42. Summula

[287] Theodas kürzeste Nacht der Reise


Warum wollen wir in der schönsten Julius-Nacht nicht lieber zuerst den Paradiesvögeln nachfliegen und erst später in Maulbronn uns mit Katzenberger und seinem Stiefbruder an die Tafel[287] des Unliebe-Mahls setzen? Wenigstens ich für meine Person fliege mit ihnen; in der nächsten Summel sind ich und die Leser wieder beisammen im Bad. Es vergehen viele Jahre und viele – Herzen, eh, einmal das Schicksal den Himmel der Liebe wieder so mit einem äußern voll Sterne einbaut und verdoppelt; denn nur im Schlachtgetümmel der Not wird meistens der Zauberkelch der Liebe schleunig geleert; aber diesmal wollte irgendein Liebe-Engel, der die Erde regiert, zwei unschuldige Jugend-Herzen mit allem segnen und belohnen, was sich unsre frühen Träume malen. Eine gestirnte duftende Sommernacht hindurch, über welche das Mutter-Auge des Mondes wachte, durften beide, nach dem ersten Feuer-Worte der Liebe, einander fortsehen und forthören. Ihr Begleiter schlummerte anfangs scheinbar aus Höflichkeit, dann wahrhaft aus Notwendigkeit. Und wie flog das Leben vorbei und die Bäume und die schlafenden Dörfer, und nur einzelne Töne der Nachtigall zogen ihnen nach und sprachen ihren Seelen nach! Theodas Herz zitterte, aber freudig, mit dem Boden unter dem aufrollenden Wagen; ihr war immer, als höre sie die Töne der Höhle fort, überall klang die Welt zurück, und es wurde ihr zuletzt im Rausche der Nacht, als stehe sie wieder mit ihrem Geliebten an der Felsenwand, an der sich ihr Leben entschieden. – Die Dörfer, die Städte, das Erdengetümmel schwanden hin, und nur die Sterne und die Berge blieben der Liebe. – Die Welt schien ihnen die Ewigkeit, die Sterne gingen nur auf und keine unter. – Endlich stieg der Stern der Liebe wie ein kleiner hellblinkender Mond im Morgen auf, die Morgenröte glühte ihnen entgegen, und die Sonne zog in die Rosen-Glut hinein. – Hinter ihnen über den Bergen, wo sie sich gefunden hatten, wölbte sich ein Regenbogen hoch in den Himmel. Und so kamen sie an, eine Seele in die andere gesunken, den Nachtschimmer in den Tages- Glanz ziehend, und ihre Blicke waren traumtrunken.

O Schicksal, warum lässest du so wenige deiner Menschen eine solche Nacht, ach nur eine Stunde daraus erleben? Sie würden sie nie vergessen, sie würden mit ihr als mit dem Frühlings-Weiß und Rot die Wüsten des Lebens färben – sie würden zwar weinen und schmachten, aber nicht nach Zukunft, sondern nach Vergangenheit[288] – und sie würden, wenn sie stürben, auch sagen: auch ich war in Arkadien! –

Warum muß bloß die Dichtkunst das zeigen, was du versagst, und die armen blütenlosen Menschen erinnern sich nur seliger Träume, nicht seliger Vergangenheiten? Ach Schicksal, dichte doch selber öfter!

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 6, München 1959–1963, S. 287-289.
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