer Spielkarte, worein er einen Maxd'or als einen Ehrensold für den Rat gesteckt. Er hatte das Goldstück gegen übermäßiges Agio von Neupetern erwechselt, um seine Eltern durch das Gold (den Phönix und Messias des Landvolks) in den dritten Himmel zu werfen. Die Botenfrau mußt' ihm aber die Viertelstunde ihrer Ankunft bestimmen und beteuern, damit er erstlich bis dahin in den seligsten Träumen des nahen elterlichen Glückes schwimmen und zweitens doch noch die Viertelstunde kosten könne, wo er entschieden wußte, das ganze Haus in Elterlein sei nun außer sich vor Jubel über den Maxd'or und lasse Schomakern aus dem Schul- und die Goldwaage aus dem Pfarrhause dazu holen. Soviel süßer wirds, lieber durch Boten als mit der Hand, lieber fernen Leuten als einem dasitzenden Mann zu schenken, der alles ausmacht, wenn er einsteckt und sich bedankt.

Seine alte Seelen-Schwester Goldine erhielt jetzt einen Brief. Vorn herein schrieb er: er übertreib' es nicht, wenn er sowohl in Rücksicht seiner jetzigen Bekanntschaften als seiner künftigen Hoffnungen sich für ein Glückskind des gütigsten Schicksals erkläre; und nur mit griechischer Furcht vor der Nemesis bekenn' er, daß sein erster Ausflug fast zu glücklich, seine erste Ziel-Palme schon voll Früchte sei und seine Abende einen Abendstern besäßen, und die Morgen den Morgenstern.[702]

Darauf ging er weiter zur Malerei des Sommerlebens, an welche er sich ohne Furcht mit folgenden Farben machte:

»Schon der Sommer allein erhöbe! Gott, welche Jahreszeit! Wahrlich ich weiß oft nicht, bleib' ich in der Stadt, oder geh' ich aufs Feld, so sehr ists einerlei und hübsch. Geht man zum Tor hinaus: so erfreuen einen die Bettler, die jetzt nicht frieren, und die Postreiter, die mit vieler Lust die ganze Nacht zu Pferde sitzen können, und die Schäfer schlafen im Freien. Man braucht kein dumpfes Haus; jede Staude macht man zur Stube und hat dabei gar meine guten emsigen Bienen vor sich und die prächtigsten Zweifalter. In Gärten auf Bergen sitzen Gymnasiasten und ziehen im Freien Vokabeln aus Lexizis. Wegen des Jagdverbotes wird nichts geschossen, und alles Leben in Büschen und Furchen und auf Ästen kann sich so recht sicher ergötzen. Überall kommen Reisende auf allen Wegen daher, haben die Wagen meist zurückgeschlagen, den Pferden stecken Zweige im Sattel und den Fuhrleuten Rosen im Mund. Die Schatten der Wolken laufen, die Vögel fliegen darzwischen auf und ab, Handwerkspursche wandern leicht mit ihren Bündeln und brauchen keine Arbeit. Sogar im Regenwetter steht man sehr gern draußen und riecht die Erquickung, und es schadet den Viehhirten weiter nichts, die Nässe. Und ists Nacht, so sitzt man nur in einem kühlern Schatten, von wo aus man den Tag deutlich sieht am nördlichen Horizont und an den süßen warmen Himmels-Sternen. Wohin ich nur blicke, so find' ich mein liebes Blau, am Flachs in der Blüte, an den Kornblumen und am göttlichen unendlichen Himmel, in den ich gleich hineinspringen möchte wie in eine Flut. – Kommt man nun wieder nach Hause, so findet sich in der Tat frische Wonne. Die Gasse ist eine wahre Kinderstube, sogar abends nach dem Essen werden die Kleinen, ob sie gleich sehr wenig anhaben, wieder ins Freie gelassen, und nicht wie im Winter unter die Bettdecke gejagt. Man isset am Tage und weiß kaum, wo der Leuchter steht. Im Schlafzimmer sind die Fenster Tag und Nacht offen, auch die meisten Türen, ohne Schaden. Die ältesten Weiber stehen ohne Frost am offnen Fenster und nähen. Überall liegen Blumen, neben dem Dintenfaß, auf den Akten, auf den Sessions-[703] und Ladentischen. Die Kinder lärmen sehr, und man hört das Rollen der Kegelbahnen. Die halbe Nacht geht man in den Gassen auf und ab und spricht laut und sieht die Sterne am hohen Himmel schießen. Selber die Fürstin geht noch abends vor dem Essen im Park spazieren. Die fremden Virtuosen, die gegen Mitternacht nach Hause gehen, geigen noch auf der Gasse fort bis in ihr Quartier, und die Nachbarschaft fährt an die Fenster. Die Extraposten kommen später, und die Pferde wiehern. Man liegt im Lärm am Fenster und schläft ein, man erwacht von Posthörnern, und der ganze gestirnte Himmel hat sich aufgetan. O Gott welches Freuden-Leben auf dieser kleinen Erde! Und doch ist das erst Deutschland! Denk' ich vollends an Welschland! – Goldine, dabei hab' ich noch die tröstende Aussicht, daß ich diesen Erntetanz der Zeit, den ich Ihnen hier in matter Prosa geschildert, weil ich Ihre Liebe, Ihr Vergeben kenne, mit ganz anderem poetischen Farben-Schmelze malen kann. – – Freundin, ich schreibe einen Roman. – Genug, genug! was ich sonst noch gefunden, was ich vielleicht nach anderthalb Stunden finde – Goldine, dürfte ich diese Freuden in Ihr Herz ausgießen! O müßt' ich nicht vor die glänzenden Sonnenwolken verhüllende Erdenwolken ziehen! – Addio, Carissima!«

