§ 5
Elegante Schriftsteller

[463] Schriftsteller wie Engel, Moses Mendelssohn, Weiße, Gellert glänzen und erfassen am meisten an ihrem Geburttage, Genies[463] mehr an ihrem Sterbetage, und die letzte Ölung wird ihre Taufe. Der Ruhm jener Schreiber mußte an dem Wuchse der Zeit einschrumpfen und verblühen, weil sie eben die Blüte der frühern und der gebildeten Welt waren, der sie sich nicht vor-, sondern nachgebildet hatten. Aber diese Welt wächset mit frischen Blüten bald über die alten hinaus. Der Genius hingegen, mehr Wurzel als Blüte der Zeit, stößt mehr die Gegenwart zurück und zieht die Zukunft an, da er nur sich selber, nicht die jetzo Gebildeten darstellt. Selber über die künftigen, die er sich nacherzieht, lebt er mit einer Eigentümlichkeit hinaus, welche, nicht in die allgemeine Bildung übergehend, ihn neu allen Zeiten aufbewahrt. Genies wie Hamann, Herder u.s.f. sind dem Zibet und Moschus ähnlich, deren zu starker Geruch sich erst durch die Zeit zum Wohlduft mildert. – Die eleganten Schriftsteller geben nach ihrem Tode die Ordenzeichen wieder der Zeit zurück, die sie damit ausgestattet hatte.

In neuerer Zeit hat man den guten Mittelweg eingeschlagen, die Schriftsteller, die man nicht Genies zu taufen wagt, wenigstens genial zu nennen; so hat man den genialen Clauren, Müllner u.s.w., wie man die Findelkinder in Spanien adelige heißt während man sie im Mittelalter Pfaffenkinder betitelte.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 463-464.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Vorschule der Ästhetik
Vorschule Der Aesthetik: Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit Volume 2
Vorschule Der Aesthetik (1); Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit
Vorschule Der Aesthetik Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit (1)
Vorschule Der Aesthetik Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit
Vorschule Der Aesthetik Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit (3)