§ 86
Wohlklang der Prose

[322] Sogar der Prosaist verlangt und ringt in Begeisterung-Stellen nach dem höchsten Wohlklang, nach Silbenmaß, und er will, wie in dem Frühling, in der Jugend, in der Liebe, in dem warmen Lande, gleich allen diesen ordentlich singen; nicht reden. In der Kälte hustet der Stil sehr und knarrt.

Wie oft war es dem Verfasser in der hebenden Stunde so, als müßt' er sich durchaus ins Metrum stürzen, um nur fliegend fortzuschwimmen. Allein das Silbenmaß ist die Melodie des Wohlklangs;[322] und diese entzieht sich der Prose; aber einige Harmonie desselben gehört ihr zu.

Freilich gibt es einen prosaischen Rhythmus; aber für jedes Buch und jeden Autor einen andern und ungesuchten; denn wie die Begeisterung des Dichters von selber melodisch wird, so wird die Begeisterung großer Menschen, von einem Luther an bis zu Lessing und Herder herüber, unwillkürlich rhythmisch. Ist nur einmal ein lebendiger und kein gefrorner Gedankenstrom da, so wird er schon rauschen; ist nur einmal Fülle und Sturm zugleich in einer Seele: so wird er schon brausen, wenn er durch den Wald zieht, oder säuseln, wenn er sich durch Blumen spielt. Vögel, welche hoch fliegen, haben nach Bechstein sogar befiederte oder beifügelte Füße.

Bemerkungwert ist es, daß vortönender Wohlklang nicht in der Poesie und doch in der Prose das Fassen stören kann, und zwar mehr als alle Bilder; weil nämlich diese die Ideen darstellen, jener aber sie nur begleitet. Doch kann dies nur geschehen, wenn die Ideen nicht mächtig und groß genug sind, um uns über dem Betasten und Prüfen ihrer Zeichen, d.h. der Töne, emporzuheben und zu halten. Je mehr Kraft ein Werk hat, desto mehr Klang verträgts; der Widerhall gehört in große weite Gebäude, nicht in Stuben. In Johannes von Müllers Geschichte verträgt, ja verlangt die Gewalt der Idee den halb starren, halb widerstoßenden Klang, das dumpfe Rauschen des lebendigen Stroms unter starrem Eis. In Meißners Epaminondas bedeckt mir die Instrumentalmusik des Klanges ganz die schwache Vokalmusik des Sinns.192 In Engels ästhetischer Psychologie oder psychologischer Ästhetik, so wie in seinen Erzählungen klingt der schöne Rhythmus nicht seinen witzigen, hellen Ideen vor; aber wohl in seiner chrienmäßigen, gedankenarmen Lobrede auf den König, welche[323] nicht einmal eine auf den Lobredner ist. Der Stilist lobe den Stilisten, Engel einen bedeutenden Seelenlehrer – Müller den Tacitus – Goethe Herder – Reichard Gluck – Fontenelle die Akademisten und Klopstock sich – Allein wenn nur und kaum der Geistverwandte tadeln darf und kann: wie soll die Lobrede das Recht der Unwissenheit und Unähnlichkeit vor dem Tadel voraushaben? Nur in einer verwandten, ja höhern Seele widerscheine die fremde gekrönt und bekränzt. Daher ist es anmaßend, einen großen Mann zu loben. Daher ist es wegen der größern schönern Verwandt- und Bekanntschaft des Gegenstandes mit dem Lobredner weit leichter und erlaubter, wenigstens bescheidner, sich selber zu loben.

