39. Summula

[280] Doktors Höhlen-Besuch


Eine Stunde vor Sonnenuntergang war die Höhle mit Lampen erleuchtet. Der Brunnenarzt, zugleich Höhlen-Inspektor, hatte einen flüchtigen, aber guten Einfall, als er im engen langen Eingange stand. Katzenbergers kalte Handhabung seiner, zumal vor den Augen seines Fürsten, hatt' ihn wahrhaft verdrossen; denn gern ließ er sich Herabwürdigung gefallen, aber sein Ehrgefühl litt empfindlich, sobald man sie ihm nicht unter vier Augen antat.

Daher geriet er auf den Gedanken: jetzt, wenn der Doktor durch die wie ein Sperrkreuz laufende Türe in den engen düstern Gang eintrete und einige Minuten lang vom Taglichte so blind in diese[280] untere Welt komme als ein neugeborner Hund in die obere, ihm auf seine beißigen Antikritiken eine leise anonyme Antwort zu geben. Diese, hoffte er nun, würde erschöpfend sein, wenn sie seinen Geiz und seine Geburthelferkunst zugleich angriffe. Aus diesem Grunde legte er sein spanisches Rohr wie eine Lanze gegen die einzige im Gange hängende Lampe ein und stieß – sobald der blinde Katzenberger unter sie kam und links umhergriff die ganze Lampe behend auf dessen Achsel und Ärmel herab; darauf, als er ihm Licht und Öl genug in eine dazu erst nachzuschießende Wunde voraus eingegossen, trug er die nötige Wunde nach, indem er sein Rohr, während der Drehkrankheit des Doktors, so geschickt wie einen Stundenhammer auf dessen geburthelferische Fingerknöchel fallen ließ, als woll' er den Arm von unten rädern.

Noch eh' Katzenberger ausgetanzt und ausgerungen hatte und denken und sehen konnte: stand der Brunnenarzt nach einigen schnellen, weiten, leisen, in Nebengänge eingebognen Schritten schon mitten auf dem schimmernden Marktplatz der Höhle in Bereitschaft da, dem unruhigen Freunde mit Gruß und Liebe entgegenzugehen und ihn anders als vorher zu empfangen, indem er ihm inbrünstig die herabwelkende Hand bloß drückte. Katzenberger sah ihn scharf an, lächelte unversehends und schauete umher, bald auf die Lampen, bald auf seine wunden Fingerknöchel, und sagte: »Herrlich, überraschend! Und alles so Ihrer Hände Werk?« – »Das wohl nicht,« versetzte Strykius, »aber Plan und Ideen gab ich ziemlich her.«

»Serenissimus« – fuhr Katzenberger fort und zog seinen Höhlen-Bärenkinnbacken aus der Tasche – »haben neulich, als ich diesen Bärenknochen zufällig statt meines Traktätchens über das Bad aus der Tasche brachte, den kleinen Raub, soviel ich gemerkt, nicht ungnädig aufgenommen. Ganz gewiß, Herr Höhleninspektor, lassen Sie mich auch wohl den zweiten Kinnbacken – hier hab' ich nur den linken – aus der Höhle mitnehmen, obgleich hier dieser Knochenraub sonst andern verboten sein soll; was entscheiden Sie?« – »Sie werden nur lange im Finstern suchen müssen, bis Sie den rechten dazu finden, Herr Professor«, sagte Strykius.[281] – »Und so lange will ich auch suchen,« antwortete Katzenberger, »bis ich meinen zweiten Kinnbacken habe. Denn es ist mir ordentlich,« (fuhr er fort und schwenkte den Bärenknochen sehr in die Höhe) »als wenn ich ihn als einen Eselkinnbacken gegen meinen kritischen Philister führen könnte, gegen den Rezensenten, den Sie kennen. – Der Bär ist am Kopf am schwächsten, so auch mein Rezensent, und könnt' ich solchen homöopathisch, Ähnliches durch Ähnliches, kurieren, wenn ich diese Kinnbacken statt menschlicher als Sprachwerkzeuge bewegte, als tote Streitflegel gegen einen lebendigen Streitflegel; wie, mein Bester?« – »Dort seh' ich ja wohl Ihr Fräulein Tochter herkommen«, versetzte Stryk.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 6, München 1959–1963, S. 280-282.
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