Aber hier sprang er auf, ließ unabgeschrieben den Kaufbrief liegen, unter dessen Abfassung er heute eben vernommen, daß Klothar zurück und der Himmel in der Nähe sei, und lief in des Grafen Garten. Im Schreiben war Walt Befehlshaber seiner Phantasie beträchtlich, aber im Leben nur Diener derselben; wenn jene spielend ihm ihre Blumen und Früchte wechselnd in den Schoß hinein und über den Kopf hinüber warf: so drang unaufhaltsam sein ernsteres Herz seinen Gärten, seinem Gipfel zu und suchte den Zweig.

In Klothars Park hofft' er auf ein schönes Begegnen. Alle Fenster der Villa standen offen, aber kein Kopf darin. Der Gärtner, der ihn für einen Gartenfreund nahm, ging ihm nach der Sitte mit einem Blumenstrauß in der Hoffnung entgegen, er werde diese Gärtnersblumen-Schwabacher und Fernschreiberei lesen können und ihm dafür ein paar Groschen schenken. Der Notar[704] weigerte sich höflich vor dem blühenden Geschenke, nahm es endlich mit den dankbarsten Mienen an und drückte den aufrichtigsten Dank noch mündlich vor dem Gärtner aus, der sich mit den finstersten überwebte, weil er keinen Heller bekam. Selig strich der Notar durch die Gänge, in die dunkeln Busch-Nischen, an betitelte Felsen und Mauern, vor grüne Bänke der Aussichten – und überall flog ihm ein Blumenkranz auf den Kopf oder ein Sommervogel ans Herz, nämlich wahre Freuden, weil er überall ein Beet erblickte, woraus, wie er dachte, sein künftiger Freund sich einige Blumen oder Früchte des schnellen Lebens-Frühlings ausgezogen. »Der edle Jüngling kann«, sagte Gottwalt an den verschiedenen Plätzen, »wohl auf dieser Bank lang der Abendröte nachgesehen haben – in diesem Blütendickicht dämmernde Herzens-Träume ausgesponnen – auf dem Hügel wird er an Gott gedacht haben voll Rührung – Hier neben der Statue, o wenn er hier könnte die sanfte Hand seiner Geliebten genommen haben, falls er eine hat – wenn er betet, tat ers gewiß in diesem mächtigen Hain.«

