Nr. 53. Kreuzstein bei Gefrees im Bayreuthischen

[939] Gläubiger-Jagdstück


Am Morgen freuete sich Walt kindisch in den vergangenen Tag zurück, weil dieser durch eine kleine Wendung sein Leben so schillernd gegen die Sonne gehalten, daß er eine Menge Tage an [939] einem verlebte, indes sonst viele hintereinander fliegende, sich deckende Zeiten des Menschen kaum eine zeigen. Heute aber blieb er zu Hause und schrieb sehr.

Das war Flitten nicht recht; zu Hause bleibende Einsamkeit war ihm wohl Würze und Zukost der Gesellschaft, aber nicht diese selber. Indes wer nicht nachahmt, wird eben nachgeahmt; Walt hatte ihm mit seinem poetischen Saus und Braus so sehr gefallen – ob er sich gleich als seine prosaische Sprech-Walze neben jenes dichterischer Spiel-Welle drehte und ihn selten verstehen oder beantworten konnte –, und dessen ungewöhnliches Anlieben und Anlegen hatte den umherfliegenden Menschen so sehr erwärmt, daß er selber mit zu Hause blieb, bloß bei ihm, ob er gleich besser als einer in der Welt voraussah, welche Gläubiger-Moskiten ihn heute stechen würden, da Mücken bekanntlich uns mehr im Stehen als Gehen anfallen. Denn ein Grundgesetz der Natur ist dies: wer nichts baut als spanische Schlösser, rechne auf nichts als spanische Fliegen, welche so gewaltig ziehen. Ein zweites Gesetz ist: man kann nicht früh genug bei einem schlechten Schuldner vorsprechen, der eben tags vorher Geld bekommen.

Es kam das gewöhnliche wütende Heer, das der Elsasser immer als ein geheiltes zurückschicken mußte, zu rechter früher Tageszeit an; und Flitte konnte es hier wie überall in der besonders dazu gewählten Audienz-Kammer empfangen, um solchem das einzige zu geben, was er hatte, Gehör. Bloß letzteres mußte wieder der Notar versagen, der eifrig taub fortdichtete, während Flitte von weitem seine Schlachten schlug. Es lohnet der Mühe, die Feldzüge flüchtig zu erzählen, welche der Elsasser an einem Tage tat, bevor er abends das warme Winterquartier des Betts bezog. Der linke Flügel des täglich angreifenden Heeres war aus Juden geworben; und den rechten formierten Zimmer- und Pferde- und Bücher-Verleiher und sämtliche Professionisten des menschlichen Leibs und deren Fisch-Weiber; und an der Spitze zog als Generalissimus ein Mann mit einer Tratte; – die offiziellen Berichte davon sind aber folgende:

Am Früh-Morgen im Nebel griff eine Karree Juden an; leicht schlug er sie mehr mit grobem Kriegsgeschrei als feiner Kriegslist[940] zurück und sagte nur: sie wären nur Juden, und er habe noch nichts, und was sie weiter wollten?

Beim Frühstück mit Walt berennte ihn ein Uhrmacher, von welchem er eine Repetier-Uhr gegen seine Zeige-Uhr und Geld-Assignate eingekauft hatte. Flitte schwur, sie repetiere schlecht, seine sei ihm ebenso lieb – auch repetiert eine Zeige-Uhr wenigstens das Zeigen –, und bot Auswechslung der Gefangnen an. Da nun der Mann die stumme schon selber verkauft hatte – Flitte freilich auch die laute –: so zog sich der Feind mit dem Verlust einer Uhr zurück.

Später sah zu er seinem Glücke aus dem Fenster und die Bewegungen des berittenen Feindes, eines Pferde-Verleihers. Er empfing ihn in der Audienz-Kammer, bekannt mit dessen einhauender Stimme und Kriegsgurgel; erstickte aber dessen Feldgeschrei durch die Dampfkugel, die er so warf: »Lieber Mann! kennt Er die Ecktanne in Kabels Wald, die eben mein Erbstück geworden samt vielem anderem, des Künftigen zu geschweigen? – Eine Mühlwelle drechselt sich daraus her! – Was brauchts Redens! Kurz, ich hatte sie schon halb einem andern versprochen; Er soll aber das Vorzugsrecht haben – schätz' Er sie – dann geb' Er nach Abzug der Schuld heraus, was honett ist – was sagt Er, mein Freund?« Sein Feind versetzte, das sei einmal ein Wort, das Hand und Fuß habe, und räumte das Feld.