Um zurückzukommen: der Vogel singt nur, wenn er Frühlingkraft und Liebtriebe fühlt; Memnons Gestalt ertönt erst, wenn Sonnenstrahlen sie berühren und wecken; ebenso erschaffe das beseelte Wort den Klang, nicht der Klang das Wort; und man setze nie wie der leere La Harpe und tausend Franzosen und hundert Deutsche die Leiter mühsam an, um auf eine – Tonleiter zu steigen. Allerdings übe und prüfe man – aber außer der Begeisterung-Stunde – das Ohr, sogar an Klangwerken, an Engels Lobrede, zuweilen an Sturz, Zimmermann, Hirschfeld, Meißner etc.; aber mitten im rüstigen Treffen aller Kräfte muß man nicht Musik machen und darüber das Fechten und Siegen versäumen. Lessings Prose tönt uns mit eigentümlichen Reizen an, zumal in den Schluß-Fällen. Wieland befriedigt meistens durch schönen Schluß-Aushalt. Der große Haller entzückt in seinen Romanen (so viel ich mich aus meiner Jugend erinnere) durch den häufigen Gebrauch der Daktylen, welche Longin193 für erhabene Tongänge der Prose z.B. an einem Beispiele Demosthenes' erklärt. – Klinger in seinen Trauerspielen in Prose, welche (zumal die republikanischen), obwohl poetischer als seine Romane, kaum mit halber Dankbarkeit für ihre Erhabenheit jetzo gelesen oder vergessen werden, läßt schön, aber kühn wie Goethe im Egmont oder der Verfasser der Dya-na-sore immer mit langer und kurzer Silbe tönen. – Görres' Fortklingen wird durch sein Fortmalen und[324] beides durch sein Fortdenken und Fortlehren gleich gewogen und meistens gerechtfertigt. – Nur Klopstock, dieser Tonsetzer und Klangwähler in der Poesie, untersagt absichtlich seiner Mann – Prose jede Schmeichelei des Ohrs.

Immer bleibt die Gesetzgebung des Wohlklangs für die ungebunden umherirrende Prose schwierig, und leichter eine bloß verbietende des Übelklangs läßt sich geben und befolgen. Höchstens vom Ende des Perioden mag das Ohr, wie überhaupt von Musik-Enden, einiges Trillern begehren. Bei den Alten wurde mehr gefodert, geleistet und gefühlt, und wie auch unsere Ohren sonst mit und an der Zeit gewachsen sind, so wuchsen sie doch nicht in Qualitet und Intension, wenn man die einzige Anekdote bedenkt, daß die ganze römische Zuhörerschaft (nach Cic. in orat.) bei des Redners Carbo Stelle: »parris dictum sapiens temeritas filii comprobavit« in Jauchzen über den Klangsatz ausbrach, oder daß das nämliche ungebildete Volk über eine zu kurz oder zu lang gemeßne Silbe wild auftobte. Unserm Deutschvolk macht kein Qualwort mehr Gesichtschmerz oder Ohrszwang; jedes Wortgepolter säuselt und gleitet weich bewehend an Läppchen von Ohren vorüber, welche schon gewichtigere Sachen zu tragen und zu fassen gewohnt sind, z.B. Ohrringe von tonlosem Gold. So hören die Franzosen, an denen wir weniger ihre Sprache als ihre Liebe für ihre Sprache zu lieben haben, ihre Schriftsteller so sehr mit zarten strengen Richter-Ohren, daß Mad. Necker194 sogar behauptet, Rousseau habe den römischen Senat unrichtig bloß »cette assemblée de deux cents rois« genannt, anstatt des richtigen trois, um den Reimklang zu meiden; und so habe auch Buffon in seiner Lobrede auf Condamine, den Akademiker, diesen einen confrère de trente ans, anstatt vingt-sept ans, was weniger geklungen hätte, genannt. Daß aber Rousseau hundert wegnimmt und Buffon drei herschenkt, nur um wohlzulauten, will mir und der Wahrheit nicht gefallen; aussprechen wäre besser als ausklingeln. Nur durch Zufall fällt der Franzose zuweilen in einen bösen Ineinanderklang, z.B. in la vie de Voltaire par Condorcet: un fonds dont on est surpris; aber der Brite, an seine starre, wie[325] Klippen einsilbig geschärfte Sprache gewohnt, fragt nach keiner Miß- und Eintönigkeit, sondern er schreibt geradezu sein had had, sein but in dreifacher Bedeutung hintereinander; oder bei Sterne: continued I. I know not.

Wie alle Tonkunst so sehr das junge Ohr ergreift, das noch keine Nebensinne und Beigedanken verschließen oder verwirren, so ist es auch mit dem Redeklang; daher das daktylische Springen so sehr junge Leute bezaubert, daß sie nichts öfter in Stammbücher einschreiben als: Tugend und Freude sind ewig verwandt. Auch der Verfasser erinnert sich noch aus seiner Jünglingzeit der melodischen Gewalt folgender Endworte in Schillers Kabale und Liebe: »Willst du – so brich auf, wenn die Glocke den zwölften Streich tut auf dem Karmeliterturm.« Man versetzte etwas, zumal das Endwort, so verklingt alles.