Es gab wenige Bänke im Park, worauf er sich nicht niedersetzte, voraussetzend, Klothar habe früher da gesessen. – »Der englische Garten ist göttlich«, sagt' er abgehend zum stillen Gärtner an der Pforte, »abends erschein' ich gewiß wieder, liebster Mann.«

Er machte auch zur versprochenen Zeit die Gartentüre auf. In der Villa war Musik. Er verbarg sich und seine Wünsche in die schönste Grotte des Parks. Aus der Felsenwand hinter ihm drangen Quellen und überhängende Bäume. Vor ihm goß der glatte Fluß seinen langen Spiegel durch ein Auen-Land. Windmühlen kreiseten ungehört auf den fernen Höhen um. Ein sanfter Abendwind wehte das rote Sonnengold aus den Blumen höher um die Hügel. Eine weibliche Statue, die Hände in ein Vestalinnen-Gewand gehüllt, stand mit gesenktem Haupte neben ihm. Die Töne der Villa hingen sich wie helle Sterne ins Quellen-Rauschen und blitzten durch. Da Gottwalt nicht wußte, welches Instrument Klothar spiele: so gab er ihm lieber alle in die Hand; denn jedes sprach einen hohen, tiefen Gedanken aus, den er dem Herzen des Jünglings leihen mußte.[705]

Er entwarf sich unter süßen Klängen mehrmals den Umriß von der unerhörten Seligkeit, wenn der Jüngling auf einmal in die Grotte träte und sagte: »Gottwalt, warum stehest du so allein? Komme zu mir, denn ich bin dein Freund.«

Er half sich durch einige Streckverse an Jonathan (so wollt' er im Haßlauer Wochenblatte den Grafen verziffern), die ihm aber schlecht gelangen, weil sein innerer Mensch viel zu rege und zitternd war, um den poetischen Pinsel zu halten. Zwei andere Streckgedichte, unter welche er jene absichtlich im Wochenblatte zum Scheine mischen wollte, als sei alles Dichtung, waren viel besser und hießen so:


Bei einem Wasserfalle mit dem Regenbogen


O wie schwebt auf dem grimmigen Wassersturm der Bogen des Friedens so fest. So steht Gott am Himmel, und die Ströme der Zeiten stürzen und reißen, und auf allen Wellen schwebet der Bogen seines Friedens.


Die Liebe als Sphinx


Freundlich blickt die fremde Gestalt dich an, und ihr schönes Angesicht lächelt. Aber verstehst du sie nicht: so erhebt sie die Tatzen.


Eben kam der Gärtner und befahl ihm an, sich wegzumachen, weil man den Garten schließe. Er dankte und ging willig. Aber zu seinem Erstaunen fuhr er in der Theaterschneiders-Gasse nahe vor einem sechsspännigen Fackel-Wagen vorbei, worin Klothar saß nebst andern, so daß er im Garten manches, sah er, vergeblich empfunden. Er ging noch eine halbe Stunde vor Vults Fenstern auf und nieder, zwar ohne diesen zu sehen, der ihn sah, aber doch um ihn sich nahe zu denken.

Tags darauf hatt' er das Glück, den Grafen, der mit einer alten krummen Dame englisch sprach, auf einem Garten-Gange zu treffen und vor dessen ernstem schönen Gesicht den Hut mit Liebes-Augen zu ziehen. Er suchte ihm noch sechs oder sieben Male aufzustoßen und zog ebensooft – aus Unbekanntschaft mit[706] der Garten-Kleiderordnung – den Salutier-Hut, was zuletzt dem Grafen so verdrüßlich fiel, daß er unter Dach und Fach auswich. Auch der Gärtner, der längst über ihn und seine scharfen Beobachtungen des Landhauses seine eignen angestellt, wurde konfus und glaubte, etwas zu vermuten.

Noch spät abends kam ein Läufer vom polnischen General Zablocki – der in Elterlein das bekannte Ritterschloß hatte – mit dem Befehle, sich morgen ganz früh Punkt 11 Uhr einzustellen, um etwas zu machen. »O Lieber, wenn doch mein Klothar ein Instrument bei mir bestellte! Gäb' es denn eine holdere Gelegenheit?« dacht' er. Punkt 11 Uhr kam derselbe Läufer und bestellt' ihn ab. Aber an der Wirtstafel vernahm er, welche Himmelskugel nahe vor ihm seitwärts weggezogen war.

