[398] Kein einziger Stilistiker kam wieder, vielleicht weil die Meßgeschäfte ernster anfingen, vielleicht weil es einen und den andern verdroß, daß ich ihn verachtet hatte und angepackt. Indes wurde ich und mein Famulus vielleicht schadlos gehalten durch die Zahl von fremden, fast groben Musensöhnen (denn die einheimischen benützen auch die Messe und reisen) – von jungen, doch höflichen Juden – einigen stillen Buchhändlern – von vielen auf die Messe letzten nachreisenden Musenvätern, wozu sie aus Musensöhnen geworden durch gute Systeme und Romane, in welchen sie, wenn nicht Sachen, doch sich selber dargestellt haben – und von einigen von Adel – – samt und sonders geschwornen Feinden der Stilistiker, durch den schönen Jüngling hergelockt und eingeschifft für Malta, weil er ihnen vorgetragen, was ich vorigen Sonntag vorgetragen. Doch auch die königlichen Pferde, welche bekanntlich im ersten Meßsonntage durch Leipzig ziehen, mögen mir einige akademische, jüdische und adelige Zuhörer zugezogen haben.

Ich kann nicht behaupten, daß der größere Teil der Genossenschaft mich so stolz gemacht hätte, als ers selber war. Ein Mann, der mehr in der Ehe und am Hofe lebt als auf Akademien, wird schon von der phantastisch-eiteln Einkleidung der Musensöhne in eigne Nebenbetrachtungen versenkt über die Eitelkeit der Jünglinge, welche, obwohl kürzer, doch schreiender ist als die verschämte der Jungfrauen. Eine Reihe in Kupfer gestochener Studenten gäbe vielleicht ein nützlicheres Mode-Journal für Schlüsse aus Zeiten und Ortern als das jetzige, dieser spätere Nachdruck der Zeit.

Mehren Titus- und Kaligulas-Köpfen war das philosophische Rezensier- und Feimer-Wesen anzusehen; denn bekanntlich hießen sich die Fem-Richter Wissende. Drei oder vier Dichter schrieben sich – nach den Mienen zu schließen – ganz kurz Philippus Aureolus Theophrastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim,[398] um sich von ihrem Zu- und Vornamen zu unterscheiden, der bettelhaft Höchener244 hieß. Aus der Tonne Diogenes' hatten einige sich als Thespis-Gesellen so viel zynische Hefe für ihr Gesicht geholt, als nötig war, um grob zu scheinen, wenn auchnicht zu sein.

Inzwischen fing der Verfasser seine Vorlesung an, und zwar so:


Treffliche Spieß- und sonstige Gesellen! Niemand kann wohl meine Freude über unser Zusammenkommen schwächer ausdrücken als ich selber; möcht' es Ihnen besser glücken! – Ich schmeichele mir, ein wenig, wenn nicht zu Ihrer Handwerkslade, doch zu Ihrer Bundeslade zu gehören; und selber Feinde von mir sagen, ich hälfe mit Ihnen den Geschmack verderben. Wenn ein Mensch mitten in den Achtziger Jahren die Teufels-Papiere und anfangs der Neunziger die unsichtbare Loge gibt, folglich noch früher ausdenkt: so kann er leicht manche Sachen und Richtungen früher gehabt haben als seine Nachsprecher und Widersprecher. Wer übrigens der Stifter von uns Poetikern ist, das ist schwer zu sagen; denn jeder Stifter wird selber gestiftet. – Nicht einmal Goethe kann man nennen; denn teils bildete Klopstock seine Werthers Empfindsamkeit, teils Herder seine Jugend, teils Winckelmann seine Propyläen, teils Shakespeare seine Bühne und die Vorzeit seine Nachzeit. Diese alle wurden wieder gebildet. Und so geht es zurück; man muß nie schließen, weil man von keinem Sohne gezeugt worden, so habe man keinen Vater gehabt. Eine silberne Ahnenkette adeliger Geister reicht um die Länder und durch die Zeiten; und für jeden Jesus führen zwei Evangelisten zwei verschiedene Geschlechtsregister. Gleichwohl muß man, wenn man nicht aller Philosophie zuwider schon zu Gott zurück- und aufflüchtet, einen Ur-Ahnherrn und Stifter der neuern Sekte anerkennen, der meiner festen Überzeugung nach niemand ist als – Adam, es sei, daß man seine Allwissenheit und Unsterblichkeit und Tierherrschaft, oder daß man seinen Apfelbiß betrachte oder das Naturell seines bekannten Sohnes.

Wir wollen jetzo, da wir unter uns sind, miteinander nichts betrachten als unsere Flecken, sowohl unsere Schand- als Sonnen-,[399] Monds- und Tigerflecken. Denn diese müssen abgewaschen oder abgekratzt werden, wenn aus der neuen Zeit etwas werden und die Morgenröte dazu nicht ohne Sonne in einen verdrüßlichen grauen Regentag zerfließen soll, oder wie an einem Wintermittage am Pole allein auftreten statt des Phöbus.

Ich will die Kapitel heute Kautelen nennen. Nun find' ich nach Anzahl der Kardinaltugenden gerade so viele Kardinalsünden an unserem Herzen, nämlich 4; und gleichfalls am Kopfe nach der Zahl der 4 Fakultäten ebenso vielfachen Mangel an Fakultäten. Dies zusammen gibt für unsere Kautelarjurisprudenz 8 Kautelen, wahre 8 partes orationis. Die Mutter dieser 8 Seelen unserer Arche erscheint am Ende.

244

Dies ist der wahre Name des Paracelsus.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 398-400.
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