Wie in der Tonkunst oft ein dünner Augenblick zwischen der Melodie und der Harmonie absondernd steht und folglich vermählend: so verfließet auch der prosaische Rhythmus in den Klang des Einzelnen. – Indes die russische und die polnische Sprache schöner und freier anklingen, als ihre Schrift-Noten versprechen, hingegen die englische und gallische schöner notiert und geschrieben sind, als sie sich hören lassen: so steht die deutsche mit alter Treue so in der Mitte, daß sie weder diesseits noch jenseits lügt. Wenn nicht die wahren Selbstlauter des poetischen Klangs, Klopstock und Voß, zu sehr sich und uns mit Mitlautern belüden und schleppten und nicht so oft den schönsten Takt zu Mißtönen schlügen: so könnt' es dahin kommen, daß der Ausländer unsern Sprach-Gesang endlich über den Vogel-Gesang setzte, der bisher schön anzuhören, aber schwer nachzusprechen war. Wirklich opfern die gedachten Ton-Meister oft die Zunge dem Ohr, und ihre Trompeten-, Heerpauken-, Strohbaß- und Schnarrkorpus-Musik ist oft zu schwer nachzusingen und nachzusprechen für eine Kehle. Allein unsere literarische Umwälzung ahmet, wenn auch andere Dinge, z.B. Wildheit, doch nicht dies der gallischen nach, daß die letzte etwas darin suchte, das r im Sprechen auszulassen.195[326]

Ein Ausländer könnte sagen: nichts ist in eurer Sprache so wohlklingend als die Ausnahmen, nämlich die der unregelmäßigen Zeitwörter. Allein wir haben eben deren mehr als ein jetziges Volk und noch dazu nur wohllautende; auch ist die Verwandtschaft eines einzigen solchen Zeitworts beträchtlich, z.B. von gießen: gegossen, goß, gösse, Guß etc. Adelung und halb die Zeit wollen uns zum Vorteil der Grammatiker, der Ausländer und der Gemeinheit diese enharmonischen Ausweichungen untersagen; aber das leide kein Schriftsteller, er schreibe »unverdorben,« niemals »unverderbt«. Adelung äußerte sogar Hoffnung, da Obersachsen sich zum regelmäßigen Beugen von mehren Zeitwörtern wie kneipen, greifen etc. neige, daß man überhaupt bei der Einerleiheit von Obersachsen und Hochdeutsch künftig bald kneipete, greifete etc. sagen werde, wie die – Kinder.

Aber diese Zeitwörter bewahren und bringen uns alte tiefe, kurze, einsilbige Töne, noch dazu mit der Wegschneidung der grammatischen Erinnerung, z.B. statt des langweiligen, harten, doppelten schaffte und schaffte, backte und backte: schuf und schüfe; buk und büke. Freilich flieht der Gesellschaft-Ton – auch der der Meißner höhern Klassen – den Feier-Ton eines tiefen reichen Selbstlauters; aber in den Fest- und Feiertagen der Dichtkunst ist er desto willkommner. Wie viele e werden unserer Eeeee-Sprache damit erspart und italienische Laute dafür zugewandt! Man wird dadurch doch ein wenig an ihre alte Verwandtschaft mit den Griechen erinnert, welche früher zu Otfrieds Zeiten viel lauter vorklang, wo Pein Pina hieß, Sterne Sterrono, meinen minon, bebte bibinota. Darum gebrauchte Klopstock so häufig und zu häufig – auf Kosten schärferer Bestimmungen – das großlautende Wort sank (so wie oft scholl.) – Sind grammatische oder dichtende Autoritäten gleich: so lasse man dem Wohllaute das Übergewicht. Z.B. man ziehe mit Heynatz Schwane Schwänen vor (zumal da man nicht Schwänenhals und Schwänenfedern sagt) und wie Wieland das wiewohl dem obschon: ferner ungeachtet der liberale Heynatz gerächt und kommt spricht: so gebe man doch dem lautern gerochen und kommt von Adelung den Preis; man wähle mit Heynatz den schönen Cretikus Diamant anstatt des[327] zweifelhaften Spondeus Demant; und doch wähle man gegen Heynatz Fohlen statt seiner Füllen.

