An Gott

[22] Erheb auf mich dein Angesicht,

Und laß mich deine Güte schmecken

Gott, der mich schuf! Es mag auch Dunkel oder Licht,

Vor meinem Auge dich verdecken;


O Herr! es mag ein Feuer-Meer

In tausend Strömen dich umgeben;

Verkleide dich im Sturm, und lasse rings umher

Die Welt vor deinem Wetter beben;


Laß deinen Blick, voll Gottes Macht,

Den Berg, die Felsen niederblitzen;

Verhülle deine Stirn mit Zorn und lasse Nacht,

Wo sonst der Tag regierte, sitzen;
[23]

Doch betet meine Liebe dich

Gott Schöpfer! an, tief unter Waffen,

Die dich umrauschen Herr! zum Leben hast du mich

Und nicht zum Untergang erschaffen!

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Auserlesene Gedichte, Berlin 1764, S. 22-24.
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