§ 76
Beschreibung des Stils

[276] Der Stil ist der Mensch selber, sagt Buffon mit Recht. Wie jedes Volk sich in seiner Sprache, so malt jeder Autor sich in seinem Stile; die geheimste Eigentümlichkeit mit ihren feinen Erhebungen und Vertiefungen formt sich im Stile, diesem zweiten biegsamen Leibe des Geistes, lebend ab. Einen fremden Stil nachahmen, heißet daher mit einem Siegel siegeln, anstatt mit einem Petschaft. Allerdings gibt es einen weiten wissenschaftlichen, gleichsam den Wachtmantel, den ein Gedanke nach dem andern umschlägt – indes der geniale eine mit den grünen Kernen zugleich reifende und genossene Hülse und Schote ist –; aber selber jener gewinnt durch Individualität; und in der bloßen Gelehrsamkeit tut oft das leise Erscheinen des Menschen so viel höheres Vermögen kund als in der Dichtkunst das Verdecken desselben. Hat jemand etwas zu sagen, so gibt es keine angemessenere Weise als seine eigene; hat er nichts zu sagen, so ist seine noch passender. Wie wird man mit dem Widerspruche des Scheins gequält wenn ein gewöhnlicher Mensch wie z.B. Meißner nach Lessings dialektischer und dialogischer Kettenregel sich mit seinem ineinander geschlungenen Ketten-Demosthenes behängt und damit klingend zieht, ohne etwas zu haben, was zu ziehen oder zu binden ist, als wieder Ketten zum Klingeln!

Wielands langatmige, gehalten sich entwickelnde Prose ist das rechte Sprachorgan der Sokratik, welche ihn eigentümlich auszeichnet bis zum Scheine der Veränderlichkeit. Nicht nur der sokratische Spott fodert die Langsamkeit der Länge, sondern auch die gehaltne Kraft, womit Wieland mehr als irgendein Autor, wie ein Astronom, die größte und die kleinste Entfernung für die mittlere zu berechnen und aus den gezeichneten Enden in die Mitte zurückzuführen weiß. Als ein solches Sternbild der geistigen Waage hebt er sich langsam Stern nach Stern empor, um[276] uns die Gleichheit unsers innern Tags und unserer Nacht vorzuwägen. Da es aber eine Tag- und Nachtgleiche gibt, welche den poetischen Frühling, und eine zweite, welche den prosaischen Herbst mitbringt: so werden wir dem Griechen und dem Deutschen, jedem eine andere geben müssen; ein Unterschied, der sich auch in den beiden Schülern des Sokrates, in Platon und Aristipp ausdrückte. Philosophen haben überhaupt lange Perioden, gleichsam die Augenhalter dessen, dem sie den Star wegheilen; und Wieland ist ein großer Lebens-Philosoph. –

Besucht Herders Schöpfungen, wo griechische Lebens-Frische und indische Lebens-Müde sich sonderbar begegnen: so geht ihr gleichsam in einem Mondschein, in welchen schon Morgenröte fallt, aber eine verborgne Sonne malt ja beide.

Ähnlich, aber periodologischer ist Jacobis straffe, kerndeutsche Prose, musikalisch in jedem Sinne; denn sogar seine Bilder sind oft von Tönen hergenommen. Der seltene Bund zwischen schneidender Denkkraft und der Unendlichkeit des Herzens gibt die gespannte metallene Saite mit dem weichen Vertönen.

In Goethens Prose bildet – wenn in der vorigen die Töne poetische Gestalten legen – umgekehrt die feste Form den Memnons-Ton. Ein plastisches Ründen und zeichnendes Abschneiden, das sogar den körperlichen Künstler verrät, machen seine Werke zum festen stillen Bilder- und Abgußsaal.

Hamanns Stil ist ein Strom, den gegen die Quelle ein Sturm zurückdrängt, so daß die deutschen Marktschiffe darauf gar nicht anzukommen wissen.

Luthers Prose ist eine halbe Schlacht; wenige Taten gleichen seinen Worten.

Klopstocks Prose, dem Schlegel zu viel Grammatik nicht ganz unrichtig vorwarf, zeigt häufig eine fast stoff-arme Sprech-Schärfe, was eben Sprachlehrern wie Logikern eigen ist, welche am meisten gewiß, aber am wenigsten viel wissen; daher fast alle Sprachlehren kurz geschrieben sind, und Danzens hebräische am kürzesten. Überhaupt bei der Einschränkung auf einen engen Stoff will sich der denkende Kopf durch die Anstrengungen zur Sprechkürze Genüsse bereiten. Neue Welt-Ansichten wie die genannten[277] vorigen Dichter gab er wenig. Daher kommen die nackten Winteräste in seiner Prose – die Menge der zirkumskriptiven Sätze – die Wiederkehr der nämlichen, nur scharf umschnittenen Bilder, z.B. der Auferstehung als eines Ährenfeldes. Gleichwohl wird dadurch nicht Klopstocks tonloser Prose, welche der scharfe, aber tonvolle Prosaiker Lessing lobte, der Ruhm der hellsten Bestimmtheit und Darstellung verkleinert.

Die vollendete Prunk- und Glanzprose schreibt Schiller; was die Pracht der Reflexion in Bildern, Fülle und Gegensätzen geben kann, gibt er; ja oft spielet er auf den poetischen Saiten mit einer so reichen, zu Juwelen versteinerten Hand, daß der schwere Glanz, wenn nicht das Spielen, doch das Hören stört.

Ich übergehe viele (denn kein Volk schrieb in einem und demselben Jahrfunfzig eine solche vielgestaltige Proteus-Prose als das deutsche); und nenne nur flüchtig noch den milden Stil des christlichen Xenophon, Spalding (so wie Herder ein christlicher Platon im Darstellen zu nennen wäre, wenn nicht der größte Mensch der Erde zu hoch über jede Vergleichung, selber mit einem Sokrates, hinausstände); ferner die bildliche Anschaulichkeit in Schleiermachers und die unbildliche in Thümmels Stil.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 276-278.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Vorschule der Ästhetik
Vorschule Der Aesthetik: Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit Volume 2
Vorschule Der Aesthetik (1); Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit
Vorschule Der Aesthetik Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit (1)
Vorschule Der Aesthetik Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit
Vorschule Der Aesthetik Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit (3)