Hingegen falle man Adelung da an, wo ihm die mathematische, akustische Länge der Saite werter ist als der Klang derselben. Z.B. das e des schon durch den Artikel bestimmten Dativs will er als zweite Bestimmung nicht weggeben, sondern vergleicht es mit lateinischen und griechischen Fall-Endungen; aber lässet er denn nicht selber der Dichtkunst die Verbeißung des e's zu, welche nie zu erlauben wäre, wenn das e dem deutschen Dativ so angehörte als dem lateinischen in mensa? Und erstatten denn sich nicht dieses e und der Artikel gegenseitig, z.B. in: ich opfre Gotte Götzen statt dem Gott? So werd' auch bloß dem Wohlklange die Wahl gelassen, ob z.B. Staates oder Staats, ob lieset oder liest, kurz ob das e kommen oder weichen soll, woran ja das e schon durch den Vers gewohnt geworden.

Ferner sträuben sich manche seit Jahren gegen die Lessingsche, aber vor Lessing längst herkömmliche Ausstreichung der Hülfwörter haben und sein da, wo sie nur zu verlängern, nicht zu bestimmen dienen. Ich wähle aus Lessing das meinem Gedächtnisse nächste Beispiel: »Man stößt sich nicht an einige unförmliche Posten, welche der Bildhauer an einem unvollendeten Werke, von dem ihn der Tod abgerufen, müssen stehen lassen.« – Man setze nach abgerufen ein hat, oder man unterbreche durch ein hat die schönen, Lessing gewöhnlichen Trochäen, so geht der Wohlklang unter. »Hat, ist, sei, bist, hast, seist, seiet, seien« sind abscheuliche Rattenschwänze der Sprache; und man hat jedem zu danken, der in eine Schere greift und damit wegschneidet. Erlauben ja die strengsten Sprachlehrer, daß man ein in einem Perioden zu oft wiederkehrendes Hülfwort auf den Schluß verschiebt.

Wenige haben so wie Lessing die Tonfälle der Perioden-Schlüsse berechnet und gesucht. So will das Ohr gern auf einer langen End-Silbe ruhen und wie in einem Hafen ankommen. Ferner hat das Ohr nicht sowohl einen Schluß-Trochäus als mehre einander versprechende Trochäen lieb. Erfreulich196 sind die Trochäen,[328] durch welche die fünf Sinne das »zu« verwerfen in »kommen sehen, kommen hören, kommen fühlen«. Kommen schmecken und kommen riechen sagte man wenigstens richtiger als zu kommen schmecken etc. »Dürfen, sollen, lassen, mögen, können, lernen, lehren, heißen, bleiben« beschließen den zu kurzen Zug. Noch könnte man »gehen, führen, laufen, legen, finden, haben, spüren« gelten lassen, z.B. betteln gehen oder laufen, spazieren führen, schlafen legen, einen essen finden, auf Zinsen stehen haben, es kommen spüren.

Gruber findet den ersten und zweiten Päon (– ñ ñ ñ, ñ – ñ ñ), den Cretikus (– ñ –), den Anapäst ( ñ ñ –) und den Jambus für die Prose am schönsten. Longin197 verwirft häufige Pyrrhichien ( ñ ñ), aber mit weniger Recht auch viele Daktylen und Dichoreen (– ñ – ñ). Die letzten gebrauchte Lessing am Schlusse mit Reiz, z.B.: die Goldkörner bleiben dir unverloren; so das Tonwort auserkoren.

Am Schlusse hört man, ist sonst alles gleich, gern die lange Silbe, also den Anapäst, Spondeus, Jambus, Dijambus ( ñ – ñ –), den Choriambus (– ñ ñ –). Dem bösen »zu sein scheint« – gerade kein Nach-, sondern ein Miß-Hall des esse videatur – sollte man wenigstens das »sein« grammatisch oder sonst beschneiden.

Mehre Spondeen, welche in der Prose reiner auftreten als in der Poesie, ferner mehre Molossen im Wechsel hintereinander sind dem Ohr ein schwerer Steig bergauf.198 Um so schöner wird es gehoben und wie ein Auge gefüllt, wenn es nach einem dunkeln Ahnung-Schluß aus einer schweren hartsilbigen Konstruktion auf ein mühsames Fort- und Durchwinden – und das Ohr ahnet immer fort- sich auf einmal wie von Lüften leicht hinuntergewehet empfindet, wenn z.B. nach einsilbigen Längen der Jambe des Zeitworts, oder der Bacchius, oder auch der Amphibrachys beschließen.