Die Tischgenossenschaft vereinigte sich nämlich, das göttliche Gemüt einer gewissen »Generals-Wina« zu erheben... Es gibt vielerlei Ewigkeiten in der armen Menschenbrust, ewige Wünsche, ewige Schrecken, ewige Bilder – so auch ewige Töne. Der Laut Wina, ja nur der verwandte Winchen, Wien, Mine, München, erfaßte den Notar ebensosehr, als wenn er an – Aurikeln roch, auf deren Duft-Wolken er sich so lange in neue ausländische Welten verschwamm, bis er entdeckte, daß er nur die frühesten seines Lebens tauig ausgebreitet sehe. Und die Ursache war eben eine. In seiner Kindheit war nämlich, da er an den Blattern blind dalag, ein Fräulein Wina, die Tochter des General Zablocki, dem das halbe Dorf oder die sogenannten Linken gehörte, mit der Mutter zum Schultheiß gekommen. In der Familie hatte sich erhalten, daß das kleine Mädchen gesagt, der arme Kleine sei ja sehr tot, und sie woll' ihm alle ihre Aurikeln geben, weil sie ihm keine Hand geben dürfte. Der Notar beteuerte, daß er sich es noch klar und süß erinnere, wie ihn Blinden der Aurikeln-Geruch durchdrungen und ordentlich berauscht und aufgelöset habe, und wie er ein peinliches Schmachten gefühlt, nur eine Fingerspitze des Kindes, dessen süßes Stimmchen ihm fern, fern herzukommen schien, anzurühren, und wie er die kühlen Blumenblätter an seinen heißen Lippen totgedrückt. Diese Blumen-Geschichte mußt' ihm, erzählt' er, in der Krankheit und nachher[707] in der Gesundheit unzählige Male erzählt werden, er habe aber Wina nie aus seiner Kindheits-Dämmerung gelassen und sie später nie angesehen, weil er es für Sünde gegen dieses für das Tageslicht ordentlich zu heilige zarte Wesen gehalten. Wenn ansehnliche Dichter ihre Arme und Flügel zusammenstellen, um wie auf einem Minervens-Schilde eine Schönheit emporzuheben durch Wolken hindurch, über schwache Monde, mitten unter die Nacht-Sonnen hinein: so hob doch Walt die ungesehene, süß sprechende Wina viel höher, nämlich in das dunkle tiefste Sternenblau, wo das Höchste und das Schönste glüht und strahlt, ohne Strahlen für uns Tiefe; gleich den großen Zentral-Sonnen Herschels, welche durch ihre unendliche Größe ihren unendlichen Glanz wieder an sich ziehen und ungesehen in ihrem Feuer schweben.

Gottwalt fragte, ob diese Wina die Tochter Zablockis sei. Er hörte, es sei diese eben die Braut – Klothars. Welche Überraschung, sich einen männlichen, markigen, scharfen Geist und Freund mit der sanften Liebe zu denken, mit dem Dämpfer, der das Schmettern zu Nach- und Widerklängen erweicht, einen Heros neben einer heiligen Jungfrau – und auf der andern Seite sich die Braut eines Freundes zu denken, diese höhere geistige Schwester, diese Gott geweihte Nonne im Tempel der Freundschaft (denn für eine schöne Seele gibt es keine schönere als des Freundes Geliebte) – – mehr Liebe und Freuden-Träume konnte eine einzige Nachricht schwerlich einem Menschen zuwerfen als die neue dem Notar, die neueste ausgenommen, daß heute beim General die Ehepakten aufgesetzet worden oder doch würden. Der Notar, der aus seiner Abbestellung das Widerspiel wußte, fuhr ordentlich vor der aufgeschobenen Herzens-Szene zusammen, die ihm entgangen war; »ich glaube, ich sterbe«, dacht' er, »vor Liebe gegen zwei solche Menschen, die ich auf einmal in ihrer fände; den Kontrakt würd' ich ohnehin mit zehntausend Fehlern aufsetzen, und stände mein Kopf darauf.«