Hart hinter ihm trabte ein zweiter Pferdelieferant ein, in langem, blauen, über dem Schurzfell aufklaffenden Überrock, und schob grimmig und grüßend die Ledermütze von hinten über die halbe Stirne hinein: »Wie wirds?« fragt' er. »Finten und Quinten schlagen heute nicht an bei mir.« – »Gemach!« versetzte Flitte. »Kennt Er die Ecktanne etc.? – Eine Mühlwelle drechselt etc. – Kurz, ich hatte sie schon etc.« – Der Feind versetzte: »Ists aber Vexiererei: Gott soll – Gott befohlen!«

Mit einer harthörigen Altreißin turnierte er gefährlich, weil ihr Geschrei nur mit einem solchen empfangen werden mußte, daß Walt es vernehmen konnte. Zum Glück konnt' er einen alten vergoldeten Schaupfennig – der schon 100 mal seine Belagerungsmünze und sein Hecktaler gewesen – herausziehen und ihr hinhalten[941] und bloß ins Ohr schreien: »Wechseln – abends 6 Uhr!« Doch feuerte sie auf dem Schlachtfeld noch lange fort, weil sie sich nie verschoß. Die weibliche Bellona ist furchtbarer als der männliche Mars.

»Nur hieher!« rief er; ein kurzstämmiger, rundbackiger, runder Apothekers-Junge kugelte sich herein. »Allhier überbring' ich als Diszipel unserer Hechtischen Offizin laut Rechnung die Rechnung für die arme Bitterlichin in der Hopfegasse, weil sich mein Herr Prinzipal bestens empfiehlt und die Heilungskosten dafür zu haben ersucht. Es ist nur von wegen unsrer Ordnung in der Offizin; denn übermorgen werde ich bekanntlich zum Subjekt gesprochen.« Vor dem sanften Feinde streckte er das Gewehr, eine halbe Pistole (auf alten Pistolenfuß), sagte aber: »Hr. Hecht lässet sich seine versilberten Pillen stark vergolden. Den Geburtshelfer – richt Ers aus – hab' ich schon saldieret.« – »Guter, guter Mann!« sagte Walt. – »Die Frau war ja in den kümmerlichsten Umständen von der Welt und heute noch; und ist nicht einmal hübsch dabei«, sagt' er.

Ungesehen war eben ein Heerbann eingerückt, einen Banner stark, der so anfing: »Gehorsamer! – Ein für allemal, der Mensch läßt sich in die Länge nicht hänseln. Seit Pauli Bekehrung bin ich Sein Narr und laufe nach dem bißchen Mietzins. Herr, was denkt Er denn von unsereinem?« – »Weiß Er wohl«, versetzte Flitte, »daß ich nur messenweise zahle und überhaupt mich gar nicht mahnen lasse, Er?« – »So?« erwiderte der Banner. »Ich und noch drei Hausherren und der Stiefelwichser haben uns schon zusammengeschlagen und die Schuld dem Armen-Leute-Hause vermacht.« – »Wahhas, ungehobeltes Pack?« sang Flitte dehnend. »Das ist mir ja recht lieb. Eben gab ich dem Hechtischen Subjekt (der Herr da zeugts) ein halbes Goldstück für die blutfremde blutarme Bitterlich; was geht sie mich weiter an?« – Hier hielt er ihm den einen, mit einem Ringe zugeschraubten vollen Beutelpol mit der Erklärung vor, der Zins sei hier für ihn schon bereitgezählt gewesen, jetzt bekomm' er keinen Deut; – worauf der Feind nach vergeblichen Einlenkungen, das Armenhaus habe nichts Schriftliches, ohne alles klingende Spiel abzog, äußerst[942] verdrüßlich, daß der Beutel, wie bei den Türken, das Geld selber bedeutet habe.