Eine besondere melodische Scheu vor einsilbigen Anfängen[329] und Vorliebe zur jambischen Ansprung-Silbe find' ich in den alten Auftaktsilben: jedoch (statt doch), dennoch, benebst, annoch, allda, dieweil, bevor, auf daß; bekanntlich die von den Sprachlehrern Prosthesis genannte Figur. Dahin gehören belassen, besagen, auch viele mit be, welche damit nichts viel Stärkeres sagen, z.B. bedecken, bezahlen; den Anfang macht schöner oft die kurze Silbe: z.B. statt Liebende lieber Geliebte, statt zahle lieber bezahle. Doch gesellet sich hier noch eine menschliche Eigenheit dazu: der Mensch platzt ungern heraus – er will überall ein wenig Morgenrot vor jeder Sonne – denn so ohne alle Vorsabbate, Vigilien, Rüsttage, Sonnabende, Vorfeste plötzlich ein Fest fertig und geputzt dastehen zu sehen, das widersteht ihm ganz – kein Mensch springt in einer Gesellschaft gern mitten in seine erlebte Geschichte hinein, sondern er gibt kurz an, wie er zu der Sache kam, auf welcher Gasse, in welchem Wagen, Rocke u.s.w. Daher schicken die meisten Boten einer Hiobs-Post der Nachricht derselben den Eingang voraus, man solle doch nicht erschrecken, denn sie hätten etwas sehr Trübes zu berichten worauf natürlich der Zuhörer den weitgeräumten Raum lieber zum Bau einer Hölle als einer Vorhölle vernützt –; und es wird in der Tat jedem schwer, eine Geschichte ohne allen Voranfang anzufangen. Etwas Ähnliches ist die Vorbeschreibung, z.B. ein kleines Männchen, ein Paar Zwillinge, ein großer Riese (so wie dieser im Leben sich gewöhnlich noch an Kopf und Fersen Erhöhung zusetzt), ein winziger Zwerg. – Bewegt nun einmal ein Trieb unser ganzes Wesen, so regt er gewiß auch die Zunge zur kleinen Silbe, und in der unteilbaren Republik jeder Organisation geht ein Geist durch die Ilias und durch die Silbe.

Folglich, scheints mir, ist jene Vorsteck-Silbe nur die Vorrede zur zweiten längern; so wie eine ähnliche Anfurt sogar durch die Tautologie folgenden Gewichtwörtern vorsteht: Tod-Fall – Eid-Schwur – Rück-Erinnerung – Dieb-Stahl – wild-fremd – lobpreisend – niederknien – Oberhaupt.

Ja noch zwei ähmliche tautologische Zwillinge schließen diese Programmen gleichsam als Schließer ab und zu: nämlich der Still-Stand und das Still-Schweigen.[330]

192

Z.B. »Einen Mann, durch edle Taten unsterblich, kann ja doch für die Nachwelt die niedrigste Geburt nicht um ein Haar breit tiefer senken, die vornehmste nicht um ein Sonnenstäubchen höher heben.« Unterstreichen ist wohl hier ausstreichen, und doch was bleibt? Kaum etwas Besseres als Engels Klingsatz: »Große Anstalten können scheitern, können fehlschlagen.« (dessen Schriften II. B. S. 426), worin die Wiederholung des können und die der Metapher, wovon die letzte die mattere ist, gut die Wiederholung eines alten Gedanken ausspricht.

193

Them. 39.

194

Mélanges de Mad. Necker T. II. p. 259.

195

Nach Pigault le Brun. S. dess. Faschings-Kind B. II.

196

Sogar die Übergänge der Perioden begehren Wohl- oder Leichtklang. Z.B. anfangs hatte der Verfasser oben nach dem langen lieb wieder mit einem langen Schön beginnen wollen; wer ihn aber studiert oder weiterlieset, wird sehr leicht finden, warum er das Erfreulich mit der kurzen Vorschlag-Silbe vorgezogen. Ja wieder über die Längen- und Kürzen-Auswahl in dieser Note, sogar in der Erinnerung an diese wären neue Studien anzustellen, wenn dies nicht den Leser sozusagen ins Unendliche spazieren führen könnte heißen wollen.

197

Them. 40.

198

Weit mehr als Tribrachyen und Daktylen, weil kurze Silben sich untereinander leichter auseinanderziehen als lange zu kurzen aufspringen.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 322-331.
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