Er hörte aber noch mehr. Der Graf, sagte die Wirtstafel, heirate sie bei seinem Reichtum nur der Schönheit und Ausbildung wegen, denn er habe zehnmal mehr Geld als der General Schulden. »Was tuts«, sagt' ein unbeweibter Komödiant, der [708] Väter machte, »die Hehre soll die Liebe und Charis selber sein.« – »Zwar die Mutter in Leipzig, glaub' ich«, versetzte ein Konsistorial-Sekretär, »konsentiert bequem, da sie lutherischer Konfession ist, so gut wie der Bräutigam; aber der Vater« – – »Wieso?« fragte der Komödiant. »Tochter und Vater sind nämlich Katholiken«, antwortete der Sekretär. – »Wird sie die Religion changieren?« fragte ein Offizier. »Das weiß man eben nicht (sagte der Sekretär); bleibt sie inzwischen bei ihrer, so sind sehr viele Dinge vorher auszumachen; und beide müssen durchaus zweimal kopuliert werden, einmal von einem lutherischen Geistlichen, her nach von einem katholischen.« – »Ihr Konsistorien«, sagte der Offizier, »bleibt doch bei Gott ein ganzer wahrer diffiziler, nichtsnütziger, langweiliger Schnickschnack, der mich ordentlich revoltiert; wie stecht ihr ab gegen einen Feldprediger!« –

So beklommen, als (nach der medizinischen Geschichte) Leute erwachen, die in ihrem Schlafzimmer einen Pomeranzenbaum hatten, der in der Nacht die Blüten auftat und sie mit seinem Duft-Frühling überfiel: so stand Walt, mit der süß-nagenden Geschichte am liebewunden Herzen, vom Tische auf. Er wollte, er mußte die Brautleute sehen. Wina, die er früher als der Graf wenigstens gehört, konnt' er ordentlich bitten, ihn dem Bräutigam, und diesen, den er längst gesehen und gesucht, ihn der Braut vorzustellen. Sehr hatt' ihm an der Wirtstafel die Bemerkung gefallen, daß Wina eine Katholikin sei, weil er sich darunter immer eine Nonne und eine welsche Huldin zugleich vorstellte. Auch daß sie eine Polin war, sah er für eine neue Schönheit an; nicht als hätt' er etwa irgendeinem Volke den Blumenkranz der Schönheit zugesprochen, sondern weil er so oft in seinen Phantasien gedacht: Gott, wie köstlich muß es sein, eine Polin zu lieben – oder eine Britin – oder Pariserin – oder eine Römerin – eine Berlinerin – eine Griechin – Schwedin – Schwabin – Koburgerin – oder eine aus dem 13. Säkul – oder aus den Jahrhunderten der Chevalerie – oder aus dem Buche der Richter – oder aus dem Kasten Noäh – oder Evas jüngste Tochter – oder das gute arme Mädchen, das am letzten auf der Erde lebt gleich vor dem Jüngsten Tage. So waren seine Gedanken.[709]

Den ganzen Tag ging er in neuer Stimmung herum – so kühn und leicht, als lieb' er selber, war ihm – und doch war ihm wieder, als wenn er zwar alle habe, aber keine – er wollte Winen eine Brautführerin zuführen, in die er selber sterblich verliebt wäre – er lechzete nach dem Bruder, nicht um ihn darüber zu belehren oder zu vernehmen, sondern um eine liebe Menschenbrust zum Druck an seine zu haben – ein großer Regenbogen abends in Osten spannt' ihn noch höher. Der leichte schwebende Bogen schien ihm ein offnes Farben-Tor für ein unbekanntes Paradies – es war der alte glänzende Siegesbogen der Sonne, durch welchen schon oft so viele schöne, tapfere Tage gegangen, so viele sehnsüchtige Augen gesehen. Auf einmal fiel ihm ein gutes Mittel ein, drei Wünsche zu befriedigen, zwei laute und einen stillen.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 2, München 1959–1963, S. 701-710.
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