Diesem folgte der 23ste Herr, der Territorialherrschaft über ihn ausgeübt – dem 23sten sukzedierte der 11te – diesem der fünfte- jeder, um den Grundzins, die Quatembersteuer, das Stättegeld für den Winkel seines Staatsgebäudchens einzutreiben. Groben Herren gab er nichts als die Antwort, unter ihnen sei in die Zimmer mehr der Wind als das Licht eingedrungen, die Aufwartung schlecht und die Möbeln alt gewesen. Höfliche bezahlte er für ihre Territorialrechte mit Territorialmandaten auf die zehn Erb-Stämme, mit den Bonbons der Bons. Darauf kam der Herr, der vor dem Türmer regiert hatte, ein frommer Huter, mit zwei großen grauen Locken, welche aus dem knappen Lederkäppchen vorwalleten, und bat ihn um ein Darlehn, gerade die Hälfte der Schuld. Flitte gab ihm das Geld und sagte: »Ohnehin restiere ich, entsinn' ich mich recht, noch etwas, Herr Huter.« – »Es wird sich finden«, sagt' er.

Nach dem Vesperbrot lief ein Bücherverleiher Sturm und Gefahr. Er forderte für ein Buch à 12 Groschen und 12 Bogen genau 2 Tlr. Lesegeld auf 2 Vierteljahre. Flitte hatte nämlich nach seiner Weise, keine Sache abzuborgen, die er nicht ihrer Bestimmung gemäß wieder verborgte, das Werk so lange umlaufen lassen – denn jeder ahmte ihm nach –, daß es verloren war. Umsonst erbot er sich zum Drittel, zum Kaufe; der Verleiher bestand auf Lesegeld und fragte, ob viel mehr als ein Pfennig auf die Seite komme. Selber Walt suchte den Verleiher von seinem »Eigennutzen« zu überzeugen. »Eigennützig? das verhoff' ich eben; vom Eigennutzen lebt der Mensch«, sagte der Verleiher. Flitte ließ ihn ganz kurz ab- und wild in die nächste Gerichtsstube hineinlaufen, nachdem er bloß zehn Neujahrswünsche und fünf Kalender, die er zur Auswahl gehabt und behalten, großmütig bezahlet hatte.

Kurz vor 6 Uhr wollte das Paar ein wenig in die Luft, von der Flitte am liebsten lebte; auf der Hausschwelle bebte der Pinselmacher Purzel – jüngerer Bruder des Theaterschneiders – ihnen entgegen mit einem ausgehöhlten Gesicht wie ein Hohlglas[943] (Stirn- und Kinn-Ränder waren konvex) – das verschabte Überröckchen auf die linke Seite hinübergeknöpft – mit einem langen Fadenwurm von Zopf aus Zopfhand – und wackelnd mit dem rechten Knie: »Ihro gnädigen Gnaden«, fing das Jammerbildchen an, »werden meinen Miniatur-Pinsel vorgestern herrlich und nett erhalten – Ich stehe davor, daß der Pinsel ganz vortrefflich einigermaßen – und bitte denn um das wenige, was er kostet, und auch, daß Sie mir bei dieser Gelegenheit etwas schenken.« »Hier!« sagte Flitte zum stillen lebendigen Friedensfest, ja ruhigen Reichs-Friedensprotokoll, zu Purzel dem Jüngern. Abends machte den Waffentanz der Cafetier Fraisse mit einem Großvatertanz aus. Er kam herauf, um höflich anzumerken, es sei seine herkömmliche Weise, Gästen aus der Stadt jeden Abend die Rechnung zur Einsicht vorzulegen, damit sie solche sähen und saldierten. Walt sah hier zum erstenmale einen französischen oder elsassischen Zorn ohne Ohren; es war ein stürzend-fortrollender Streit- und Sichelwagen, woran Fluche, Schwüre, Blicke, Hände auf- und niederschlugen und zersäbelten. Fraissen wurde das nötige Geld vor die Füße, ja an den Kopf geworfen, dann eingepackt und fluchend fortgezogen in des verreiseten Dr. Huts leeres Haus. Walt wehte durch seine niederblasenden Friedenspredigten die Flammen nur höher auf. Eine verlebte Stunde war für Flitte der einzige Epiktet.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 2, München 1959–1963, S. 939-944.
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